"Absolut geglückt und von einsamer Größe"

Rolf Hochhuth im Gespräch mit Susanne Führer · 08.11.2011
Der Dramatiker Rolf Hochhuth lobt das neue Denkmal für den Hitler-Attentäter Georg Elser in Berlin. Elser habe es verdient, als Person gezeigt zu werden, sagte der Mitinitiator über die 17 Meter hohe Skulptur mit der Silhouette des Gesichts von Elser.
Susanne Führer: Im Gedenken an den Hitler-Attentäter wird heute in Berlin ein Georg-Elser-Denkmal der Öffentlichkeit übergeben, eine 17 Meter hohe Stahlskulptur, die das Profil Elsers zeigt. Einer der Redner ist dann der Schriftsteller Rolf Hochhuth, der den Anstoß für ein Elser-Denkmal in Berlin gegeben hatte. Guten Tag, Herr Hochhuth!

Rolf Hochhuth: Guten Tag, Frau Führer!

Führer: Warum haben Sie sich jahrelang so eingesetzt für ein Elser-Denkmal?

Hochhuth: Weil Johann Georg Elser sechs Jahre vor Stauffenberg, nämlich schon 1938, in München zur Tatortbesichtigung gefahren ist, denn dieser 8. November war der einzige Tag im ganzen Jahr, wo jeder wusste, wann ist wo Hitler zu finden und zu ermorden.

Führer: Er ist sechs Jahre vorher hingefahren, und fünf Jahre vorher hat er es versucht dann, eben 1939, und das ist der Grund, warum Sie sich für ihn einsetzen? Es gab ja noch andere Attentatspläne, Versuche.

Hochhuth: Sie sagen, es gab noch andere Pläne. Es gibt immer Leute, die rumquatschen, aber ernst zu nehmen sind allein die, die es durchsetzen. Es gibt nur diese zwei unter Deutschen.

Führer: Sein Attentat ist ja fehlgeschlagen, wie wir alle wissen, am 8. November 1939 …

Hochhuth: Fünf Minuten hat seine Bombe Hitler verpasst. Elser war ein höchst gewissenhafter Mann. Er wusste, wie lange stets der Führer in vorangegangenen Jahren gesprochen hatte, aber Hitler bekam einen Zettel aufs Pult, er könne wegen Nebels nicht starten, er müsse den Zug nach Berlin nehmen, und ist überstürzt deshalb – und früher als in jedem vorangegangenen Jahr – aufgebrochen.

Führer: Also, die Bombe hat ihn um wenige Minuten verpasst. Georg Elser wurde ja jahrzehntelang – ja, wie soll man sagen? – beschwiegen, also es gab ihn sozusagen gar nicht, weder in den westdeutschen noch in den ostdeutschen Geschichtsbüchern. Heute boomt das Elser-Gedenken schon geradezu: Viele Straßen und Plätze wurden nach ihm benannt, Schulen auch, jetzt das neue Denkmal in Berlin. Wie erklären Sie sich diesen Wandel, Herr Hochhuth?

Hochhuth: Das ist in der Geschichte nicht selten, dass Märtyrer erst einmal Jahrzehnte verkannt werden. Das große Lexikon der Ostzone, der "Rote Meyer", hat ihn genau wie das repräsentative Lexikon der BRD bis Ende der 90er-Jahre, nicht genannt. In der Ostzone wurde er überhaupt niemals genannt. Es passte nicht dieser Mann in das Bild des vorbildlichen Kommunisten, er war eben zu idealistisch, er gehörte keinem Kollektiv an, war nie in einer Partei, und Einzelgänger werden nicht geschätzt, weder in so sich nennenden Demokratien noch in Diktaturen. So war das immer.

Führer: Sagt es vielleicht auch was über unsere Zeit aus, dass wir ihn heute so schätzen?

Hochhuth: Es ist jedenfalls ein positiver Aspekt, und sie müssen ja bedenken, dass das Denkmal, was heute um 12 Uhr mittags in der Wilhelmstraße eingeweiht wird, ist ja immerhin das erste Widerstands-Denkmal, seit im Bendlerblock die Figur von Scheibe vor mindestens 45 Jahren enthüllt wurde. Insofern ein denkwürdiger Tag, und nichts ist repräsentativer für die undankbaren Deutschen, dass dpa zum Beispiel sich geweigert hat, eine Meldung über diese Denkmalsenthüllung aufzunehmen mit dem Argument: Das ist ja nicht so wichtig. (Anmerkung der Onlineredaktion: Die Nachrichtenagentur dpa widerspricht Hochhuths Aussage, wir zitieren aus einem Schreiben der dpa: "Die von Herrn Rolf Hochhuth am 8. November im Deutschlandradio Kultur aufgestellte rufschädigende Behauptung über die dpa entbehrt jeder Grundlage. Wir haben ausführlich in Wort und Bild über das neue Denkmal für Georg Elser in Berlin berichtet - sowohl im Vorfeld der Veranstaltung als auch am Tag der Denkmalsenthüllung selbst.")

