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Bundestagswahlkampf
"Die SPD hat zu lange nur ein Lied gesungen"

"Nur wenn Martin Schulz über Wasser gehen kann oder Frau Merkel einen katastrophalen Fehler begeht, ist aus meiner Sicht das Blatt für die SPD noch zu retten", sagte Politikberater Michael Spreng im Dlf. Die SPD habe sich thematisch zu sehr verengt und könne damit keine zusätzlichen Wählerschichten mobilisieren.

Michael Spreng im Gespräch mit Martin Zagatta | 08.08.2017
    Der Politikberater Michael Spreng in einer Talkshow.
    Auch jeder andere aus der SPD hätte es gegen Merkel schwer, meint Politikberater Michael Spreng. (imago / teutopress)
    Martin Zagatta: Es gibt Neuwahlen in Niedersachsen, nachdem Ministerpräsident Weil seine rot-grüne Mehrheit verloren hat. Aber das Gerangel darum, dass der VW-Konzern mitschreiben durfte bei der Regierungserklärung, geht weiter, genauso wie der Streit über die Umstände des Wechsels der Abgeordneten Elke Twesten von den Grünen zur CDU. Aus Hannover Alexander Budde.
    Die rot-grüne Mehrheit ist also futsch in Hannover, das Gerangel um den Regierungsverlust und die Querelen um VW, dass der Konzern an der Regierungserklärung mitschreiben durfte, das alles schadet dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz noch zusätzlich. So sieht das jedenfalls eine Mehrheit offenbar auch in Umfragen. Kann die SPD die Bundestagswahl da jetzt endgültig abhaken? Eine Frage, über die ich jetzt mit dem Publizisten und Politikberater Michael Spreng sprechen kann, der einst Wahlkampfmanager des Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber war, also über entsprechende Erfahrung auch verfügt. Guten Tag, Herr Spreng!
    Michael Spreng: Guten Tag, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Spreng, ist Stefan Weil jetzt tatsächlich eine Belastung für den Wahlkampf von Martin Schulz? Dass sie Distanz zur Autoindustrie hält, das kann die Union von sich ja auch nicht behaupten.
    Spreng: Aber es ist natürlich der Eindruck entstanden, dass gewissermaßen Martin Schulz, seitdem er Parteivorsitzender ist, Pech am Fuß klebt, oder wie man im Fußball sagt, da hatten sie kein Glück, und dann kam Pech dazu. Drei verlorene Landtagswahlen, jetzt die verlorene Mehrheit in Niedersachsen – das ist kein gutes Omen für die Bundestagswahl, und belastet insofern zumindest psychologisch den SPD-Wahlkampf und kann auch zu einer Demobilisierung ihrer Wähler führen.
    Zagatta: Aber wenn man sich das verheerende Echo auf den Diesel-Gipfel anschaut, dann ist doch die Empörung auch über Verkehrsminister Dobrindt von der CSU riesengroß. Wieso bekommt das die Union nicht zu spüren?
    Spreng: Das ist wirklich ein Rätsel, denn natürlich hat Herr Dobrindt keine gute Figur gemacht, und auch ihm kann man zu Recht eine zu große Nähe zur Autoindustrie und zu wenig Distanz nachsagen. Aber in Niedersachsen handelt es sich ja um einen institutionalisierten Konflikt, oder, wenn man bösartig ist, um institutionalisierte Kumpanei. Ein Ministerpräsident trägt zwei Hüte, er muss für das Wohl von VW zuständig sein und für das Gemeinwohl. Und diese beiden Hüte passen nicht zusammen. Das Grundübel ist die Beteiligung des Landes Niedersachsen an VW und die damit verbundene Aufsichtsratstätigkeit des Ministerpräsidenten.
    "Für linke Politiker ist Industrienähe gefährlicher"
    Zagatta: Das war aber unter Unions-Ministerpräsidenten ja auch schon so. Werden denn an linke Parteien oder auch Sozialdemokraten moralisch höhere Maßstäbe angelegt, was die Nähe zur Wirtschaft angeht? Ist das so?
