Ära Klaus Wowereit

Gut saniert und viel gefeiert

Klaus Wowereits Glamour habe zu Berlin gepasst, findet der ehemalige Berliner Justizsenator Wolfgang Wieland.
Klaus Wowereits Glamour habe zu Berlin gepasst, findet der ehemalige Berliner Justizsenator Wolfgang Wieland. © afp / Odd Andersen
Moderation: Korbinian Frenzel · 10.12.2014
Das Hauptverdienst des scheidenden Bürgermeisters Klaus Wowereit sei die Sanierung des Haushalts, meint Berlins ehemaliger Justizsenator, Wolfgang Wieland (Grüne). Doch bei einigen Projekten, etwa dem Hauptstadtflughafen, hätte er mehr Ernsthaftigkeit erwartet.
Der ehemalige Berliner Justizsenator Wolfgang Wieland (Grüne) hat seinem ehemaligen Chef Klaus Wowereit einen Tag vor dessen Auszug aus dem Roten Rathaus ein alles in allem sehr gutes Zeugnis ausgestellt.
Im Deutschlandradio Kultur sagte Wieland am Mittwoch, in der "Ära Klaus Wowereit" sei Berlin "zu einer fröhlichen, zu einer attraktiven, zu einer vor allem junge Leute anziehenden Hauptstadt" geworden. "Das wird bleiben und das wird mit Wowereit verbunden sein", betonte Wieland.
Hauptverdienst Haushaltssanierung
Wowereits Hauptverdienst sei, dass er den Haushalt saniert habe, sagte Wieland. Das sei eine "große Leistung" gewesen. Er porträtierte Wowereit als Menschen mit großer Lebenslust, "vielleicht sogar Lebensgier". Wowereit habe die Nächte in den ersten Monaten als Regierender Bürgermeister durchgetanzt.
Der Glamour des SPD-Politikers habe zu Berlin gepasst – und die Stadt habe das auch gebraucht, sagte Wieland. "Dass es daran auch Kritik gab, war völlig klar." Sie sei zum Teil auch berechtigt gewesen, denn Wowereit habe bestimmte Probleme nicht ernst genug genommen. Dazu zählte Wieland den Flughafen, das S-Bahn- und das Glatteis-Chaos.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Und er kann sogar wirklich berlinern – Klaus Wowereit. Noch gute 24 Stunden Regierender Bürgermeister von Berlin, dann ist Schluss. Nach 13 Jahren geht er. Ein selbstbestimmter Abschied, das wäre wahrscheinlich geschönt, aber immerhin hat er es geschafft, nicht vom Hof gejagt zu werden, und das gelingt ja weiß Gott nicht allen Politikern.
Klaus Wowereit, SPD, erster bekennender Schwuler und mittlerweile dienstältester Ministerpräsident der Republik. Man könnte sagen, der Mann hatte seine Traumrolle gefunden als Regierender von Berlin. Und ich spreche jetzt mit einem Mann, der beim Casting in gewisser Weise dabei war, damals, 2001. Sein erster Stellvertreter, sein erster Koalitionspartner und Justizsenator von den Grünen, Wolfgang Wieland. Guten Morgen!
Wolfgang Wieland: Guten Morgen!
"Er hat die Nächte durchgetanzt"
Frenzel: War denn Klaus Wowereit für diese Rolle geboren oder hat er sich sie mühsam erarbeitet?
Wieland: Er war schon dafür geboren. Dieses Feiern, dieses Party-Meister, das war ja nicht gespielt. Und jetzt haben wir gehört, hier in dem Trailer, wie er sich immer dafür verteidigt hat. Dazu musste er nicht gezwungen werden, das war Lebenslust, vielleicht auch Lebensgier, vielleicht sogar ein bisschen Nachholeffekt. Er hat in diesen ersten Wochen und Monaten tatsächlich die Nächte durchgetanzt.
