Abwesenheit und Schmerz

Von Franziska Stürz · 16.05.2012
Die "Geschichte des Verlustes" hat Peter Ruzicka in den Mittelpunkt der 13. Münchner Biennale gestellt. Die dritte Uraufführung "Wasser" hat der 1968 geborene Arnulf Herrmann sein erstes "Musiktheater in 13 Szenen" genannt - für das "Ensemble Modern" der Scola Heidelberg unter Leitung von Hartmut Keil, fünf Sänger und eine Sängerin.
Ein Mann kommt in ein Hotelzimmer, das er als schön, hell und freundlich empfindet, öffnet den Rollladen am großen Fenster und wird hineingezogen in eine albtraumartige Begegnung mit mehreren Doppelgängern und einer verführerischen blonden Frau. So setzt die Regisseurin Florentine Klepper die Handlung der Oper in Gang, obwohl der Komponist Arnulf Herrmann die erzählbare Geschichte im Hintergrund seines Werkes sieht. Für ihn geht es um die Klangwelt des Unkonkreten, um indirekte Perspektiven auf Assoziationen und Sehnsüchte, als sei die Realität in Wasser gespiegelt.

Konkret findet sich das Element Wasser nur im Aquarium der Holz getäfelten, bedrückenden Sechziger Jahre - Hotellobby, in der sich der sprachlos gewordene Mann Robert umgeben von Doppelgängern der verlockenden Frau Katja nähert, mit ihr tanzen möchte und die ihm doch wieder entgleitet. Der Orpheus-Mythos stand Pate bei der Wahl dieser Thematik, und obwohl Herrmann absichtlich eine Geschichte nur ahnen lässt, sind sowohl seine Tonsprache als auch die Lyrik des Librettisten Nico Bleutge dramaturgisch äußerst geschickt aufgebaut. Immer wieder spannt Herrmann große Bögen in den dreizehn Szenen seiner Oper und verbindet sie durch instrumentale Zwischenspiele, die er "Wassermusiken" nennt. Hier spielen die Mitglieder des Ensemble Modern unter anderem auf mit Wasser gefüllten Metallschüsseln: Das tröpfelt, wogt und wabert zart, um dann wieder aufzubrausen, wie in der Tanzszene, in der ein verzerrter Swing zu hören ist.

Librettist Nico Bleutge war maßgeblich beteiligt am Entstehungsprozess des Werkes. Herrmann wollte keinen fertigen Text vertonen, sondern beide entwickelten in kongenialer Zusammenarbeit eine erstaunlich ausdrucksstarke Sprache für das Unkonkrete.

Die Musiker des Ensemble Modern befinden sich auf der linken Bühnenseite, schwarz gekleidet mit weißer Fliege, wie Hotelboys. Obwohl sie nicht aktiv in der Aktion mitwirken, sind die plastischen Klänge, die sie produzieren ein wesentliches Element dieser spannenden Produktion. Regisseurin Florentine Klepper hat im Bühnenbild von Adriane Westerbarkey auch überdimensionale Saiten aufspannen lassen, die zur Musik von den Doppelgängern des Robert gezupft werden. Hier hat ein Team die ideale Verbindung von optischer und akustischer Stimulation geschaffen, die Musiktheater im Kern ausmacht.

Die Suche nach dem wesentlichen Element des Musiktheaters war ja auch ausdrücklicher Bestandteil der zahlreichen Nebenveranstaltungen des Festivals. Als Fazit zur 13. Münchener Biennale bleibt nach dieser rundum gelungenen Produktion vor allem der Appell zum Fortführen dieses experimentellen Forums zur Suche nach zeitgemäßen Ausdrucksmöglichkeiten des Musiktheaters. Nicht die einzelnen Werke sind es, die hier richtungsweisend werden, sondern das multidimensionale Erlebnis von unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Realisierungsmöglichkeiten. Das Ziel, Impulse zu setzen, Diskussionen anzuregen und die Sinne zu schärfen für neue Sichtweisen, hat das Festival aus meiner Sicht eindeutig erreicht.
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