Adelsmilieu

Unsicherheit hinter dem Snob-Appeal

Besprochen von Edelgard Abenstein · 18.11.2013
Um den Niedergang der Upperclass dreht sich der Roman von Evelyn Waugh. Er war ein exzellenter Menschenbeobachter, der auch in seinen Erzählungen Sinne für groteske und subtile Situationskomik bewies.
England im Zweiten Weltkrieg: den nicht mehr ganz jungen Reserve-Offizier Ryder verschlägt es nach Brideshead, einem malerisch verfallenden Adelssitz auf dem Lande. Dort hat er 20 Jahre zuvor als Student schönste Sommer erlebt, Champagner-Partys gefeiert, seinen besten Freund verloren und sich zum ersten Mal verliebt.
Die schwerreiche Familie, die ihn damals beherbergte, existiert nicht mehr - ein Anlass, sich auf die Suche nach der verlorenen Zeit zu begeben. Als Chronist steht er nur scheinbar am Rande. Aber eigentlich hat ihn die "Erinnerung, jener geflügelte Schwarm von Bildern (...), die mein Leben ausmachen, nie verlassen (...). Denn nichts gehört uns so gewiss wie die Vergangenheit".
In 'Wiedersehen mit Brideshead' dreht sich alles um die Vergänglichkeit, um den Niedergang einer Klasse, die noch an der Macht ist, aber weiß, dass ihre Tage gezählt sind. Es sind die oberen Zehntausend, die nicht arbeiten, nichts vorhaben als den nächsten Cocktail bei Danieli in Venedig, und die anderen, die so gerne dazugehören würden.
Hintergründig und packend zeichnet der Menschenbeobachter Waugh seine Figuren in einer komplexen Psychologie. Da ist der engelsschöne, verführerische Sebastian, der unter den Erwartungen, die an den Sprössling eines alten Adelsgeschlechts gestellt werden, das Erwachsenwerden verweigert und dem Alkohol verfällt; da ist die herrische Mutter, der allein ein bigotter Glaube Halt gibt; der großsprecherische Freund Anthony, der hinter einem perfekten Snob-Appeal seine Unsicherheit verbirgt; und schließlich der Ich-Erzähler, der sich rettungslos in Sebastians Schwester Julia verliebt, aber zu schwach ist, sie aus einer glücklosen Ehe zu retten.
Neuübersetzung bringt Witz und Understatement auf den Punkt
Schuldig werden alle, aus Gleichgültigkeit gegen die anderen, gegen sich selbst oder - weil sie sich "schämen, unglücklich zu sein". Elegant, spöttisch, wehmütig - das ist der Ton, den Evelyn Waugh in seinem Untergangsepos anschlägt. Fast immer bringt die Neuübersetzung den schnellen Witz, das britische Understatement, den geschliffenen Stil unverschnörkelt auf den Punkt.
Wie das kundige Nachwort in einem biografischen Abriss berichtet, kannte sich Evelyn Waugh, der aus einer mittelständischen Familie stammte, im Milieu der Upperclass seit seinen Studienzeiten in Oxford bestens aus. Seinem Helden ähnlich, hatte auch er um die Anerkennung jener Söhne märchenhaft reicher Familien auf den noblen Landsitzen gebuhlt - und sich doch nie zugehörig gefühlt.
Der britische Schriftsteller Evelyn Waugh (1903 - 1966)
Der britische Schriftsteller Evelyn Waugh (1903 - 1966)© dpa / pa
Das ist auch den Protagonisten der teils zum ersten Mal auf Deutsch veröffentlichten Erzählungen nicht vergönnt. Wie im Roman begegnet man dort Waughs berühmter Erzähltechnik, die zwischen grotesker und subtiler Situationskomik hin- und herpendelt, zwischen Verzweiflungsszenen und rasant unterkühlten Dialogen.
Etwa in der Geschichte um ein höchst standesgemäß, frisch vermähltes Paar, das schon seine Flitterwochen getrennt voneinander zubringt, zuerst aus Versehen, dann aus Nachlässigkeit, schließlich weil sie sich ganz schnell daran gewöhnt haben. Das ist mehr als Proust light, wie man Waugh einmal tituliert hat. Das ist böse, komisch und überaus modern zugleich.

Evelyn Waugh: Wiedersehen mit Brideshead
Aus dem Englischen von Pociao
Diogenes, Zürich 2013
544 Seiten, 26,90 EUR

Evelyn Waugh: Ausflug ins wirkliche Leben und andere Meistererzählungen
Aus dem Englischen von Otto Bayer, Elisabeth Schnack, Matthias Fienbork und Hans-Ulrich Möhring
Diogenes, Zürich 2013
480 Seiten, 19,90 EUR

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