Abschied vom Aschingerhaus

Ein Stück West-Berlin verschwindet

Vor dem sogenannten "Aschingerhaus", das das Sex-Museum von Beate Uhse beherbert, fahren Autos über die Kreuzung von Kantstraße und Joachimstaler Straße in der City West in Berlin, nahe dem Bahnhof Zoo, am 14.03.2014. Das Gebäude ist an einen US-Investor verkauft worden und soll abgerissen werden.
Das "Aschingerhaus" an der Kreuzung von Kantstraße und Joachimstaler Straße in der City West in Berlin © picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Von Maximilian Julius Klein · 20.03.2015
Berlin wird am Bahnhof Zoo anders - vorbei sind die Zeiten der "Christiane F.". Das Aschingerhaus ist die letzte Erinnerung an eine Ära, in der Dealer, Junkies und Stricher die Gegend um den Bahnhof bevölkerten. Die Berliner City West will clean werden, und das Aschingerhaus wird abgerissen.
Es ist laut. Es ist rau. Es ist.... Es ist das Ziel. Das? Das Ziel von Sehnsüchten und Träumen? Das Glück sei hier zu finden? Das Glück versteckt sich. Es muss sich verstecken.... Oder es ist kurz mal weg? Versteckt es sich in diesem schmucklosen Nutzbau? Ich warte. Und schaue. Ich höre. Die Straßennamen verraten nichts: Kantstraße. Hardenbergstraße. Joachimstaler Straße. Mythos? Glück? Hier klingt alles nach Castrop-Rauxel oder Bielefeld. Das ist vielleicht Tarnung. Hier soll es besonders sein – ein Sehnsuchtsort, so etwas wie Ausblick aufs Meer, Palmen am Strand, Blick zum Horizont. Ein Papierkorb quillt über. Horizont? Oder doch Abgrund? Ein Bettler sitzt dort, wo die Ampel Menschenströme stoppt. Mythos? Mhm.
Sabine Witt: "Also wenn sie sich alte Fotografien anschauen aus der Zeit um 1900. Das sind natürlich Berliner Traufhöhe, 22 Meter hoch. Viergeschossige, Fünfgeschossige Bauten mit prachtvollen Dächern, Aufsätzen, Lodgen, Balkonen. Hochherrschaftlichen Eingängen mit Marmorschmuck und allem drum und dran. Das war die beste Wohngegend natürlich. Und die nahe Akademie der Künste, die nahe Hochschule, viele Ateliers und Künstlerhäuser. Zogen natürlich auch Künstler, Literaten, auch Weltkünstler oder Lebenskünstler in diese Gegend."
Dr. Sabine Witt erklärt Berlin. Sie läuft durchs das Stadtmuseum von Charlottenburg und weiß, wie schön es einmal war, ein paar Kilometer vom Charlottenburger Schloss entfernt, damals als die Autos noch nicht so viel hupten, als die neuesten Hits noch von richtigen Orchestern oder vom Leierkastenmann gespielt wurde. Und als das Wort Rauchverbot noch nicht erfunden war. Der Swing wahrscheinlich auch noch nicht.
Witt: "Das alte Charlottenburg oder der sogenannte neue Westen wie er ja dann gezeigt oder genannt wurde. So in alten Fotografien oder alten Ansichten einfach wieder auflebt und man selber muss sich erstmal orientieren wenn man diese Gründerzeitbauten sieht, die es ehemals am Kurfürstendamm und an der Joachimstaler Strasse gab. Und von dem Aschingerhaus ist man natürlich noch weit entfernt. Da liegen natürlich noch Jahrzehnte dazwischen. Aber gerade diese Zeit um 1880, 1890 das war natürlich die Zeit wo es rund um den Bahnhof Zoologischen Garten und Kurfürstendamm erst so richtig begann oder das Startsignal gegeben wurde für die Entwicklung dieses Bezirkes."
Das Aschingerhaus – in Frau Witts Erklärungen ist es noch nicht entstanden. Im Original ist es schon lange nicht mehr da. Und doch gibt es da diese Ecke in Berlin am Bahnhof Zoo mit einem Haus namens Aschinger. Es wird so genannt. Aus Tradition. Es ist Geschichte. Es wird gerade abgerissen.
