Acht Monate nach dem Lkw-Attentat

Nizzas langer Weg zurück in die Normalität

Eine Mutter und ihre Tochter auf der Promenade von Nizza. Blumen und Steine erinnern an die Anschlagsopfer vom 14. Juli 2016.
Eine Mutter und ihre Tochter trauern um ein Anschlagsopfer. © Burkhard Birke
Von Burkhard Birke · 29.03.2017
Mehr Polizei, mehr Hilfe für die Angehörigen und bis auf weiteres keine Feiern auf Nizzas Promenade. Doch acht Monate nach dem Attentat will die Stadt nicht in der Opferrolle verharren.
Die gleißende Abendsonne taucht die Promenade des Anglais in ein orangefarbenes Frühlingslicht: Ein kleines Mädchen packt ein Kuscheltier aus seinem Schulranzen, legt es zwischen ein paar Blumen und Steine über der Uferböschung auf die Promenade des Anglais. Sie hat ihre Schulfreundin bei dem Attentat verloren, erklärt mir die Mutter der vielleicht Siebenjährigen. Es ist ihr Trauma, ihr Schmerz.
86 Tote, mehr als 400 Verletzte gab es am Abend des 14. Juli. Darüber sprechen möchten die beiden nicht, jedenfalls nicht ins Mikrofon. Selbst den berufsmäßigen Kommunikatoren wie Stadträtin Catherine Chavepeyre fällt die Erinnerung nicht leicht.
"Man muss einfach daran denken, wenn man die Promenade des Anglais entlangläuft. Die Gedanken kommen aus dem Unterbewusstsein. Das dauert vielleicht nur ein, zwei oder zehn Sekunden. Da ist der Laster in die Menge gefahren, da ist es passier. Diese Gedanken werden uns wohl noch sehr lange verfolgen."

Ein Lkw als Waffe

30.000 Menschen waren auf der Promenade des Anglais und wollten das Feuerwerk zum Nationalfeiertag schauen. Zwei Kilometer lang raste der 31-jährige Tunesier Mohamed Lahouaiej Bouhlel mit seinem Lkw durch die Menge, auch über dem Blue Beach, dem Strandlokal von René Colomban. Viele Menschen suchten dort Zuflucht. Seine Kellner waren teilweise traumatisiert, sagt er, dabei stockt René Colomban die Stimme.
"Die Promenade wurde komplett überarbeitet, an vielen Stellen wird noch gebaut, an einigen Stellen hat man Bäume gepflanzt. Autos dürfen nicht mehr fahren, überall patrouillieren Polizisten und Soldaten."
Mit ihren Maschinengewehren im Anschlag sind die vierköpfigen Patrouillen kaum zu übersehen.
"Es wird viel über Sicherheit, über Videoüberüberwachung geredet, aber die sind vor allem da, um Typen wie mich zu verhaften. Ab und zu verkaufe ich ein wenig Hasch, um finanziell über die Runden zu kommen. Aber als das Attentat passierte, da hat war kein Polizist da. Das kotzt mich an."

Feiern auf der Strandpromenade ist tabu

So wie Yannick denken viele Jugendliche in Nizza. Für sie hat sich wenig geändert, oder wenn dann eher zum Nachteil. Sie beschweren sich darüber, dass der Karneval vor ein paar Wochen mit Metalldetektoren und Zäunen gesichert wurde und erstmalig zwölf Euro Eintritt fällig wurden.
Feiern auf der Promenade des Anglais ist tabu - bis auf weiteres jedenfalls. Die Berge an Blumen und Plüschtiere hat man weggeräumt. Kleine aus Stein geformte Herzen, selbstgebastelte Erinnerungsstätten säumen in unregelmäßigem Abstand die Strandpromenade, die den Bürgern von Nizza so lieb wie den Parisern die Champs Elysées ist. PAIX prangt in großen Lettern an einer Stelle: Den Frieden finden viele auch nach mehr als acht Monaten noch nicht.
"Es kommen immer noch Hilfesuchende zu uns, etwa zwei pro Woche, es wären sicher mehr, wenn die Leute besser über uns Bescheid wüssten."
Aus Steinen geformte Herzen und Blumen erinnern an die Opfer des Anschlags vom 14. Juli 2016 auf der Promenade von Nizza.
Aus Steinen geformte Herzen und Blumen erinnern an die Opfer des Anschlags vom 14. Juli 2016 auf der Promenade von Nizza.© Burkhard Birke
Das sagt Serge von der psychologischen Beratungsstelle des städtischen Maison d’accueil des Victimes, das nur ein paar Blöcke entfernt liegt. Als erste Anlaufstelle versteht sich dieses vor eineinhalb Jahren eingerichtete Zentrum für Kriminalitätsopfer, das in dieser Form einmalig in Frankreich ist.

Nizza und sein kollektives Trauma

Am Abend des 14. Juli kamen Hunderte. Von hier wurde die Opferbetreuung organisiert. Gemeinsam mit mehreren privaten Opferberatungsstellen versuchen sie jetzt das Trauma zu verarbeiten. Ein kollektives Trauma, glaubt Stadträtin Catherine Chavepeyre:
"Jeder kennt jemanden, der an jenem Abend auf der Promenade war, vielleicht verwundet wurde. Das hat unsere Stadt ins Mark getroffen. Die gesamte Bevölkerung ist traumatisiert. Die Polizeibeamten, die Reinigungskräfte, die am nächsten Morgen die Spuren beseitigen mussten, die Augenzeugen, die Leute in der Menge."

Mahnmal statt Feuerwerk

Ein Feuerwerk wird es dieses Jahr nicht geben. Dafür ein Mahnmal. Allmählich kehren auch die Touristen zurück. René Colomban vom Blue Beach hofft jedenfalls auf ein besseres Jahr.
"10 bis 30 Prozent Einbruch hatten Restaurants, Hotels und Taxiunternehmen zu verzeichnen. Wir sind jedenfalls für die Saison gerüstet."
Nizza ist widerstandsfähig, nicht bereit, in der Opferrolle zu resignieren, ergänzt Christophe Gerard. Der Leiter des Opferzentrums will optimistisch in die Zukunft schauen.
"Nizza ist Opfer eines gemeinen Anschlags geworden. Nizza ist aber eine stolze und mutige Stadt und wird noch schöner werden."
Mehr zum Thema