    Spreng: Ja gut, linke Politiker singen ja häufiger auch den hohen Ton der Moral, und sie legen Wert darauf, sich gerade für die kleinen, die einfachen Leute einzusetzen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Insofern ist natürlich für sie Industrienähe oder der Verdacht der Kumpanei gefährlicher, als das für den einen oder anderen CDU-Politiker ist, dem das gewissermaßen eingepreist unterstellt wird.
    Zagatta: Jetzt gibt es aber auch Beobachter, die sagen, dass dieser Koalitionsbruch in Hannover der SPD vielleicht sogar noch – also dieser Koalitionsbruch durch eine grüne Überläuferin zur CDU, dass das der SPD vielleicht zugute kommen könnte, wenn es den Sozialdemokraten gelingt, da jetzt irgendwie eine Stimmung der Empörung zu erzeugen. Darum bemüht sich die SPD auch. Kann das Erfolg haben?
    Spreng: Die SPD und die Grünen hätten etwas draus machen können, wenn nicht jetzt diese Berichte über die Rede des Ministerpräsidenten, die von VW überarbeitet wurde, dazwischengekommen wären. Damit hat ein sogenanntes Agenda-Cutting stattgefunden, also ein Thema wurde abrupt abgeschnitten, und ein anderes, für die SPD kritisches, kam auf die Tagesordnung. Und unter diesem Agenda-Cutting leidet jetzt die SPD.
    Zagatta: Solche Skandale überschatten ja diesen Wahlkampf, der eigentlich – kann man das so sagen? – der eigentlich kaum stattfindet. Hat denn die SPD überhaupt keine zugkräftigen Themen?
    Spreng: Das Problem ist, dass die SPD zu lange nur ein Lied gesungen hat, das Lied von der sozialen Gerechtigkeit. Das ist zwar in ihren Parteigenen verankert und auch korrekt und richtig, aber es reicht nicht aus, um eine Bundestagswahl zu gewinnen. Die wird in der Mitte gewonnen, und dazu gehören eben auch Themen wie Innere Sicherheit und so weiter. Die SPD hatte sich thematisch zu sehr verengt, und jetzt, wenn sie jetzt Wert darauf legt, auch wirtschaftspolitisch kompetent zu sein, kommt ausgerechnet dazwischen natürlich jetzt die Affäre um den Ministerpräsidenten Weil.
    Zagatta: Heißt das, sozialdemokratisch besetzte Themen kommen im Moment beim Wähler nicht so richtig an, weil Angela Merkel da schon die teilweise besetzt mit ihrem Kurs? Ist das ein Grundproblem der SPD, oder liegt das an Martin Schulz selbst?
    Spreng: Ich glaube schon, A) besetzt Merkel die Themen teilweise, und B) ist das Gefühl, dass es Deutschland schlecht geht oder dass es in Deutschland sehr ungerecht zugeht, ist nicht weiter verbreitet als über die Klientel der SPD und der Linken hinaus. Das ist das Problem. Es hat keine Themenerweiterung stattgefunden und damit auch keine Mobilisierung zusätzlicher Wählerschichten. Und das hat Martin Schulz nicht geschafft. Das ist auch ihm anzulasten, aber bei ihm kam natürlich auch viel Pech hinzu wie verlorene Landtagswahlen, für die er nicht verantwortlich war.
    Auch jeder andere aus der SPD hätte es gegen Merkel schwer
    Zagatta: Ist Schulz der Falsche, oder hätte im Moment ohnehin kein Sozialdemokrat eine Chance gegen Merkel?
    Spreng: Ich glaube, gegen Merkel, wie sie sich im Augenblick präsentiert, in dieser ruhigen Art, ein Land, in dem wir gut und gern leben, was ja auch gerade kein sehr politischer Slogan ist. Also diese Stimmung, lass es uns doch einfach mal mit der Kanzlerin weitermachen, gegen die wäre auch kein anderer angekommen, schon gar nicht Sigmar Gabriel.
