Abtei Saint-Maurice

1500 Jahre Lobgesang

Von Werner Bloch · 20.09.2015
Am 22. September feiert die Schweizer Abtei von Saint-Maurice ein ganz besonderes Jubiläum, mit dem sich kein Kloster der westlichen Welt bisher schmücken kann: 1500 Jahre gibt es die Abtei schon.
Krieg in Europa. Im Mai des Jahres 1800 zieht Napoleons Armee durch die Alpen Richtung Italien. Doch zuvor ist da diese Abtei im Wallis, die Napoleon reizt und die am Wegrand liegt: Saint-Maurice mit seinen legendären Schätzen, die älteste Abtei des Abendlandes. Hier will Napoleon den Kirchenschatz plündern, darunter den goldenen Schrein des Heiligen Mauritius.
Doch Napoleon findet – nichts. Der Abt hatte die Schätze bei den benachbarten Bauern versteckt. Napoleon tobt. "Man könnte fast annehmen, diese Abtei existiere gar nicht", soll er gebrüllt haben. Und der Abt antwortete seelenruhig: "Ja, Sire, Sie haben Recht. Wir existieren nicht."
Doch Saint-Maurice existiert seit dem 6. Jahrhundert, allen Bedrohungen und Gefahren zum Trotz. Der Abt, Monsignore Jean César Scarcella:
"Wir feiern den 1500. Geburtstag unserer Abtei, der einzigen Abtei im Abendland, die immer 'in Betrieb' war. Sie lebt lange und sie wird weiterleben. Wir wollen, dass diese Abtei bleibt, was sie ist: ein Haus zum Beten, mit dem ewigen Lobpreis Gottes – und ein Haus, das sich der Welt öffnet."
Von muffiger Verstaubtheit keine Spur
Der neue Abt von Saint-Maurice ist erst ein paar Wochen im Amt. 43 Männer gehören zu der Gemeinschaft, die meisten so genannte Chorherren, die auch als Priester in den umliegenden Gemeinden arbeiten. Es genügt, einen Tag in diesen Mauern zu verbringen, um zu merken: von muffiger Verstaubtheit und ideologischer Verbohrtheit keine Spur. Im Gegenteil: Offenheit, Liberalität und ein erstaunliches Miteinander prägen den Ort. Der Chorherr Cyrille Rieder:
"Das ist irrsinnig. Man darf dabei Humor haben und gerne irgendwo ein Fest feiern und engen Kontakt mit den Leuten haben, die Chorherren sind vor allem Lebemenschen."
Leichtfertig aber findet keiner den Weg hierher, an die schmalste Stelle des Rhonetals, wo eine immense Felswand aufragt. Der jetzige Abt zum Beispiel war schon 30, als er eintrat, nach langen Zweifeln. Zuvor war er ein weltberühmter Pianist, der seine Diplome am Konservatorium gemacht hatte und der sein Leben auch als Profimusiker in großartigen Orchestern auf der Welt hätte finden können. Aber dann hatte er seinen Moment spiritueller Klarheit und entschied sich für dieses Leben unter der Regel des Heiligen Augustinus: Liebe und tu was du willst.
"Ganz sicher gibt es unter uns einen Geist, der aus der Regel des Heiligen Augustinus kommt. Er war der Herold der Liebe, der Freiheit und der Selbstentdeckung. Als ich hierher kam, hat mich das beeindruckt, diese gute Laune, das angenehme Leben."
Das Herz von Saint-Maurice: die Schatzkammer
Die geografische Lage war immer schon ein Problem für die Abtei. Sieben Mal hat es Felsstürze gegeben, siebenmal wurde die Kirche neu aufgebaut. Auch Großbrände und Plünderungen hat die Abteil erlebt, weiß Chorherr Thomas Roedder aus Deutschland:
"Bemerkenswert ist trotz aller Zerstörungen, dass die Chorherren nie aufgegeben haben und sich auch nie entschlossen haben, woanders hinzugehen, sondern hier am Ort die Verehrung der Märtyrer Mauritius und seiner Gefährten fortzusetzen."
Der Heilige Mauritius war Anführer der so genannten "Thebäischen Legion", die aus Nordafrika stammte und von den Römern in das Gebiet des Genfer Sees geschickt wurde, um dort das Christentum zu bekämpfen. Doch Mauritius wurde selber Christ und daraufhin von anderen römischen Truppen, zusammen mit seiner ganzen Einheit, umgebracht. Sein Martyrium soll sich Ende des 3. Jahrhunderts zugetragen haben. Der burgundische König Sigismund errichtete 515 zu seinen Ehren die Abtei Saint-Maurice.
Heute erstreckt sich hier eine gewaltige Ausgrabungszone, die jetzt völlig erschlossen wurde – eigens für die Feierlichkeiten zu den 1500 Jahren. Hier liegen die Gräber des Heiligen Mauritius und seiner Mitstreiter, umgeben von hellem Stein. In der kleinen Kapelle werden bis heute Messen gefeiert. Über dieser Ausgrabungsfläche ruht ein riesiges Dach, vertäut mit 43 Seilen, die in den angrenzenden Fels hineingetrieben wurden, und beschwert von 170 Tonnen Steinen, damit die Konstruktion auch bei Wind nicht weg weht.
Gleich daneben: das Herz von Saint-Maurice, die Schatzkammer.
"Wir sehen auf diesem Reliquienschrein eine Darstellung des Heiligen Mauritius, unterhalb davon eine Szene, die seine Enthauptung, sein Martyrium zeigt. Alle diese Objekte, die hier ausgestellt sind, sind Gaben von Pilgern. Unter diesen Pilgern finden Sie Kaiser, Könige, Herzöge und Bischöfe."
Nur einmal wurde der Abteischatz ausgestellt
Wer alles hier war – unglaublich. Sogar der heilige Martin soll zur Gründung des Klosters gekommen sein. Nur einmal wurde dieser Abteischatz, der zu den wichtigsten Europas gehört, ausgestellt. Im Frühjahr 2014 im Louvre – ein grandioser Erfolg. Für den Abt zählen aber nicht die weltlichen Schätze des Klosters und auch nicht die Historizität der Heiligenlegenden:
"Wenn Saint-Maurice nicht existiert hätte, würde das nichts ändern. Denn das Wesentliche ist das Aufblühen des Glaubens, die Taufe dieser Erde durch das Blut von Maurice. Man braucht den Beweisen nicht hinterher zu rennen, das Entscheidende ist, was wir erleben und was die Kirche vermitteln konnte."
Eine bemerkenswerte Ansicht. Am 22. September, dem Tag des Heiligen, tragen die Chorherren die Reliquienschreine auf ihren Rücken aus der Kirche und ziehen einmal durchs Dorf. In diesem Jahr hatten manche wohl sogar den Papst erwartet – aber der könne ja auch ein andermal kommen, meint Cyrille Rieder.
"Wir sind nicht frustriert, wenn er nicht kommt."
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