Abstrakte Malerei

Im Wirbel der Bilder

Karl Otto Götz im Alter von 85 Jahren in einem Atelier, im Hintergrund einige Gemälde.
Karl Otto Götz, deutscher Maler und Vertreter der abstrakten Kunst, aufgenommen im Jahr 2000, stellt in der Neuen Nationalgalerie in Berlin aus. © picture alliance / dpa / Dieter Klaas
Von Jochen Stöckmann · 11.12.2013
Als Vorreiter der Abstraktion gilt der Maler Karl Otto Götz. Kurz vor seinem 100. Geburtstag widmet ihm die Neue Nationalgalerie in Berlin eine glänzende Werkschau und geht den "inneren Ideen seiner Bilder" nach.
Selten zuvor waren die Erwartungen an eine Ausstellung so sehr mit der Person des Künstlers verknüpft: Karl Otto Götz, der demnächst seinen 100. Geburtstag feiert, hatte 1940 als Wehrmachtssoldat in Dresden illegal sein Künstleratelier eingerichtet, im Hinterzimmer einer Galerie sah er die verbotenen Bilder von Paul Klee, Otto Dix, Emil Nolde. Wenig später dienten ihm Störungen auf dem Radarschirm als Inspiration, unter anderem für die sogenannten "Luftpumpenbilder“. Nach Kriegsende dann wurde Götz mit seiner gestischen Malerei zum Vorreiter der Abstraktion, war das einzige deutsche Mitglied der CoBrA-Gruppe. Ob Joachim Jäger, Leiter der neuen Nationalgalerie, diese Erwartungen erfüllt?
"Man hat fast so etwas wie eine kleine Zeitreise vor sich: In den 30er-Jahren gibt es diesen Holzschnitt 'Gefangen', da sieht man das durchaus Beklemmende dieser 30er-Jahre. In den 50er-Jahren dann schon diese Offenheit, dieses Spielen. Keine Experimente war das Schlagwort in Deutschland - im Gegenteil: Die Künstler haben in großem Maße experimentiert und das sieht man an dieser Wand."
Vor allem kann Kurator Joachim Jäger neben den großformatigen "Wirbelbildern“ in Vitrinen erstmals die Vorskizzen präsentieren, regelrechte Drehbücher, mit denen Karl Otto Götz seinen Tanz mit und über der Leinwand sorgsam choreographierte. Diese Art des "action painting“ ähnelt nur sehr oberflächlich der spontanen Malerei Jackson Pollocks, ist eher mit naturwissenschaftlichen Experimenten vergleichbar. Und wie bei Laborergebnissen gelangt man bei diesen Bildern nur mit Vorstellungskraft und einem ebenso unverstellten wie zugleich geschulten Blick bis auf den Grund.
"Karl Otto Götz sagt, dass man seine Arbeiten ablesen muss. Wenn man sich darauf einlässt, dann packt einen schon auch die eigene Neugier, wie man sich mit diesen Bildern in einen Dialog bringen kann. Man findet sehr schnell den eigenen Rhythmus, wenn man das Glück hat, relativ alleine vor den Arbeiten zu stehen."
Besucher in der Werkschau von K.O. Götz in der Neuen Nationalgalerie vor abstrakten Malereien des Künstlers.
Besucher in der Werkschau von K.O. Götz in der Neuen Nationalgalerie vor abstrakten Malereien des Künstlers.© picture alliance / dpa / Rainer Jensen
Das Werk "I-Elemente" von Karl Otto Götz in der Berliner Neuen Nationalgalerie.
Das Werk "I-Elemente" von Karl Otto Götz in der Berliner Neuen Nationalgalerie.© picture alliance / dpa / Rainer Jensen
Für Christina Weiss, die Vorsitzende des Vereins der Freunde der Nationalgalerie, ist das Werk von Karl Otto Götz bestens aufgehoben in einem Museum, das seinen Besuchern wie in einer Zeitmaschine die kontemplative Reise zurück an den Ursprung jedes einzelnen seiner so unterschiedlichen, im Grunde alle Stileinordnungen sprengenden Bilder erlaubt. Seit heute aber hat die Nationalgalerie mit VW einen zweiten, finanziell weitaus potenteren Förderer - und Benita von Maltzahn, zuständig für "Kultur und Gesellschaft“ würde das Haus lieber in eine quotenträchtige Event-Turbine verwandeln:
"Vielen ist sicherlich die Ausstellung 'MoMA in Berlin' in Erinnerung, bei der sich die Besucher hier für Stunden in Warteschlangen eingereiht haben. Und genau da möchten wir unterstützen können, dass Kunst weiter zu so einem inspirierenden Erlebnis für alle wird. Und wir wünschen uns auch ganz besonders für diese Ausstellung in diesen Räumen einen regen Besucherstrom."
Wo aber soll dieses überbordende Interesse herkommen für Informel, Tachismus, abstrakt-kinetische Bilder? So heißen die Schubladen, in die Götz bisher gepackt wurde. Davon wegzukommen, bedeutet: Im aufmerksamen Hinschauen vor dem geistigen Auge durchspielen, was tatsächlich alles in diesem Werk steckt. Etwa die sequentielle Wahrnehmung: Wenn da eine 'Hommage à Melville' neben 'Dantons Tod' hängt, dann geht es trotz aussagekräftiger Titel um formale Varianten, nicht um Serien wie in der Pop Art. Obwohl deren knallige Farbklänge oder Streifenmuster nicht fehlen. Aber um diese tiefgründige Vielfalt scheint es dem Kunst-Förderer VW nicht zu gehen:
"Es ist kein Geheimnis, dass Volkswagen als Automobilunternehmen sich erfolgreich schlägt. Doch Erfolg ist nur dann nachhaltig, denken wir, wenn auch Verantwortung übernommen wird, Verantwortung für ein gesellschaftliches Leben. Kunst hält uns allen den Spiegel vor und ist daher unheimlich wertvoll für die Gesellschaft."
Ein oberflächliches Ranking "hat ein Karl Otto Götz weder nötig noch verdient"
Tut sich also mit jedem Bild von Götz einfach nur ein Spiegel historischer Begebenheiten auf, darf dieses Oeuvre - immerhin in den 30er-Jahren beginnend - als simples Barometer gesellschaftlicher Entwicklungen gelten?
"Karl Otto Götz ist vor allen Dingen ein Maler. Er hat auch in anderen Medien gearbeitet, er hat auch literarisch gearbeitet, aber ich würde sagen, sein Hauptfokus ist die Malerei. Und unser Eindruck war, dass Karl Otto Götz ein bisschen verschüttet ist durch zu viel Kulturgeschichte. Und wir haben gesagt: Nein, wir wollen - wie das bei anderen Künstlern des Jahrhunderts auch der Fall ist - den Blick lenken auf die inneren Logiken und die inneren Ideen seiner Bilder."
Als Leiter der Neuen Nationalgalerie lässt Kurator Joachim Jäger - vielleicht muss man einschränken: noch - den Künstler und seine Kunst zu seinem Recht kommen. Und damit auch ein Publikum, das eher an den Bildern interessiert ist als an einem oberflächlichen Ranking in Kategorien wie "hochkarätig“ oder "einer der wichtigsten Künstler Deutschlands“. Das nämlich hat ein Karl Otto Götz weder nötig noch verdient - bereits die ersten Blicke in diese grundsolide und gerade deshalb: glänzende Ausstellung beweisen es.
Mehr zum Thema