Glück soll hier in der Luft liegen. Oder auf der Straße. Glück? Oder die Hoffnung darauf. Westberlin war ein Versprechen: besetzte Häuser, keine Bundeswehr, David Bowie. Ein Hauch von Anarchie. Wenn das kein Versprechen von Glück ist. Die Passage am Zoo, direkt vor dem Aschingerhaus - wenn Glück nach altem Fett riecht, dann muss es hier sein. Aber warum wirft jemand das Glück einfach so auf dem Gehweg? Es ist eine gammlige Verpackung vom Schnellimbiss an der Ecke. Wenn das Glück hier ist, wollen die Passanten es nicht sehen. Sie gehen schnell vorbei an Burger-King, Asia-Imbiss und Blumenstand, an Plakaten mit den großen Buchstaben, die das Wort Räumungsverkauf bilden. Es gibt Hinweisschilder. Wenn die zum Glück führen, dann habe ich die Wahl: Nach oben. Oder nach unten. Egal ob oben oder unten – die Reklame ist eindeutig – es müssen die Stufen sein, die unausweichlich zum Glück führen.
Lange Regalreihen, wenige Menschen. Eigentlich nur drei: zwei Verkäuferinnen. Und ein Kunde. In den Regalen liegen... Das lässt sich jetzt schwer beschreiben. Es braucht Fachbegriffe dafür. Es findet sich alles, was der zu Hause braucht, der 50 Shades of Grey nachspielen möchte. Man muss lernen, wozu das alles gut ist.
Erica: "Ja, muss man. Also ich war da auch nicht so, was heißt aufgeklärt, aber ich kannte mich da nicht so gut aus mit den Sachen. Aber wir haben ja genug Kollegen hier schon gehabt. Und die haben einen dann so angelernt, gezeigt was wofür. Und DVD´s, was für Darsteller. Ja und mit der Zeit kriegt man das mit und kann dann auch die Kundschaft gut beraten."
Das Erotikfachgeschäft im Aschingerhaus
Es gibt jede Menge DVDs hier, sortiert nach - nach Geschmacksrichtungen. Geschmacksrichtungen sortiert nach dem Alter der handelnden Personen, der Größe bestimmter Körperteile und dem, was die Leute in den Filmen miteinander tun oder sich antun. Und dazwischen eine Stimme, die genau hier hin zu passen scheint:
Erika: "Ich bin die Erika, aus Berlin, arbeite hier schon zehn Jahre im Sex-Shop, World of Sex, ja und da es hier jetzt langsam zu Ende geht, können wir ja mal einen kleinen, ein kleines Interview machen."
Die Erika arbeitet seit zehn Jahren hier. Der Vorname muss reichen. Peinlich? Ach was. Erika winkt die Frage mit der Hand weg. Hier sind alle nett zueinander. Distanz ist hier von Berufs wegen nicht gefragt. Da braucht es keine Familiennamen, keine Hierarchie. Das Mikrofon vor ihrer Nase ist ihr peinlich. Aber doch nicht, hier zu arbeiten:
Erika: "Nö, das gehört eigentlich zum Geschäft , wir reden uns alle hier mit Vornamen an und peinlich ist mir das gar nicht. Nach zehn Jahren im Sex-Shop ist dir nichts mehr peinlich."
Erika also. Ihr ist es egal, ob Milch und Käse in ihren Regalen liegt. Oder eben Erwachsenenspielzeug.
Erika: "Ich war damals arbeitslos und hab einen Job gesucht. Gelernt habe ich richtig Verkäuferin für Lebensmittel und da war ich so Ende 40. War schwer was Neues zu finden. Und dann war ne Annonce drinne: Erotikfachgeschäft sucht Verkäuferin."
Das Erotikfachgeschäft im Aschingerhaus am Bahnhof Zoo. Das Fachgeschäft ist grell ausgeleuchtet. Lautsprecher übertragen Musik und ein paar Geräusche von den Filmen, die in den Videokabinen laufen.
Erika: "Also wir haben unseren Heterobereich. Also Hetero-Shop, dann das Heterokino, wo 64 Heterofilme laufen. Dann haben wir den New Man Shop mit Kino, also rein schwules Kino. Und unten haben wir noch mal den kleinen Shop und die Kabinenstraße wo man ganz schnell mal reingehen kann und schmeißt zwei Euro rein und guckt schnell mal ein Stückchen Film. Um sich zu amüsieren."
Der Kunde im Laden will nichts kaufen. Er will die Regale – leer natürlich. Er will eine Buchhandlung eröffnen. Die Regale sind dafür genau richtig. Erika braucht die Regale nicht mehr. Ihre World of Sex schließt. Das Haus, in dem sie das schnelle Glück offeriert, wird abgerissen. Ein neuer Standort für das Schlafzimmerzubehör ist schwer zu finden. Schmuddelkram – den will in der neuen City West keiner als Nachbarn haben. Erika wird jedenfalls nicht mehr jeden Tag zum Bahnhof Zoo fahren, wird nicht mehr die Leute sehen, die ihr inzwischen vertraut sind. Immerhin: Sie hat hier viel erlebt, zehn Jahre lang. Sie kann nichts mehr überraschen, was in einem Sexshop mit "Kino" passiert. Und nichts von dem, was sich unten vor der Haustür des World of Sex abspielte:
Erika: "Viele Geschichten von jungen Leuten die unten am Bahnhof Zoo sich rumtreiben und die dann nach zehn Jahren nicht mehr da sind weil gestorben schon sind. Ja, traurige Sachen aber es gibt auch viele lustige Sachen. Also wir haben Kundschaft, das ist manchmal richtig lustig. Kommt jemand rein als kleines Beispiel, ich guck, was mitten im Winter, Badelatschen, keene Socken, nüscht an und... Also, so richtig Typen kommen auch hier rein."
War das jetzt das Glück, das es hier, ein paar Meter vom Bahnhof Zoo entfernt, geben soll? Ich bin mir nicht sicher. Glück und Neonröhren passen nicht zusammen. Ich gehe wieder auf die Straße. Das Aschingerhaus – ein Stück vom Mythos?
Witt: "Aschinger war eine Institution für die Berliner Gastronomie. Also Aschinger war ein Unternehmen was eigentlich aus dem Württembergischen kam. Also ein schwäbischer Unternehmer. Zwei Brüder die sich hier in Berlin niedergelassen haben. Und die angefangen haben preiswertes Essen Mittagstisch anzubieten. Also Bier, Erbsensuppe, Bierwurst und eben dazu die berühmten Gratisbrötchen von denen sich viele tatsächlich grundsätzlich ernährt haben."
Mythos und Vergangenheit – das gehört zusammen. Es ist die Sicht von Historikern. Sabine Witt vom Stadtmuseum Charlottenburg:
Witt: "Wo man nebeneinander stand und sein Bier getrunken hat oder eben seine Erbsensuppe gegessen hat. Genau. Also es ist ein Ort wo zum einen verschiedene Schichten aufeinander treffen können oder Bürger unterschiedlicher Herkunft aufeinander treffen können. Wo finde ich aber auch so ein Thema Dynamik, Bewegung auch ne Rolle spielt. Also gerade der Bahnhof ist natürlich so ein Ort des Transfers. Des Ankommens, des Wegfahrens, des Verkehr. Das irgendwie sich schnell Bewegens. Und Aschinger ist natürlich eine passende Institution dafür."
Das Casino am Zoo ist eine Spielhölle
Im Mythos lebt man nicht. Der Mythos ist nie da, wo man gerade ist. Naturgesetz. Oder ein Gesetz der Geschichtsschreibung. Menschen hasten vorbei an dem, was mal Aschinger war. Sind das Glücksjäger und haben es deshalb eilig? Oder sie wollen kein Glück, sondern nur schnell vorbei am Mythos? Mythos soll ja auch anstrengend sein. Ich sollte sie danach fragen. Ich will nicht. Sie sehen nicht so aus, als würden sie stehenbleiben wollen. Nicht hier. Sie eilen vorbei. Vorbei auch an einer Glastür. Finden Menschen hier das wonach sie suchen? Geld, Träume, Sehnsucht.
