Adventskalender

Zählen, bis das Christkind kommt

Noch geschlossen sind die Türchen eines Adventskalenders in Sieversdorf (Brandenburg).
Noch geschlossen sind die Türchen eines Adventskalenders in Sieversdorf (Brandenburg). © dpa / picture alliance / Patrick Pleul
Von Adolf Stock · 29.11.2015
Schokolade hinter Türchen, kleine Stiefelchen mit noch kleineren Geschenken drin, 24 verschiedene Teebeutel – mittlerweile gibt es ihn in zig verschiedenen Varianten: Erfunden wurde der Adventskalender aber erst vor einem guten Jahrhundert – und am Anfang ging es auch gar nicht um Schokolade.
Am kommenden Dienstag ist der 1. Dezember. Dann sind es noch 24 Tage bis zum Heiligen Abend. Das erste Türchen im Adventskalender darf geöffnet werden. Doch das war nicht immer so, und genau genommen ist diese Zählweise auch falsch, erklärt Tina Peschel von der "Projektgruppe Adventskalender" des Museums für Europäische Kulturen. Sie kennt sich aus, denn sie hat ein Buch über Adventskalender geschrieben und viele Ausstellungen kuratiert:
"Die Adventszeit beginnt mit dem ersten Sonntag nach dem 26. November und war früher auch eine Fastenzeit, das heißt, die ersten Adventskalender begannen wirklich nicht am 1. Dezember. Es gab dann später Nikolaus-Kalender, und es gab auch Kalender, die sogar bis zum 6. Januar, bis zum Dreikönigstag, gingen. Man beginnt schon seit einiger Zeit mit dem 1. Dezember, weil sich die Kalender einfach über mehrere Jahre verkaufen lassen."
Léontine Meijer-van Mensch, stellvertretende Direktorin des Museums für Europäische Kulturen in Berlin, kommt aus Amsterdam.
"In den Niederlanden sind eigentlich die Adventskalender nicht üblich. Und als ich dann angefangen habe, hier zu arbeiten, ist mir wirklich eine Welt aufgegangen. Wir haben natürlich 'Schwarze Piet' und 'St. Nicolas', der am 5. Dezember Geschenke gibt. Und das ist nicht nur am 5. Dezember ein wichtiger Abend, sondern eigentlich die drei Wochen vor dem 5. Dezember ist dann das Warten auf diesen 5. Dezember, ganz wichtig."
Auswendig gelernte Sprüche
Bei den Adventskalendern war das Zählen der Tage zunächst nicht mit Geschenken verbunden, sagt Tina Peschel. Es ging vielmehr um eine Sehnsucht, um die Erfüllung der Heilsgeschichte, die mit der Geburt Jesu beginnt und von den Christen inständig erwartet wurde:
"Die Kalender entstanden im Prinzip in den pietistischen Kreisen, also im Zuge der Erweckungsbewegungen, und zwar vor allen Dingen in Waisenhäusern, um die Kinder auf die Weihnachtszeit vorzubereiten. Man hat also einen Kranz auf den Leuchter gelegt, und darunter hat man die Kinder jeden Abend versammelt, und man hat eine Kerze entzündet und jedes Kind hat einen Spruch vorgetragen, eine Verheißung und dann später die Erfüllung aus dem Neuen Testament. Und die Kinder haben diese Sprüche auswendig lernen sollen. Das war der Anfang."
Später wurden solche Sprüche auch gedruckt. Der Adventskalender, wie wir ihn kennen, wurde 1903 von Gerhard Lang erfunden, einem schwäbischen Pfarrerssohn. Der erste Kalender hatte 24 Felder mit Versen. Jeden Tag durfte ein kleines Bild über ein Feld geklebt werden. Schon bald hatte sich der Adventskalender in protestantischen Gegenden durchgesetzt. Später gab es auch katholische Adventskalender. Die ersten Kalender in Schweden kamen von Verwandten und Freunden aus Deutschland. Der schwedische Mädchen-Pfadfinderverband gab 1934 einen eigenen Kalender heraus. Er verzichtete auf "Glitzerzeug" und wurde mit vielen Wichteln bedruckt. Der Kalender war so beliebt, dass er bis heute als Reprint zu kaufen ist.
"Nach dem Zweiten Weltkrieg waren das dann die amerikanischen Besatzungssoldaten, die Kalender in ihre Heimat schickten, an ihre Verwandten, an Kinder, sodass der Kalender also dann quasi den Sprung über den großen Teich gemacht hat. Und so kam es dann, dass der Adventskalender auch in anderen Teilen der Welt an Popularität gewann."
Heute bevölkern Adventskalender weltweit die Supermärkte. Wer ein Kalendertürchen öffnet, wird mit einem Stück Schokolade belohnt, mit Kosmetikartikeln, Schmuck oder einer Büchse Bier, um nur ein paar Dinge zu nennen, die sich als kleines Geschenk hinter dem Türchen verstecken können. Doch manchmal gibt es auch größere Gaben, die nur noch als Gutschein in den Kalender passen. Léontine Meijer-van Mensch hat bei ihren Recherchen den Porsche-Kalender entdeckt:
"In diesem Porsche-Kalender befinden sich dann ein Segelschiff, eine ganz tolle Uhr, eine wahnsinnstolle neue Küche. Das hat natürlich nichts mehr zu tun mit dieser Ursprungsidee des Fastens und dieser Besinnung und auch dieses Rückzugs in Familie und vielleicht so einer Besinnung auf wesentliche Werte."
Ganz neue Formen entstehen
Bleibt nur die Frage, was es nach dem Porsche-Kalender dann noch zu Weihnachten gibt? Doch Kommerz ist nicht alles. Als Vorbote der Heilsgeschichte werden Adventskalender auch immer wieder neu erfunden. Es entstehen ganz neue Formen, die sich auf den Ursprung besinnen, bei denen es um Glauben und um die christliche Gemeinschaft geht. Etwa wenn sich Menschen zu einem lebendigen Adventskalender zusammenfinden. Für Tina Peschel ist das eine erfreuliche Entwicklung:
"Jeden Abend öffnet sich ein Hauseingang zum Beispiel, eine Tür oder ein kleines Geschäft, um gemeinsam eine kleine Andacht zu halten, einen Glühwein zu trinken oder gemeinsam ein Lied zu singen. Da findet sich dann die Nachbarschaft zusammen, und wer kommen kann, kommt. Und manche bringen was zu Essen mit. Das gibt es hier in Berlin, das gibt es aber auch in anderen Städten, auch in Kirchgemeinden. Und das ist also eine Tradition, die jetzt in den letzten Jahren erst entstanden ist."
Léontine Meijer-van Mensch hat noch einen anderen Kalender im Blick, den sie in ihrem Museum für Europäische Kulturen nicht missen möchte:
"Was ich inhaltlich wirklich sehr interessant finde, ist der Ramadan-Kalender. Wenn es dunkel wird und die Fastenzeit vorüber ist, darf man dann jeden Tag ein Türchen aufmachen, und da ist dann eine Schokolade drin. Das ist für mich so ein schönes Beispiel von Kulturtransfer, was passiert in einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft, und wie letztendlich die Idee des Wartens und des Zählens, was halt in so einem Adventskalender richtig gepflegt wird, natürlich ein Leitmotiv ist, genauso gut in einem Ramadan-Kalender sich wiederfindet."

Noch bis zum 17. Januar 2016 ist im Museum Europäischer Kulturen in Berlin-Dahlem die Ausstellung "Vorfreude. Adventskalender in Europa" zu sehen.