Abschied von der Volkskirche

"Priestersein ist in dieser Pfarrerform immer schwerer möglich"

Thomas Frings vor dem Kirchengebäude seiner ehemaligen Gemeinde in Münster.
Thomas Frings vor dem Kirchengebäude seiner ehemaligen Gemeinde in Münster. © picture-allinace / dpa / Bernd Thissen
Thomas Frings im Gespräch mit Kirsten Dietrich · 02.04.2017
Wenn ein Priester sagt, er wolle nicht mehr als Pfarrer arbeiten, damit er seine Liebe zum Glauben nicht verliert – und stattdessen ins Kloster geht –, dann erweckt das einiges Aufsehen. Thomas Frings hat genau das gemacht: Vor einem Jahr hat er um die Entlassung aus dem Pfarrdienst gebeten.
Kirsten Dietrich: Wenn katholische Priester die Kirche verlassen, dann geschieht das meist, weil sie nicht mehr im Zölibat leben wollen und heiraten – und keiner wundert sich. Wenn ein Priester sagt, er wolle nicht mehr als Pfarrer arbeiten, damit er seine Liebe zum Glauben nicht verliert – und stattdessen ins Kloster geht –, dann erweckt das einiges Aufsehen. Thomas Frings hat genau das gemacht: Vor einem Jahr hat er um die Entlassung aus dem Pfarrdienst gebeten – zu wenig Interesse am eigentlichen Glauben bei den Gläubigen, zu viel Klammern an leere Traditionen und Interesse am kirchlichen Leben nur dann, wenn es gut ins Familienfotoalbum passt, das war seine scharfe Kritik. Diese Kritik hat Frings vor Kurzem in Buchform noch einmal präzisiert: "Aus, Amen, Ende?: So kann ich nicht mehr Pfarrer sein" – der Titel spricht Bände. Eigentlich lebt Thomas Frings seitdem in einem Benediktinerkloster in den Niederlanden, aber zurzeit ist er auf Reisen, und deswegen habe ich mit ihm darüber sprechen können, warum seiner Meinung nach die Kirche das Abschiednehmen lernen muss.
Thomas Frings: Ich bin mir ganz sicher, dass wir Abschiednehmen lernen müssen. Das müssen wir im Leben immer. Älter werden heißt auch schon Abschiednehmen von vielem, was man konnte. Man lernt vieles, aber von vielem muss man, glaube ich, mit der Zeit auch wieder Abschied nehmen, und das Schwierige daran ist, wenn man es freiwillig tun kann, sollte, man weiß ja nicht, was man stattdessen kriegt. Nur loslassen ist immer so ein Risiko, und die Strukturen, die wir in Kirche ja haben und erlebt haben, in denen wir auch groß geworden sind, viele haben ja auch unglaublich viele Stärken mit sich gebracht, aber sie scheinen immer weniger kompatibel zu sein mit der jetzigen Gesellschaftsform, aber wir wissen nicht, was wir stattdessen dahinsetzen. Dann lieber mit der Unsicherheit und dem mangelndem Erfolg als mit der ganzen Unsicherheit, was kommen könnte.
Dietrich: Sie sind aber ganz fest davon überzeugt, dass es auf jeden Fall so, wie es jetzt ist und mit allem Bemühen um Reform, um Veränderung, trotzdem mit der Volkskirche, also mit einer Kirche, die wirklich den Anspruch hat, in die Breite der gesamten Gesellschaft zu wirken und dort auch auffindbar zu sein, nicht mehr weitergehen kann.
Frings: Damit stehe ich nun wirklich nicht alleine. Ich stehe mit manchen anderen Sachen vielleicht alleine, aber damit nicht. Das sagt, glaube ich, kaum mehr einer heutzutage, dass wir noch Volkskirche sind. Ich bin noch in Volkskirche groß geworden, wo das selbstverständlich war, dass man zu einer der beiden Kirchen gehörte in unserer Gesellschaft und das auch ganz stark geprägt war bis in den Alltag der Familie hinein, aber das kann man heute nun wirklich nicht mehr behaupten.
Dietrich: Mit der Diagnose, dass es nicht mehr so mit der Kirche weitergehen kann, damit stehen Sie nicht alleine. Womit stehen Sie denn alleine?