    Zagatta: Wie bewerten Sie die neuesten Äußerungen von Martin Schulz, der in einem Zeitungsinterview gesagt haben soll, er will auch Parteivorsitzender bleiben, wenn die Bundestagswahl verloren geht. Ist das höchst ungeschickt, ist das schon Resignation, oder muss man so ehrlich sein?
    Spreng: Die Ehrlichkeit ist in Ordnung, aber auf der anderen Seite wirkt das natürlich wie ein Signal der Positions- und Postensicherung auch nach einer verlorenen Wahl. Hört zu, ich lass mich hier nicht zum Schuldigen stempeln, ich bleibe Parteichef. Es kann ihm passieren , dass das von einem Teil der Wählerschaft schon als Resignationssignal gedeutet wird.
    Zagatta: Ist die Wahl für Sie auch schon gelaufen?
    Spreng: Wenn nicht noch ein Wunder passiert, Martin Schulz über Wasser gehen kann oder Frau Merkel einen katastrophalen Fehler begeht, der nicht zu erwarten ist, dann ist aus meiner Sicht das Blatt für die SPD nicht mehr zu retten.
    Zagatta: Also SPD abgeschrieben. Was ist mit den anderen Parteien. Das Dieselthema, der Dieselskandal, diese erregte Diskussion um den Diesel-Gipfel, das müsste doch eigentlich den Grünen Auftrieb geben. Das passiert auch nicht.
    "Grüne werden nicht als Umweltpartei wahrgenommen"
    Spreng: Eigentlich ja, aber die Grünen sind auch irgendwie in ihrem Achtprozentloch gefangen im Augenblick und werden nicht als die Umweltpartei wahrgenommen, obwohl das ja ihr zentrales Thema im Wahlkampf ist. Dieser Diesel-Skandal wird ja auch von der Bevölkerung zwiespältig wahrgenommen. Da ist die Angst der Dieselbesitzer, da ist die Angst der Menschen vor der Umweltbelastung. Da halten sich die Ängste die Waage, sodass die Grünen nicht richtig davon profitieren können.
    Zagatta: Was ist mit der AfD? Das Flüchtlingsthema spielt keine so große Rolle jetzt im Wahlkampf. Wie sehen Sie da die Rolle der AfD? Die hält sich ja wohl oder nimmt in letzter Zeit in Umfragen wieder etwas zu.
    Spreng: Zumindest muss man damit rechnen, dass sie in den Bundestag kommt. Ich glaube, es gibt – die ehemaligen besorgten Bürger sind Wutbürger geworden und artikulieren sich jetzt durch die Stimmabgabe für die AfD, und da ist jetzt schon ein fester Sockel entstanden, der auf jeden Fall über fünf Prozent liegt, und das wird sich auch bis zur Wahl nicht mehr ändern. Das ist eine Mischung aus Protest, Protest gegen Merkel, gegen das System, verprellte konservative Wähler. Ich glaube, diese Gemengelage bleibt bis zur Bundestagswahl erhalten, und wir müssen mit der AfD im Bundestag rechnen.
    Zagatta: Darf ich Sie als ehemaligen Wahlkampfmanager fragen: Da gibt es ja bei der AfD jetzt eine heiße Diskussion, wie man den Wahlkampf betreiben soll. Frau Petry ist da auf Wahlplakaten zu sehen gemeinsam mit ihrem Baby. Mit Ihrer Erfahrung: Macht man so was nicht, oder ist das geschickt?
    Spreng: Ein Politiker muss wissen, wer die private Tür öffnet, bekommt sie nicht mehr zu. Das Baby ist jetzt gewissermaßen für den Rest seines Lebens zum Fotografieren freigegeben für die Medien. Aber Frau Petry ist ja nicht die erste. Ich möchte daran erinnern, der allererste Politiker, der seine Familie mit aufs Wahlplakat genommen hat, war Johannes Rau. Oder auch Edmund Stoiber ist mit seiner Frau plakatiert worden. Das ist kein Ausnahmefall. In dem Fall fällt es halt nur so besonders auf, weil es ein Baby ist.
    Zagatta: Der Publizist und Politikberater Michael Spreng heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Spreng, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Spreng: Danke, Herr Zagatta!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.