Achava Festspiele Thüringen

Die Psalmen als Brücke

Die Verantwortlichen der Achava Festspiele Thüringen: Helmut Seemann, Vorstandsvorsitzender Achava e.V., Martin Kranz, Intendant, und Jascha Nemtsov, Künstlerischer Leiter.
Die Verantwortlichen der Achava Festspiele Thüringen: Helmut Seemann, Vorstandsvorsitzender Achava e.V., Martin Kranz, Intendant, und Jascha Nemtsov, Künstlerischer Leiter. © imago/Bild13
Von Blanka Weber · 06.09.2015
Das "Lutherland Thüringen" hat sich mit den Achava Festspielen an ein großes jüdisch-interreligiöses Festival gewagt, das zugleich ein Impulsgeber für die Ökumene sein will. Die Festspiele beeindrucken, doch es bleiben auch offene Fragen.
"Es gab eine große Überraschung für mich, als die Anfrage kam, das Startkonzert von Achava in den Dom zu legen und es war eine große Freude, dass der RIAS Kammerchor mit ausgewählten Kantoren Psalmen in den Mittelpunkt ihres Programms gestellt haben und darüber freue ich mich noch und das war ein großartiger Abend."
Gregor Arndt ist Dompropst im Erfurter Dom, dem Symbol der Stadt und dem markanten Ort des katholischen Bistums. Ein Ort, an dessen Pforte allerdings auch auf der Seite der törichten Jungfrauen eine traurige und blinde Synagoga dargestellt wird. Wo die historische Judenfeindlichkeit in Stein gemeißelt sichtbar ist, dort wurde nun also Achava, das neue jüdische Festival in Thüringen, eröffnet.
"Achava, Brüderlichkeit, überhaupt die Fixierung auf die jüdische Tradition, war am Anfang für mich und auch Bekannte von mir etwas eigenartig, weil wir die Frage stellten, wie ist in diesem Kontext das Judentum, das Christentum, wie steht es dazu - aber ich muss sagen, es war in der Weise richtig gewählt, einen Ausgangspunkt zu sehen, nämlich die jüdische Tradition, in die wir christliche als auch muslimische Geschwister mit hinein gestellt sind, und das Geniale finde ich heute noch, dass die Psalmen an den Anfang gesetzt wurden."
Die Brücke ist der Bezug zum Buch der Psalmen, jener biblischen Sammlung aus religiösen Dichtungen, Klage- und Wallfahrtsliedern, Gebeten und Lobeshymnen. Einige von ihnen trugen Kammerchor und Kantoren in Vertonungen jüdischer Synagogenkomponisten vor.
"Musik fängt dort an, wo die Worte aufhören"
Das beeindruckende Konzert war der Auftakt des Festivals, das ein Plädoyer für interreligiösen und interkulturellen Dialog im "Lutherland Thüringen" sein soll, wie der Intendant der Festspiele Martin Kranz formuliert.
"Ich glaube ganz sicher, dass Musik dort anfängt, wo die Worte aufhören, das heißt, dort können wir ganz anders emotional zum Thema Begegnung arbeiten, das ist das erste, und da geht es um das Erleben. Das zweite sind die Diskussionsrunden, sind die Foren, wo man über die Themen, über die Krisen, über die Kriegsgebiete, verschiedene Dinge in dieser Welt redet und zwar sehr offen, diskursiv ist, aber immer und das, glaube ich, soll sich durchs Festival ziehen, mit Respekt dem anderen gegenüber. Wir müssen hart an der Sache sein, weil, es geht um große und schwierige Fragen und Probleme."
"Unter dem Feigenbaum" heißt deshalb eine Gesprächsreihe, bewusst kontrovers, ein Blick auf die Krisengebiete dieser Welt: Syrien, Irak, Ukraine, der afrikanischen Kontinent und seine Flüchtlinge. Auch der Iran und dessen Verhältnis zum Judentum waren Thema.
Der iranische Arzt Hossein Pur Khassalin steht Rede und Antwort zur Politik seines Landes, dem Umgang mit Juden, der radikalreligiösen Bewegung und erklärt seine Sicht auf die Regierung:
"Seitdem Herr Rohani Präsident geworden ist, ich und Millionen von Iraner haben sehr viel Hoffnung gesetzt auf Zukunft Irans."
Der Weg hin zu Brüderlichkeit ist noch weit
Es geht darum, wo der radikale Fundamentalismus seine Wurzeln hat, welche Rolle die westliche Welt spielt, um Invasionen und politische Einmischung. Auf dem Podium in der Staatskanzlei von Erfurt wird klar: der Weg hin zu Brüderlichkeit ist noch weit. Jascha Nemtsov, der künstlerische Leiter des Achava Festivals und Musikprofessor für jüdische Musikgeschichte, sitzt nach der Absage anderer Referenten auch auf dem Podium und reagiert mit scharfem Zynismus auf die iranische Sichtweise:
"Heute darf sogar die Staatskapelle Berlin im Iran auftreten, allerdings ohne den jüdischen Dirigenten Daniel Barenboim, das ist natürlich ein großer Fortschritt und eine Reform."
Es geht um Verstehen, Verständnis, aber auch um viele Missverständnisse und um Leugnung. An dieser Stelle wird klar, dass es noch vieler "Gespräche unter dem Feigenbaum" bedarf.
Martin Kranz organisierte elf Jahre lang die Jüdischen Kulturtage in Berlin, dort gab es dieses Jahr für sein Konzept keine Unterstützung mehr. Es sei in der Hauptstadt auch nicht gelungen, so Kranz, interreligiös zu wirken.
"Insofern war der Impuls 'interreligiös und interkulturell' hier zu etablieren einer, der auch daraus kam, dass es in Berlin nicht gelungen ist, muss ich sagen, ganz klar."
Eine große Stärke waren die Zeitzeugengespräche
Der Start des Festivals in Thüringen war nicht leicht. Zwar warb die Politik, die Wirtschaft sponserte, Akteure wurden ins Boot geholt. Doch anderen etablierten Festivalveranstaltern gefiel nicht, dass künftig mit großen Budget gearbeitet werden darf, während kleine Festivals seit Jahren nur minimale Förderung für ihre interkulturelle Arbeit bekommen. Man will und muss auch aufeinander zugehen, weiß der Intendant.
Eine große Stärke des Festivals waren die Zeitzeugengespräche. Beeindruckend und ergreifend: Eva Fahidi-Pusztai, die fast 90-Jährige Auschwitz- und Buchenwald-Überlebende.
"Ich wünsche den Menschen, den jungen Menschen, die heutzutage nicht so sehr schwärmen, dass sie sich doch ein Ziel finden, was würdig ist. Und das passt so gut zum Achava, auch zum Wort, dass ich heute erlernt habe, dass das Brüderlichkeit bedeutet."
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