Das Geistige - etwas "überwältigend Gutes"

Frings: Der erste Schritt ist natürlich, dass ich schon alleine stehe mit dem Schritt, den ich vollzogen habe, der ja deswegen so viel Aufmerksamkeit erregt hatte, was ja gar nicht meine Absicht war. Ich kann damit ganz gut leben, aber es war nicht meine Absicht, dass ich aus dem Pfarreramt ausscheide, um letztlich Priester bleiben zu können. Wer aus dem Pfarreramt oder aus dem Priesteramt ausscheidet, tut das in den meisten Fällen, um einen anderen Beruf zu ergreifen oder er heiratet, geht eine Partnerschaft, eine Beziehung ein und muss deswegen ausscheiden, aber dass jemand geht, quasi um Priester bleiben zu können, das war anscheinend so ungewöhnlich, dass das so viel Aufsehen erregt hat.
Dietrich: Ich habe mich gefragt, ob das vielleicht nicht doch so ein bisschen doch ein gegeneinander Ausspielen ist, also das Pfarrersein und das Priestersein, also auf der einen Seite die Kirche als Sozialform, die nicht mehr funktioniert, und auf der anderen Seite die Kirche als, ich nenne es mal eine heilige Praxis, die man unbedingt erhalten sollte. Ist das nicht auch ein bisschen unfair?
Frings: Nee. Das trifft ziemlich genau die Situation, weil ich schon ein Anhänger – Sie haben das sehr schön formuliert, wie ich finde –, mit dieser heiligen Praxis, aber die Sozialform: ich schreibe das in dem Buch ja auch, dass ich, wenn junge Menschen oder Menschen zu mir kommen und gefragt haben, ob sie Priester werden sollten, würde ich immer dafür plädieren, weil das Theologische, das Geistliche, wofür es da steht, was ich auch praktiziere, was auch mein Leben ganz stark prägt, etwas überwältigend Gutes für mich ist. Die soziale Form, in der ich es aber gelebt habe, und da bin ich eben Pfarrer – um den Unterschied hervorzuheben, das ist ja die soziale Aufgabe, die ich da versehen habe innerhalb der Glaubensgemeinschaft –, das in einer Form praktiziert wird, die immer schwerer zu leben ist, und das bestätigen ja nun auch viele, die dann sagen … Ich kann es bei mir selber sehen: meine erste Pfarrerstelle waren 1.500, die zweiten waren 3.000 und die nächste waren 10.000, und das wäre nun nicht Ende der Fahnenstange. Also wir fusionieren und werden immer größer. Das Priestersein ist in dieser Pfarrerform immer schwerer möglich.
Dietrich: Aber kann man sich eine Kirche denn vorstellen, bei der es wirklich um das geht, was da im Gottesdienst, was in der Messe passiert, und wo die Menschen drum rum, die da ja auch dazugehören, gar nicht mehr qua Definition so wichtig sind?
Frings: Wichtig sind die, offen ist das ja für die. Unsere Blickrichtung ist immer eine andere, dass wir als Gemeinde eben sagen, wir sind eine Gemeinde von 10.000, von denen kommen 218 am Samstag zum Gottesdienst. Eingeladen sind die ja alle, und wir versuchen das immer ganz groß und offen zu halten, aber es funktioniert ja immer weniger in dieser Richtung, und wenn wir uns jetzt ein bisschen fokussieren einfach auf diese sonntägliche Eucharistiefeier, die ja schon theologisch der Höhepunkt ist: Als ich Kind war, gingen 50 Prozent, als ich Priester wurde 25 Prozent, und in meiner letzten Fachstelle waren es eben keine drei Prozent mehr, und wir halten aber an diesem Modell nach wie vor fest, und ich glaube, dass wir neue Modelle suchen müssten und nicht das bekannte Modell einfach immer nur in eine größere Form bringen, von 3.000 nach 10.000 nach 20.000, und dann gibt es ja auch auch schon Visionen von noch größer.
Dietrich: Aber die Eucharistiefeier, die Messfeier würde dann immer noch im Mittelpunkt stehen, auch wenn man ein anderes Modell sucht.

