Adelbert-von-Chamisso-Preis

"Die Zuschreibung von Identitäten ist ewig gestrig"

Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu auf der Leipziger Buchmesse
Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu war 2005 Preisträger des Chamisso Literaturpreises © picture alliance / dpa / Arno Burgi
Moderation: Frank Meyer · 06.03.2014
Dieser Preis ginge nur an angepasste Konsensliteraten, der Adelbert-von Chamisso-Preis sei ein Wohlfühlpreis, kritisiert der Autor Maxim Biller. Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu widerspricht dieser These.
Frank Meyer: Der Adelbert-von-Chamisso-Preis - er wird verliehen fürs Liebsein, für Anpassung und Selbstverleugnung, meint der Autor Maxim Biller. Er hat vor zwei Wochen in einer wütenden Polemik die ganze deutsche Gegenwartsliteratur kritisiert und speziell die Bücher von Deutsch schreibenden Migranten: alles unglaublich langweilig, selbstbezogen, kraftlos, provinziell. Die Dichterin Ann Cotton bekommt heute diesen Literaturpreis, und in der Chamisso-Preis-Jury war unter anderem der Autor Feridun Zaimoglu. Seien Sie herzlich willkommen, Herr Zaimoglu!
Feridun Zaimoglu: Hallo!
Meyer: Wenn man Maxim Billers Logik folgt, dann müsste Ann Cotton als Preisträgerin liebe, angepasste, selbstverleugnende Texte schreiben. Tut sie das denn?
Zaimoglu: Das ist natürlich Humbug, sie tut es nicht. Wenn man sich die Mühe macht, vielleicht mal das Buch aufzuschlagen oder ihre Bücher aufzuschlagen, wird man sehr schnell feststellen, dass sie es den Leserinnen und Lesern nicht einfach macht. Von einer Selbstverleugnung kann genauso wenig die Rede sein wie von einer Selbstverwirklichungsprosa. Sie bekommt den Preis nicht als Lohn für Nettigkeit, sondern für ein literarisches Werk, das wirklich echt ist und das davon zeugt, hier ist eine Literatin, die in der deutschen Sprache mit den Mitteln, mit ihren eigenen Mitteln arbeitet. Ich muss lachen, ich muss lächeln, so kann man nur urteilen, wenn man keine Ahnung hat.
Meyer: Wenn wir uns mal so einen Grundvorwurf von Maxim Biller anschauen, den Vorwurf der Anpassung, was dieser Preis eben honorieren würde, der Chamisso-Preis: Die Logik ist ja, wir zeichnen Autoren aus mit diesem Preis, die einen Kulturwechsel bewältigt haben, die aus einer anderen Sprache kommen und jetzt auf Deutsch ein Sprachkunstwerk schaffen können. Liegt denn darin eine Logik der Anpassung, eine Auszeichnung für jemand, der so kunstvoll Deutsch schreiben kann wie ein deutscher Muttersprachler, der sich in diesem Sinne angepasst hat?
Zaimoglu: Zunächst einmal, aus eigener Anschauung: Ich begreife mich als deutschen Schriftsteller, nicht nur deutschsprachigen Schreiber, sondern als deutschen Schriftsteller. Wenn man Bücher als Pamphlete und dicke Flugblätter ansehen will, dann hat man etwas nicht begriffen: Es ist nicht Bekenntnisprosa. Das eigene biografische Material wird natürlich ausgeschrieben, man greift auf diesen Reichtum. Und es ist doch im Leben so: Entweder fühlt man sich eingesetzt oder ausgesetzt.
Ich kann nur sagen, es ist keine Frage von Anpassung, sondern viel existenzieller. Das ist ja schnöde - angepasst oder nicht angepasst, wir wollen doch nicht irgendwelche rebellischen Dorfpunksfiguren bemühen, sondern was wir machen, was wir Schreiber, die wir herkunftsfremd sind und uns für die deutsche Sprache oder für das Deutsche entschieden haben, was wir machen, ist, im Eigenen uns zu bewegen. Das darf nicht verkannt werden. Es geht nicht mehr um das fremde Material, das geknetet und bearbeitet wird, sondern es ist das eigene Material. Der Boden, auf dem man sich bewegt, ist kein fremder Boden mehr.
"Weil er eben nicht von deutschstämmigen Deutschen spricht, sondern von Nazi-Enkeln"
Meyer: Das heißt, wenn Maxim Biller … Der sagt ja im Prinzip, Migranten sollen über Migrationsthemen schreiben, das heißt über diesen Übergang von einer Kultur in eine andere, und im Prinzip sollen sie über nichts sonst schreiben, fordert Maxim Biller. Ja, was halten Sie von dieser Forderung?
Zaimoglu: Blödsinn! Das heißt, ein Bayer schreibt nur über Bayern, ein Indianer schreibt nur über Indianer, das heißt, es werden jetzt Figuren gezeichnet, Comicfiguren, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Also hier meldet sich einer zu Wort, der, glaube ich, den Anschluss selber verpasst hat. Den Anschluss verpasst man, wenn man glaubt, in der deutschen Sprache bewegte sich nichts oder habe sich in den letzten 20 Jahren nichts bewegt.
Ich aber bin begeistert von Büchern – ob das jetzt ein Buch von Gunther Geltinger ist, von Deutschstämmigen wie von herkunftsfremden Deutschen. Also, ich kann nur sagen, diese Zuschreibung von Identitäten ist so ewig gestrig, ich bin froh, sagen zu können, dass wir das hier in diesem herrlichen Deutschland überwunden haben.