Frenzel: Ausnahmeerscheinung, das ist ein Wort, das immer so positiv konnotiert ist. Ich meine, wenn man im Moment die ganzen Rückschauen auf Klaus Wowereit sieht, da könnte man ja denken, das war fast schon ein Heiliger. Aber vielleicht war er ja doch so etwas wie eine Ausnahmegestalt in der Riege der Ministerpräsidenten. Würden Sie da mitgehen, in der Neutralität dieses Begriffes?
Wieland: Sicherlich. Er war ungewöhnlich. Dieser Satz, "Genossinnen und Genossen, ich bin schwul, und das ist auch gut so", hat der homosexuellen Szene aus dem Herzen gesprochen. Das war für sie eine Befreiung, dass jemand sich öffentlich so auf ihre Seite stellt. Und gleichzeitig war dieser Glamour in dieser Zeit ganz offensichtlich das, was zu Berlin passte und was Berlin auch brauchte.
Dass es daran Kritik gab, war völlig klar. Sie kam zum Teil auch von uns. Sie kam berechtigt auch von uns, aber nicht, dass er getanzt hat – das fanden wir eher possierlich –, sondern wir haben auf anderen Gebieten gesagt, er müsste das ernster nehmen, was in der Stadt passiert. Dazu gehört natürlich der Flughafen, dazu gehörten aber auch Dinge wie die S-Bahn-Katastrophe oder die Glatteis-Katastrophe, die es in Berlin gegeben hat. Das waren Situationen, wo man eben mehr erwartet hätte als einen glamourösen Regierenden Bürgermeister.
Im Laufe der Jahre ruhiger geworden
Frenzel: Ist denn Klaus Wowereit ein politischer Mensch?
Wieland: Also, man kann natürlich, der so lange hier Berlin auch geprägt hat, nicht sagen, er ist unpolitisch, aber ...
Frenzel: Aber ich ahne es schon, Sie wollen es eigentlich doch sagen.
Wieland: Im Vergleich zu seinen Vorgängern gab es da sicherlich auch Defizite beziehungsweise dieses Interesse, wo gehe ich heute Abend hin, welche Veranstaltung mache ich, war am Anfang stark und überragend. Das wird im Laufe der Jahre, das sagt er ja auch selber, anders geworden sein. Er ist dann etwas ruhiger und gesetzter geworden. Das sind ja normale Prozesse, die da ablaufen.
Aber man kann nun nicht im Ernst einem Politiker, der das so lange macht und der es ja auch in grosso modo – da können wir in zehn Jahren mal drüber reden, welches Bild von Wowereit ist eigentlich geblieben? Das kann man heute bei seiner Abschiedstournee, die ja fast unendlich war, gar nicht sagen. Grosso modo ist er natürlich ein politischer Mensch.
Frenzel: Es gibt ja auch dieses Gegenbild des Aktenfressers. Das hat er wahrscheinlich auch selbst gerne transportiert. Aber haben Sie ihn auch so erlebt?
Beim Flughafen hätte Aktenstudium nicht gereicht
Wieland: Vorbereitet. Durchaus vorbereitet, das widerspricht sich auch nicht. Ich kann die Nacht durchtanzen, wenn ich vorher die Akten gelesen habe und dann ab acht Uhr über die Akten reden kann ...
Frenzel: Wenn der Kopf nicht zu schwer ist, ja.
Wieland: ... das war er als Haushälter gewöhnt, und das hat er zum Teil in diesem Stil auch weiter gemacht und sich damit bei seinen Senatskolleginnen und -kollegen nicht unbedingt beliebt gemacht.
Frenzel: Was war denn da los? Sie haben es ja schon angesprochen. Der Flughafen, wir wissen das alle, das ist wahrscheinlich der wahre Grund oder das ist der Grund, dass er gehen muss, gehen will. Hat er da dann letztendlich vor der Party doch nicht die Akten gelesen? War er da nicht gut vorbereitet, war er falsch beraten?