"Die Taufe ist das Entscheidende"

Frings: Sie ist immer Mittelpunkt, und für mich – das schreibe ich ja auch –, für mich ist immer Ausgangspunkt meines Christseins, und Ziel meines Christseins ist das, ist dieser eine Punkt, und damit das nicht zu fromm wird … Ein wunderbares Erlebnis, was ich in meinem Leben als Priester hatte: Ich habe einmal Dom Helder Câmara, den habe ich mehrfach getroffen in Südamerika, in Recife, eine Ikone der Kirche der Armen, den ich als junger Priester damals gefragt habe: wenn Sie mir einen Rat geben würden, Herr Erzbischof – da war der schon hoch über die 80 –, für mein Leben, was wäre das für ein Rat. Dann hat er gesagt: Feiern Sie die Eucharistie mit aller Andacht, die Ihnen zur Verfügung steht, nie ist Gott uns näher als in den Gestalten von Brot und Wein. Und wenn das jemand sagt, der so bedingungslos auf der Seite der Menschen steht, habe ich in dem Moment und später immer mehr verstanden, wo er seine Kraft genommen hat, und deswegen ist das für mich Höhepunkt und Mittelpunkt, um von da aus auf die Menschen auch zuzugehen.
Dietrich: Und natürlich der Punkt, an dem so etwas wie das Verhältnis von Hauptamtlichen und Laien auf der einen Seite eng zusammenkommt, auf der anderen Seite auch deutlich wird, wie kritisch das werden kann. Das ist ein Punkt, den ich aus Ihrem Buch, aus der Lektüre mitgenommen habe, dass es notwendig ist, über dieses Verhältnis von den Laien, also von denen, die zur Kirche kommen, aber das nicht als Beruf haben, und denen, die ihren Beruf in der Kirche haben, darüber neu nachzudenken.
Frings: Ja. Das Modell – das ist jetzt immer so schwierig, das so ganz knapp in wenigen Sätzen versuchen darzustellen – geht eben von einem anderen Ansatz aus. Bisher muss der Priester immer Leiter der Gemeinde sein. Das ist bisher bei uns so vorgesehen, und das ging ja schon groß durch die Presse, als letzte Woche Kardinal Marx gesagt hat, wir wollen auch Laien in die Verantwortung in der Gemeindeleitung setzen, und sofort Widerspruch kam von anderen Stellen, aber dass ein anderes Modell auch möglich ist, dass die Verantwortung, und zwar auch die Letztverantwortung, wie es in der Gemeinde aussieht, auch in den Händen von Getauften liegen kann und nicht nur von Geweihten liegen kann. Wir heben die immer sehr hoch und sagen, das ist wichtig, die Laien sind wichtig, die Getauften sind so wichtig, aber trauen wir ihnen wirklich über den Weg und geben ihnen auch die Verantwortung oder sagen, nee, dann haben wir doch lieber eine bezahlte Kraft, auf die haben wir dann letztlich doch noch mehr Einfluss. Hört sich für mich manchmal so an.
Dietrich: Mir ist aus Ihrem Konzept aber auch nicht so ganz klar geworden, ob Sie jetzt von Laien eigentlich mehr oder weniger erwarten. Also auf der einen Seite fordern Sie ja auch, dass es wichtig ist, dass Menschen eben entschiedener glauben, sich entschieden engagieren und man mit diesen oberflächlichen Dingen aufhören soll. Auf der anderen Seite ist aber das Amt des Priesters trotzdem weiter auch das Zentrale. Also ich …
Frings: Etwas anders formulieren … Das Amt des Priesters ist nicht das Zentrale, aber wie der jetzige Papst immer sehr schön sagt, die Taufe ist das Entscheidende. Er hat ja auf dem Petersplatz mehrfach schon gefragt, bitte einmal alle aufzeigen, die ihr Taufdatum kennen, und dann gab es für die so eine kleine Rüge, die nicht aufzeigten. Er sagte, ihr müsst doch wissen, wann ihr zu Christus gekommen seid, wann ihr in diese Gemeinschaft aufgenommen wurdet, das geht doch nicht. Und ich sage bei diesem Modell so ein bisschen, das ist nicht so, dass die ganze Arbeit denen überlassen werden soll. Das würde immer so aussehen, dass wir wieder sagen, das Bisherige muss weitergeführt werden durch die Laien, die das jetzt übernehmen, und deswegen glaube ich viel mehr, wir müssen den Resetbutton drücken, einfach mal wieder auf Null gehen, statt zu gucken, wie können wir das Bisherige weiterführen, das immer weniger Erfolg hat, und stattdessen sagen, was ist unser wesentliches, unser Depositum, was ist der Ausgangspunkt, und alles, was dazukommt, muss dann mit denen gemacht werden, die dazukommen. Heute haben wir natürlich noch eine Kirche, wo die Menschen dann kommen und sagen – da gibt es auch Hauptamtliche –, die machen das jetzt, denen geben wir die Aufgabe. Wir haben natürlich auch so eine Entwicklung vorgefunden, auch ich, in die ich reingewachsen bin und gesagt habe, ich werde dafür bezahlt, also übernehme ich ganz viele Aufgaben, und es war für die Getauften auch ein ganz bequemer Status an manchen Stellen. Deswegen muss der grundsätzliche Ansatz anders aufgehängt werden.
Dietrich: Verstehen Sie, dass ein Laienvertreter wie zum Beispiel der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, sehr entschieden kritisiert, dass Sie mit Ihrem Modell dann die Laien trotzdem nicht wirklich ernst nehmen, ihnen keine wirklich entscheidende Rolle zugestehen?

