Ärger mit den Nachbarn

Hähne auf dem Dorf? Sorry, das geht gar nicht!

Hühner und Hähne nehmen Futter aus einem Steintrog auf.
Hühner und Hähne nehmen Futter aus einem Steintrog auf. © picture alliance / Hans-Joachim Rech
Von Dieter Bub · 30.06.2016
Ach, du schönes Landleben! Das dachte sich ein Städter und zog in ein brandenburgisches Dorf, wo er Ruhe suchte. Nicht gerechnet hatte er mit der Lärmbelästigung durch drei Hähne. Diese empörte den neuen Dorfbewohner derart, dass er vors Amtsgericht zog.
Der kleine Charly, ein gelb-weißer Rassehahn mit schwarzem Schwanz tut sich an diesem Nachmittag wichtig. In einer Stunde hat das kleine edle Federvieh viermal gekräht. Mit vergleichsweise schwacher Stimme.
Dennoch gehen Charly, Jonny und Donald, die beiden anderen vom Stamme der Weißen mit schwarzem Schwanz, den Zuzüglern aus der Stadt auf der anderen Straßenseite seit vier Jahren so sehr auf den Keks, dass sie einen Schlichtungsversuch ablehnten und gegen den Besitzer des Hahnentrios, Reno Nehrling, vor den Kadi zogen.
Der Züchter findet das Spektakel vor dem Amtsgericht längst nicht mehr komisch:
"Wenn's einen nicht selber betreffen würde, könnte man drüber lachen, aber mir ist das Lachen vergangen und es ist traurig, dass es soweit kommen musste.
Nehrling versteht die Welt nicht mehr. Hat er doch etxra die weniger laute Zwergrasse Chapo angeschafft und einen elektronischen Pförtner mit Hühnerklappen installiert, die erst ab 8 Uhr morgens geöffnet werden.
Reno Nehrling, ein freundlicher Mittdreißiger, angestellt in einer Waffelfabrik und Bayern-München-Fan, hat zur Zeit drei Hähne und eine kleine Kükenschaar, die er mir zeigt:
"Hier hab ich meinen diesjährigen Nachwuchs – sind auch wieder Hähne und Hennen. Sind ja circa immer die Hälfte. Wat man so rechnen kann."
Ausgewachsen werden sie geschlachtet und verzehrt. Bei zwei Farbschlägen benötigt er für die Zucht mindestens vier Hähne. Die vom Federvieh genervte Familie ist nun vom Amtsrichter beauftragt nachzuweisen, "wieviel Hähne sich in in den letzten Monaten sich auf dem Grundstück aufgehalten haben."
Das aber ist schwierig. Der Blick von oben auf die Gehege ist durch einen Kirschbaum behindert. Einblick ist allein seitlich durch einen schmalen öffentlichen Weg möglich. Eine gründliche Überprüfung wäre nur elektronisch möglich.

Der Kläger wohnt gegenüber

Rolf Graf ist Vorsitzender des Landesverbandes der Rassegeflügelzüchter Berlin und Brandenburg. Er schildert die kuriose Situation, denn die Kontrahenten sind nicht Nachbarn. Er erklärt, wo die Kläger zuhause sind:
"Der ist auf der anderen Straßenseite, ungefähr 15, 16 Meter entfernt, also nicht mal direkter Nachbar, sondern da geht noch eine wunderbare Kopfsteinpflasterstraße mitten durch den Ort."
Es hilf nichts, denn es kann, wie wir schon von Schiller wissen, der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem Nachbarn nicht gefällt:
"Er möchte für sich seine Ruhe haben. Er verlangt einfach danach. Und danach sollen dann alle anderen auch den Hals nach strecken. Und dann ist das für die noch 'ne Berufung, dagegen klagen zu müssen nach dem Motto: Ich bin hier neu und alles muss nach meiner Pfeife tanzen."
Die Neubürger sind nicht nur gegen die Hähne. Sie hätten Gründe zu weiteren Klagen. Sie beschwerten sich auch über die Milchpumpe der Agrargenossenschaft und über die Nachbarn, die Papaeien züchten.
Überhaupt die Landwirte. Sie erzeugen mit Traktoren und Anhängern auf der Pflasterstrasse einen Ohren betäubenden Lärm.
Das Krähen des kleinen Charly ist nichts gegen die Traktoren, bei deren Geschepper und Gerumpel man kein Wort versteht. Charly und seine Kumpels stehen unter der Obhut der Obrigkeit. Die Gemeindevertretung hat mittlerweile einen Beschluss zur "Ortsüblichkeit der Nutztierhaltung" gefasst, wie zuvor bereits für die Haltung von Bienen, nachdem beim Imkerverein Beschwerden über Belästigungen von Zuzüglern aus der Stadt eingegangen waren.
Ulrike Schlieper: "Das haben wir schon mitgekriegt, hier sind schon mehr Städter hingezogen. Seitdem haben wir immer mehr Ärger – das ist wirklich so. Weil die regen sich über Dinge auf, die Unsinn sind. Ich lebe auf'm Dorf und auf'm Dorf hab ich nunmal die Geräusche."
Bei dem Versuch einer Zählung in Rosenow und dem Ortsteil Zitz ist man auf über 200 Hähne gekommen. Doch es geht um mehr. Der Hahn als ein Urtier und Vorbild – auch für die Menschen, wie der Tierarzt; Vorsitzende der Agrargenossenschaft und Dozent Berhard Schlieper erklärt:
"Das Krähen eines Hahns ist ein ganz normales Verhalten. Er will seinem Geschlechtsgleichen zeigen: Pass auf, ich bin auch ein kräftiger, schöner bunter Hahn. Der Herr Spatz und die Frau Spatz machen das so, das machen die Drossel und die Großtrappe."

"Dann dürften die Mädels sichauch nicht mehr schminken"

Für Schlieper sind die Tiere die Vorbilder für uns Menschen.
"Wenn wir das verbieten, heißt das, dass unsere Jungen keine Mädels mehr zum Tanzen auffordern, die Mädels sich nicht mehr schminken oder die Haare schön machen dürfen."
Schluss wäre es mit Paarung, Fortpflanzung und Sex. Das sollten Kläger und auch der Amtsrichter bedenken. Wo eine Frage dennoch bei allem Streit unbeantwortet bleibt:
"Ob Huhn oder Ei, das kann ich nicht beantworten. Aber ich kann die Frage beantworten: Die Hühner waren eher hier als die Nachbarn."
Ulrike Schliepers Plädoyer zum Streit von Zitz:
"Das ist doch der reinste Blödsinn, wegen sowas zu Gericht zu gehen, oder?"
Charly, Johnny und Donald vom Stamme der kleinen Chabos haben keine Ahnung von dem Menschengezeter – und vielleicht kräht schon bald kein Hahn mehr nach dieser Geschichte.
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