Wieland: Na ja, das war ein so großes Projekt, da hätte Aktenstudium nicht gelangt. Hier ging es darum, dass eine Entscheidung getroffen wurde von ihm vor allem. Er hat das vorangetrieben, und das muss er sich auch anheften lassen, wir bauen diesen Flughafen alleine, wir nehmen keinen Generalübernehmer, wir lehnen, Hoch-Tief war es konkret, ab, weil die zu teuer sind. So.
Und wenn ich jetzt sage, ich baue alleine einen Flughafen, habe ich natürlich ganz andere Kontrollverpflichtungen und kann mich nicht darauf verlassen, dass ein Flughafenchef, der im Übrigen ja als Flughafenchef geholt wurde und nicht als Baumeister, nicht als Bauleiter das schon alles richtig machen wird. Und die Planungsbüros und die Controlling-Instanzen, die er einsetzt, auch vernünftig arbeiten.
Also, da beißt die Maus keinen Faden ab, und ich habe auch immer gesagt, wenn man die Maßstäbe anlegte, die wir seinerzeit, Wowereit und wir Grünen, an Eberhard Diepgen und an die Bankgesellschaft angelegt haben, was ja zur Abwahl Diepgens führte und letztlich zur Bildung dieses Senates, dann hätte Wowereit schon 2012 zurücktreten müssen, denn das war genau die gleiche Frage: Wie viel finanzielle Verluste lässt man einem Regierungschef durchgehen, die in dessen Verantwortungsbereich gefallen sind? Und hier kann man sie ja gar nicht beziffern, weil jeden Tag eine Million dazu kommt und niemand weiß, wann wird das Ding endlich je fertig werden.
Haushaltssanierung ist sein Hauptverdienst
Frenzel: In der Zeit, in der Sie gemeinsam angetreten sind, da war Berlin unter anderem auch durch die Landowski-Diepgen-Geschichten arm. Es gibt dieses Bonmot von Wowereit: "Arm, aber sexy". Jetzt ist Berlin nicht mehr so arm, Wowereit weg – ist Berlin auch nicht mehr so sexy?
Wieland: Ach, diese beiden Sprüche von ihm werden ja bleiben – "Ich bin schwul ..." und dieses "Arm, aber sexy" –, weil sie ins Schwarze getroffen haben. Man kann auch reich und sexy sein. Reich sind wir noch lange nicht, aber im Ernst: Das ist für mich sein Hauptverdienst, dass er diese Haushaltssanierung zunächst mit dem Autisten Sarrazin, der das ganz einfach durchgezogen hat, hinbekommen hat. Das haben seine Vorgänger nicht geschafft.
Und das war tatsächlich eine Herkules-Aufgabe und war so ein bisschen die Kehrseite des feiernden, lustigen Klaus Wowereit gewesen, dass er mit Solidarpakt im Öffentlichen Dienst, mit anderem das immerhin geschafft hat, dass Berlin heute sogar ein Plus macht. Natürlich durch die vielen Zuweisungen und anderes, die wir ja vom Bund bekommen, die wir von überall her bekommen. Aber immerhin, die bekamen wir früher auch, und es wurden enorme Minusbeträge angehäuft.
Also das ist eine große Leistung gewesen, diese Konsolidierung. Berlin ist immer noch spannend, die Leute strömen hierher, und die Ära Klaus Wowereit, so wird man es ja nennen dürfen, wird sicherlich als die Zeit, als Berlin zu einer fröhlichen, zu einer attraktiven, zu einer die jungen Leute vor allen Dingen anziehenden Hauptstadt geworden ist, das wird bleiben, und das wird mit Wowereit verbunden sein.
Frenzel: Das sagt Wolfgang Wieland von den Grünen. Wowereits Vize war er an der Spitze Berlins. Justizsenator im ersten, im rot-grünen Wowereit-Senat. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Wieland: Bitte schön, schönen Tag noch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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