Muss die katholische Kirche freikirchlicher werden?

Frings: Das habe ich von ihm jetzt so noch nicht gehört, oder er hat das Buch dann nicht richtig gelesen oder verstanden an der Stelle, wobei ich da ja ganz deutlich sage, statt zu sagen, wir müssen das Zölibat aufheben, um mehr Priester zu bekommen, wo ich dann sagen würde, da ist aber eher der Ansatz, wir müssen so bleiben, wie wir sind, ich hingehe und sage, nein, das müssen wir nicht tun, wir müssen hingehen und den Laien wirklich die Verantwortung auch geben. Nicht nur die Aufgaben übertragen, sondern auch die Verantwortung dafür geben, und die Aufgaben sind nicht die, die sie allein bisher vorfinden, um es weiterzuführen, sondern wenn Menschen mit Wünschen an die Gemeinde kommen, müssen die nicht von der Gemeinde allein aufgearbeitet werden, sondern mit den Menschen umgesetzt werden, verlebendigt werden. Also ich delegiere nicht meine Wünsche an die Kirche und die Gemeinde, sondern wenn ich Wünsche an die Gemeinde habe, bin ich auch selber derjenige, der für die Erfüllung dieser Wünsche Sorge zu tragen hat, auch als Getaufter.
Dietrich: Muss die katholische Kirche freikirchlicher werden?
Frings: Das ist ja etwas, da sind Sie nicht die Erste, die mich darauf anspricht und sagt, ja, das ist etwas Freikirchliches. Das hört sich tatsächlich im ersten Moment so an, es gibt aber einen wesentlichen Unterschied: In der Freikirche können Sie fast nur Mitglied sein, indem Sie wenigstens 80, besser noch 100 Prozent sich darauf einlassen und komplett Ihr Leben danach gestalten, und das ist bei meinem Modell genau anders. Wer sich ganz darauf einlässt, ist ganz dabei, und wer nur ein bisschen sich darauf einlässt, ist eben nur ein bisschen dabei, kann aber auch nicht dann alles kriegen, und das ist genau der Unterschied. Bei den Freikirchen sind sie – und dafür bewundere ich die, das ist ihre absolute Stärke – hundertprozentig, aber für die, die nicht ganz hundertprozentig sind, ist eine Freikirche nichts, und da wäre mein Modell genau die Antwort drauf.
Dietrich: Vor knapp einem Jahr, an Ostern 2016, haben Sie Ihr Pfarramt verlassen, sind in ein Kloster gegangen. Wie sieht es jetzt aus nach dem Jahr? Wissen Sie schon, wo es für Sie weitergeht?
Frings: Das kann ich eindeutig mit nein beantworten, aber es klärt sich. Es ist eine unglaublich tolle Gemeinschaft da, wo ich bin, ohne, die in paradiesische Höhen heben zu wollen, aber realistisch gut geistlich. Ich werde bis Ostern da in dieser Klösterchengemeinschaft in den Niederlanden sein, werde danach 14 Tage mich wieder in das volle Leben stürzen und eine Lesereise durch die Republik machen von Norddeutschland bis München runter und von Köln rüber bis Regensburg und Paderborn und werde nach den 14 Tagen zurückgehen und dann gucken, wie hat mir das gefallen, wie hat mir das andere gefallen, wo könnte der richtige Platz für mich in dieser Kirche sein, und das hängt ja nicht nur von mir ab, es hängt ja auch von anderen in der Kirche ab.
Dietrich: Für Thomas Frings persönlich ist die Zukunft also noch ganz offen. Für die katholische Kirche in ihrer jetzigen Form sieht er schwarz. Das Buch von Thomas Frings, "Aus, Amen, Ende?: So kann ich nicht mehr Pfarrer sein", ist erschienen im Herder Verlag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema