Abseits greller Effekte

Von Jürgen Liebing · 03.10.2011
Das wäre vor 20 Jahren noch unmöglich gewesen: Zwei Opernhäuser in einer Stadt eröffnen ihre Spielzeit mit einer Oper von Leoš Janáček. Am 2. Oktober in der Komischen Oper "Das schlaue Füchslein", die letzte Inszenierung des Intendanten Andreas Homoki, und am 3. Oktober in der Staatsoper "Aus einem Totenhaus", inszeniert von Patrice Chéreau – beides Spätwerke des tschechischen Komponisten, die aber beide nicht unterschiedlicher sein können.
Homoki und sein Bühnenbildner Christian Schmidt haben eine beinahe geniale Idee. Selten war der Einsatz der Drehbühne konsequenter, denn die geviertelte Scheibe zeigt jedes Mal denselben Raum, nur jeweils in unterschiedlichen Situationen, sodass die verschiedenen Stimmungen und Zeitebenen logisch folgen, mit fliegenden Wechseln.

Auch der Wechsel von Tiergestalt zu menschlichen Wesen ist nicht "niedlich". "Das schlaue Füchslein" ist nicht, was manche Inszenierungen nahelegen, eine Kinderoper, sondern ein Märchen für Erwachsene über die Endlichkeit des Lebens, über Werden und Vergehen.

Leider ist die musikalische Seite nicht so überzeugend. Alexander Vedernikov vermag das Besondere der Musik Janáčeks nicht rüberzubringen.

"Aus einem Totenhaus" war Leoš Janáčeks letzte Oper – einen Monat nach der Vollendung starb der Komponist. Die Uraufführung hat er nicht mehr erlebt.

Dass die Staatsoper ihre zweite Spielzeit im Schillertheater mit quasi einer Neuauflage einer bereits anderswo erfolgreich gezeigten Oper eröffnet (sie wurde bereits in Wien, Aix, Amsterdam, Mailand und New York gezeigt), mag man bedauern. Aber wenn es sich um eine so überzeugende Inszenierung handelt, dann kann man nur froh sein, dass auch der "normale" Opernbesucher, der nicht wie manche Kritiker durch die Welt jetten kann wegen eines Opernabends, nun auch in Berlin die Möglichkeit hat, dieses Schlüsselwerk der Operngeschichte des 20.Jahrhunderts zu sehen und zu hören.

Diese Oper ohne eigentliche Handlung, ohne Titelhelden, ohne Liebesgeschichte, ohne – mit einer kleinen Ausnahme – Frauenrollen, ist deprimierend und noch immer schockierend. Chéreau setzt nicht auf grelle Effekte, sondern lässt in dem grauen Einheitsraum die Sänger und Schauspieler agieren.

Ihm gelingt es, die Sänger, auch wenn sie nicht singen, präsent sein zu lassen. Eine Ensembleoper, bei der es keinen Mittelpunkt gibt.

Simon Rattle, der zum ersten Mal "Aus einem Totenhaus" dirigiert, hat intensiv mit der Staatskapelle gearbeitet, und das ist zu hören. Die Gewalt und zugleich die beinahe die kammermusikalische Fraktur gelingen gleichermaßen.

Wer diese Inszenierung jetzt nicht sieht, wird sie nie mehr zu sehen bekommen.