Ich öffne die Tür – sie führt in den Schlund des Aschingerhauses. Von dort scheppert Musik. Sie lockt mich nicht. Ich steige dennoch hinab. Es wirkt nicht so, als ob man das unbeschadet tun kann. Was dort unten zu sehen ist, ist alt: Die Wände, die Tische, die Sessel. Einem Sessel fehlt eine Armlehne. Auf einem Tisch liegt eine Tastatur. Ohne irgendetwas. Ihr Kabel führt ins Nichts. Internet-Zugänge für Besucher soll es hier gegeben haben. Das Internet ist hier unten Vergangenheit. Zum Schluss gibt alles den Geist auf.
Hier unten ist alles Vergangenheit. Entweder nicht mehr da. Oder kaputt. Oder durchgesessen. Oder verspielt.
Franziska Schmitz: "Das sind, ja, wir haben Jackpotmaschinen, einzelne Maschinen zu stehen. Da schmeißt man janz normal Jeld rin, kann die Einsätze einstellen und dann dreht sich das über Walzen."
Falls hier das Glück war, dann ist es jetzt auf der Flucht. Der Ort ist am Ende. Wie gut, dass der Endzeitlook zum Image passt: Casino ist ohnehin übertrieben. Hier ist nicht Bad Homburg oder Baden-Baden. Hier ist Berlin-Zoo.
Schmitz: "Hallo, mein Name ist Franziska Schmitz. Ich arbeite im Joker-Casino am Berlin Zoo."
Was Casino heißt, ist Spielhölle. Verrucht , kaputt.
Schmitz: "Also, ich sag mal es würde wahrscheinlich ein bisschen doof aussehen, wenn das jetzt hier so wirklich, wenns jetzt hier richtig Schick, mit Glitzer und allem wäre. Gerade jetzt hier in diesem Gebäude. Das gehört hier einfach nicht zu der Ecke. Wird ich jetzt mal so sagen. Gerade so zum Zoo. Mann kennts halt so aus der Geschichte. Ist halt noch nie so Schickimicki gewesen. Und eigentlich finde ich es auch traurig das die das jetzt ändern wollen. Ich fands immer recht schön."
Ein paar Leute stehen herum, allein, zu zweit oder zu viert. Es blinkt. Es klirrt. Manchmal rutschen ein paar Münzen aus einem der Automaten.
Schmitz: "Also sehr beliebt ist bei uns hier sehr Monopoly. Das ist so eine Jackpotanlage was mit vier Anlagen übereinander gekoppelt ist. Die Firepotanlage vorne ist auch recht beliebt. Das sind dann ja, so die etwas älteren Geräte. Man sagt ja das was länger steht, das schmeißt angeblich mehr."
Schmeißt mehr. Oder doch weniger?
Casino: "Das eene mal hatten wir ein Gast der hat innerhalb von glaub ich vier Stunden 1500 Euro verloren hier. Das ist schon ganz schön viel. Da ärgere ich mich auch so ein bisschen drüber. Da denkt man dann immer, ey mit dem Geld hättste so viel machen können."
Casino: "Es kommen auch viele Leute die eindeutig viel zu viel haben. Also das ist hier der Ort der unterschiedlichsten Menschen, der unterschiedlichsten Kenntnisse. Wenn man hier einen Tag arbeitet sieht man so viel verschiedene Leute. Es kommen auch echt viele Leute her die echt viel Geld haben. Dann kommen wieder Leute her, die den ganzen Tag Pfandflaschen sammeln müssen dafür."
Schluss. Aus. Das Casino geht. Es geht ins Nirgendwo. Rien ne va plus.
Dürfen ja Momentan keine Konzessionen aufgemacht werden in Berlin.