Der deutsche Schriftsteller und Kolumnist Maxim Biller
Der deutsche Schriftsteller und Kolumnist Maxim Biller© picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
Meyer: Ein anderer Punkt, den Maxim Biller macht – und da, glaube ich, kann man ihm schwer widersprechen –, er sagt, dass der Literaturbetrieb in Deutschland, also was Kritik angeht, Verlage, Lektoren, Jurys zum Beispiel, dass in diesem ganzen Betrieb fast alle – ich glaube, er spricht von 90 Prozent – fast alle deutscher Herkunft seien und Migranten in diesem Teil des Kulturbetriebs kaum anzutreffen sind. An dem Punkt hat er doch recht, oder?
Zaimoglu: Er hat nicht recht, weil er eben nicht von deutschstämmigen Deutschen spricht, sondern von Nazi-Enkeln. Das ist eine Beleidigung ohnegleichen, eine Unverschämtheit. Nein, ich bin kein Anhänger der Repräsentationspolitik. Es geht jetzt nicht darum, dass man aus Gründen, politisch korrekten Gründen, unabhängig jetzt von den Qualitäten der jeweiligen Person unbedingt einen sogenannten Migranten – ein komischer Begriff übrigens, den auch er bemüht – besetzt. Darum kann es nicht gehen. Es ist so vielgestaltig und es ist ganz anders, komplexer als beschrieben. Also die Sehnsucht, die Dinge zu simplifizieren, diese Sehnsucht haben wir vielleicht alle, aber das bedeutet nicht, dass wir tatsächlich erkennen, jetzt speziell, was den Literaturbetrieb oder den Kultursektor anbetrifft, dass wir erkennen, was tatsächlich vorliegt.
Also bloß keine Repräsentationspolitik. Und es ist sehr farbenfroh. Wissen Sie, ich ärgere mich zuweilen auch über irgendwelche Juryentscheidungen, wie viele Kolleginnen und Kollegen von mir, wie die meisten. Ich denke auch, mein Gott, muss man schon wieder ein Familienbuch würdigen. Manches Buch, das bepreist wird, das ist dann eine Geschmackssache, ist für mich weinerlich geraten oder es ist Innerlichkeitsprosa. Das kann man tun, aber man kann nicht sich hinstellen und davon sprechen, dass überall – das grenzt ja an Verfolgungswahn – Nazi-Enkel lauern und deswegen die Barrieren so hoch sind, dass die armen, armen Migranten, in Anführungsstrichen, diese Hürden gar nicht überwinden können. Das macht die besagten herkunftsfremden Deutschen zu Opfern, und das ist großer Blödsinn.
"Ich gelte eher als ein düsterer Gesell"
Meyer: Und wie ist das mit dem Anpassungsdruck für herkunftsfremde Deutsche? Das ist ja Billers Grundvorwurf, dass die deutsche Gesellschaft – jetzt insbesondere der Kulturbetrieb, die Literatur – nichts Fremdes ertragen könne und deshalb alles gleichgemacht werde. Wie haben Sie das erlebt, wie haben Sie Anpassungsdruck erlebt?
Zaimoglu: Überhaupt nicht. Himmel, also es tut mir leid, immer widersprechen zu müssen, aber ich widerspreche dann immer, wenn mir nahegelegt wird, das bitte schön auseinanderzudividieren und es mir einfach zu machen. Was mich anbetrifft: Ich kam ja mit ziemlich harten Büchern, mit Büchern, mit schwer erträglichen Büchern, also ich weiß, wovon ich rede, mit Büchern, die wie die eine oder andere Leserin mir sagte, man zuschlug, um dann später vielleicht wieder ein paar Seiten zu lesen.
Meyer: Sie meinen frühe Bücher von Ihnen wie "Kanak Sprak" und Ähnliches?
Zaimoglu: Genau, oder "German Amok" und … Also ich habe Bücher geschrieben, die nicht dazu angetan waren, jetzt den Leserinnen und Lesern zu gefallen, und von Anpassungsdruck kann keine Rede sein. Diese Bücher wurden gedruckt, die Menschen kamen zu den Lesungen – man macht immer ein Angebot, es gefällt oder es gefällt nicht. Und mittlerweile bin ich seit 20 Jahren dabei, und in diesen 20 Jahren habe ich 18 Bücher geschrieben. Ich gelte eher als ein düsterer Gesell, als einer, der scharf schreibt und immer wieder mal, aber erzählerisch.
Und ich kann wirklich für mich wie auch für Kolleginnen und Kollegen sprechen, da ist kein Druck, da wird auch nicht vom Lektor oder vom Verlag oder von irgendwelchen Gespenstern, unsichtbaren Mächtigen im Sektor mir bedeutet, ich solle bitte schön anders schreiben, sondern im Gegenteil, die Forderung lautet: Schreibe in deiner Sprache, schreibe deine Geschichten auf! Also auch da, leider Gottes, ist es eine Verkennung der Wirklichkeit.
Meyer: Heute wird zum 30. Mal der Adelbert-von-Chamisso-Preis vergeben. Der Autor Maxim Biller hat diesen Preis harsch kritisiert. Über seine Kritik haben wir gesprochen mit Feridun Zaimoglu, Schriftsteller und in diesem Mitglied in der Chamisso-Preis-Jury. Herr Zaimoglu, vielen Dank für das Gespräch!
Zaimoglu: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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