Abschied vom Witwengroschen

Von Marta Kupiec · 05.10.2013
Die katholische Kirche Polens ist im Umbruch. Ihr gesellschaftlicher Einfluss schwindet – und es soll sogar Polen geben, die aus ihrer Kirche austreten wollen. Da erscheint die geplante Einführung einer Kirchensteuer als ein Segen in schweren Zeiten.
Eine Warschauer Kirche am Sonntag – zwei Ministranten gehen durch die Reihen und sammeln die Kollekte. Weidenkörbchen füllen sich schnell mit Scheinen, immer wieder fallen glänzende Münzen in die Körbchen. Die polnische Kirche kann auf ihre Gläubigen zählen, davon ist der katholische Bischof, Tadeusz Pieronek, überzeugt. Seit über 20 Jahren nimmt er die kirchlichen Finanzen unter die Lupe:

"Die Kirche in Polen hat sich schon immer aus den Opfergaben der Gläubigen finanziert. Wir hatten kein Kirchensteuermodell nach dem deutschen Muster, das eine Zwangsabgabe vorsieht. Wozu eine Kirchensteuer? Ich bin strikt dagegen. Wenn jemand die Kirche unterstützen will, kann er es freiwillig tun. Die deutsche Lösung wäre für Polen schädlich. Also kein Zwang."

Doch was das Geld angeht, kann sich keiner in Sicherheit wiegen. Auch nicht in Polen. Denn die Grußzügigkeit der Gläubigen hängt von vielen Faktoren ab – von ihrer Arbeitssituation, von ihren Ersparnissen, ihrer Verbundenheit mit der Gemeinde oder der Spendenbereitschaft.

Schon jetzt muss die Kirche über alternative Einnahmequellen nachdenken, erzählt der Dominikaner, Dawid Kolodziejczyk. Seine Krakauer Klostergemeinschaft macht das bereits jetzt:

"Ein Großteil unserer Ausgaben ist von den staatlichen Beigaben unabhängig. Viele unserer Mitbrüder arbeiten regulär. Außerdem vermieten wir klostereigene Immobilien, anders wären wir nicht überlebensfähig."

Derzeit finanziert sich die katholische Kirche Polens zu fast 80 Prozent aus Kollekten und Spenden. Den Rest steuert der Staat bei, und zwar aus dem sogenannten Kirchenfonds. Dieser wurde 1950 eingerichtet, um die katholische Kirche und andere Glaubensgemeinschaften für die damaligen Enteignungen zu entschädigen. Aus diesem Topf werden unter anderem Sozialversicherungsbeiträge für Geistliche aller Konfessionen gezahlt. Ab dem kommenden Jahr soll der Fonds durch eine Steuerabgabe von 0,5 Prozent von der Einkommenssteuer ersetzt werden.

Diese Lösung unterscheidet sich gewaltig von anderen europäischen Kirchensteuermodellen, erklärt der Klosterökonom Dawid Kolodziejczyk:

"Aus der Sicht des Steuerzahlers, ist das keine zusätzliche Steuer, vielmehr eine freiwillige Spende. Aber wenn sich der Staat dazu entschlossen hat, den Kirchenfonds zu streichen, gehe ich erst mal davon aus, dass es für die Kirchen weniger Geld geben wird. Es ist heute sehr schwer zu sagen, wie viele Polen sich entscheiden, ihre Kirchen zu unterstützen, und was das letztlich für die Finanzierung bedeuten wird."

Tatsächliches Spendenaufkommen unklar
Unklar ist nicht nur das tatsächliche Spendenaufkommen, sondern auch wie das Geld auf die Kirchen – egal ob katholisch, evangelisch oder orthodox - verteilt wird. Den Medienberichten zufolge könnte die katholische Kirche im Jahr 2014 mit rund 80 Millionen Zloty, also umgerechnet 20 Millionen Euro rechnen. Das klingt für deutsche Ohren nicht viel. Zum Vergleich: Allein das Erzbistum Köln hat im vergangenen Jahr über 534 Millionen Euro an Kirchensteuern eingenommen – das waren übrigens etwa 50 Millionen Euro mehr als 2011. Alle Beteiligten bewegt zudem die Frage: Was passiert in drei Jahren, wenn der staatliche Ausgleich für fehlende Gelder wegfällt.

Trotz dieser Ungewissheit hat die Steuerinnovation einen Vorteil, meint Dawid Kolodziejczyk:

"Zweifellos wird das zeigen, inwiefern die Gläubigen sich für ihre Kirche mitverantwortlich fühlen. Schon in der Apostelgeschichte heißt es: Die Zugehörigkeit zu der Kirche bedeute auch, die finanzielle Verantwortung zu übernehmen. Licht brennt, die Kirche ist beheizt, die Priester haben zu essen – das fällt nicht vom Himmel herab."

Sowohl die Kritiker als auch die Befürworter der neuen Regelung sind sich einig. Die vorgeschlagene Lösung macht die Kirchen vom staatlichen Fonds unabhängig. Die Steuerexpertin der Firma KPMG in Warschau, Dominika Labedzka, fügt noch hinzu, jetzt habe die Stunde der Wahrheit geschlagen:

"Vielleicht ist das ein Moment, dass die Gläubigen wie in der Urkirche die Verantwortung übernehmen. Außerdem kann jeder Bürger seine Steuerlast gezielt mindern, und zwar für einen guten Zweck. In Polen wird es wie überall immer arme und reiche Menschen geben. Besonders die Ärmeren neigten schon immer dazu, das Wenige zu teilen, wie die Bibelgeschichte vom Witwengroschen zeigt. Also, ich mache mir keine Gedanken darüber, was in drei Jahren passiert. Die Menschen leben mit ihren Priestern und Nonnen zusammen, schätzen sie und werden sie wohl nicht im Stich lassen."

Kirchenkritiker formieren sich
Die Zeit drängt, die Kirchen müssen das Thema schnell kommunizieren. Möglicherweise ist dafür die Kanzel am besten geeignet. Die Medienkampagnen sind dafür zu kostspielig, meint der katholische Bischof, Tadeusz Pieronek. Denkbar ist auch, dass sich eine kirchenkritische Front bildet. Die beiden Oppositionsparteien aus dem linksliberalen Lager - das postkommunistische Bündnis der Demokratischen Linken SLD und die antiklerikale Palikot-Bewegung - sehen die Regierungspläne als ersten Schritt hin zu einem säkularen Polen. Sie haben schon immer bei dem Kirchenfonds kritisiert, er habe besonders der katholischen Kirche zum Wohlstand verholfen.

Tadeusz Pieronek: "Ich habe Angst davor, dass eine antikirchliche Kampagne entsteht. Aber sie wird nur diejenigen erreichen, die sowieso überzeugt sind, dass man für die Kirche nicht zahlen soll. Aber laut Umfragen haben sich über 50 Prozent der Polen bereit erklärt, dies zu machen."

Sollte es zu Engpässen kommen, so die Experten, muss längerfristig möglicherweise über die Erhöhung des geplanten Steuersatzes bzw. ein Pflichtmodus diskutiert werden. Für die kleinen Kirchengemeinschaften wie die orthodoxe Kirche Polens würde das ein absolutes Katastrophenszenario bedeuten. Sie tut sich schon schwer mit dem geplanten Steuersatz von 0,5 Prozent. Denn sie kann lediglich auf ihre 500.000 Gläubigen zählen. Und die leben in überwiegend armen und durch hohe Arbeitslosigkeit gezeichneten Landesteilen.
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