Führer: Acht Menschen sind durch Elsers Bombe im Münchner Bürgerbräukeller gestorben, darunter war auch eine Aushilfskellnerin, Maria Strobel. Über 60 Menschen wurden verletzt. Also Elser war ein Attentäter, der aber dann letzten Endes die falschen umgebracht hat. Ist es dann richtig, ihn zu würdigen? Ist da nicht auch ein moralisches Dilemma mit verbunden?

Hochhuth: Das stimmt nicht. Mit jedem Attentat ist ein moralisches Dilemma verbunden. Durch die Bombe Stauffenbergs in der Wolfsschanze ist ein ehemaliger Reichstagsstenograf umgekommen. Natürlich ist ein Attentat immer auch eine moralische Frage, aber was Elser betrifft, er hatte sich genau informiert: Wann und wie lange spricht Hitler? Und dass Hitler eben elf Minuten früher, weil er nicht den Flieger nehmen konnte, sondern nun den Zug nehmen musste, musste er überstürzt – viel früher als in jedem anderen Jahr – nach Berlin reisen. Und während der Führer sprach – so war es in jedem Jahr – durfte niemals serviert werden. Das hat Elser ganz genau zur Kenntnis genommen. Es ist nicht seine Schuld, dass auch eine Kellnerin umkam. Und die anderen, die umgekommen sind, sind natürlich alles profilierte Nazis gewesen, denn andere durften gar nicht in der Nähe Hitlers während seiner Rede sitzen.

Führer: Trotz seiner Größe – oder sagen wir vielleicht besser Höhe, also 17 Meter geht ja diese Stahlskulptur in die Höhe – ist dieses Denkmal fast ein bisschen – wie soll man sagen? –, ja, filigran ausgefallen. Also der Künstler Ulrich Klages hat ja das Profil Elsers mit diesem Stahl sozusagen in die Luft gemalt. Was gefällt Ihnen an diesem Denkmal, Herr Hochhuth? Ich nehme mal an, dass es Ihnen gefällt!

Hochhuth: Ich finde es absolut geglückt und von einsamer Größe in einer Epoche, die zum Beispiel Grützkes Elser-Denkmal für Konstanz noch abgelehnt hat, weil sie wie ein Pawlowscher Hund nur noch gegenstandslose Kunst zugelassen hat. Der Hermann-Hinrich Reemtsma, der – zwei Tage, nachdem ich in der "Welt" dieses Elser-Denkmal gefordert habe vor fünf Jahren – zwei Tage später in der "Welt" geschrieben hat, ihm, Reemtsma, würde es gefallen, war sich mit mir einig: Es darf kein gegenstandsloses werden, sondern es muss den Elser als Person – das hat er verdient – zeigen. Und das hat Ulrich Klages absolut mustergültig und gegen den Zeitgeschmack herausgearbeitet. Dafür bewundere ich ihn.

Führer: Was wäre denn heute zu lernen von Georg Elser?

Hochhuth: Dass man sich auflehnen muss, dass man auch, glückverdummt wie wir seit 66 Jahren Frieden, aufpassen muss, dass die Demokratie partiell in Diktaturen entartet. Der Bürger muss auf der Hut sein. Und je gefährlicher die Situation, um so mehr ist das seine Pflicht, und Elser war einer, der war der eine von 60 Millionen Deutschen, der genau wusste, dass er mit dieser Tat aufs Höchste sein Leben riskiert. Ich habe vor über 40 Jahren meine Elser-Ballade veröffentlicht. Darin heißt es: "Kniet 44 Nächte vor der Säule", und so weiter. Der Mann war von einem Todesmut ohne Beispiel, und das bedeutete, dass er acht Jahre vor Stauffenbergs Bombe schon zur Tatortbesichtigung in München war.

Führer: Ist das Faszinierende nicht auch an Georg Elser, dass er nicht gewartet hat, dass andere kommen und ihm helfen, ihn unterstützen, dass er gesagt hat: Jetzt kommt es drauf an, ich muss handeln, weil es sonst keiner tut?

Hochhuth: Vorbildlich, und vor allen Dingen: Er hat einem einzigen Menschen, seinem engsten Schulfreund, dem hat er das anvertraut. Der Attentäter ist immer ein Einzelgänger. Es ist die geniale Einsicht von Schiller, dass er seinen Wilhelm Tell nicht am Rütlischwur teilnehmen lässt, sondern als Einzelgänger handeln lässt. Das hat Schiller instinktsicher erkannt - der Attentäter kann nur ein Einzelner sein.

Führer: Der Schriftsteller Rolf Hochhuth, er wird heute eine Rede halten, wenn das Elser-Denkmal feierlich der Öffentlichkeit übergeben wird in Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Hochhuth!

Hochhuth: Ich danke Ihnen, Frau Führer!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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Attentäter aus Gewissensgründen - Georg Elser sah das Grauen voraus - am 9. November 1939 verübte er ein Attentat auf Hitler, ohne Erfolg
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