Dealer, Junkies, Stricher und Nutten
Die Vergangenheit lässt sich nur noch im Archiv finden, als es eine Peepshow gab und Fernzüge noch am Bahnhof Zoo hielten. Als Burger King im Aschingerhaus noch ein Zeitungsladen war, in dem ein Vorhang die normalen Zeitungen vom Schmuddelkram trennte. Ein Schild erklärte, dass nur Volljährige hinter den Vorhang treten durften. Es war alles fremd und aufregend für mich, als ich das erste Mal hier war. Und genau deswegen kam ich hierher: Action und Schmuddel. Ich wollte gucken, ob das Leben hier das hielt, was im Fernsehen versprochen wurde: Dealer und Junkies, Stricher und Nutten. Ich habe das als Mutprobe gesehen, damals war ich 14. Abends bin ich nach Hause gefahren. In der Schule konnte ich dann mitreden als Christiane F. dran war: "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo". Sie wurde zum Schrecken aller Eltern mit halbwüchsigen Kindern:
Asu "Christiane F.": "Da haben wir eine Pinte am Bahnhof aufgesucht. Da war ich das erste Mal in meinem Leben im Bahnhof Zoo und hab das erste Mal Elend gesehen und zwar ein paar alte Penner, die in ihrer eigenen Kotze lagen. Wir sind einmal durchgegangen, ich habe also einen unheimlich miesen Eindruck vom Bahnhof Zoo bekommen, wo sich ja später noch mein ganzes Fixer-Leben abspielte."
Was Christiane F. zu berichten hatte, erschütterte die Republik – und die Schlagerindustrie.
Stirn runzeln. Augenbrauen nach oben ziehen. Betreten schweigen. Oder starrer Blick und weg, ganz schnell. Es sind die Geschichten ohne Glamour, die verunsichern. Die Geschichten handeln von Sex und Drogen, von Dreck, Gewalt, Scham, von Einsamkeit und Verzweiflung. Im Fernsehen ist der Zuschauer beim Abspann erlöst. Am Bahnhof Zoo hilft nur weg ducken. Und übersehen und überhören, wenn der eigene Geldbeutel gefragt ist:
Manuel Eickmann: "Und es ist ein guter Ort, um vielleicht zu schnorren. Weil einfach viel Durchgangsverkehr ist. Laufen viele Menschen an dieser Stelle vorbei. Unter dem Haus durch, am Haus vorbei. Dort ist ja auch gleich ein U-Bahnaufgang."
Sagt Manuel Eickmann von Gangway, einem Verein für Straßensozialarbeit. Das Aschinger-Haus ist bald weg. Das lässt sich verschmerzen, doch...
Stephanie Sebald: "Das Problem ist halt nur das halt die Menschen vielleicht ringsrum, die ihr Leben schon immer dort gelebt haben, sich dort aufgehalten haben, schon durch die neuen Baumaßnahmen sie halt dadurch verdrängt werden. Und sie nicht mehr in dieses Stadtbild passen würden."
Stephanie Sebald hat tiefe Furchen im Gesicht. Gezeichnet von vielen Jahren Arbeit mit Menschen, die auf der Straße wohnen. Seit neun Jahren arbeitet sie bei Gangway.
Sebald: "Und da dieses Haus und die ganze Umgebung vom Bahnhof Zoo ne historische, also hat einfach Geschichte. Bedeutet das auch mit den Menschen hätte geplant werden können. Also sie mit einzubeziehen. So kann da eine große Verdrängung stattfinden und eine Aufwertung für Charlottenburg natürlich. Und unsere Adressaten hinten runter fallen."
Die Bettler werden verschwinden - aber wohin?
Hinten runter fallen. Sie sind schon unten, diejenigen, die dort ihre Tage mit Betteln verbringen. Doch genau das stört. Als ob eine Bahnhofsgegend in einer Großstadt idyllisch sein könnte. Manuel Eickmann schaut konzentriert. Er will nichts Falsches sagen. Er weiß, wenn es um Obdachlose geht, wird es schwierig. Da steht schnell Mitleid gegen Geschäftsinteresse. Laissez-Faire gegen das Gefühl, irgendwie stören sie doch. Oder anders: Elend ist nicht verkaufsfördernd, wenn es vor dem eigenen Laden zu sehen ist.
Eickmann: "Es gibt mittlerweile Initiativen von Gewerbetreibenden vor Ort die schon versucht haben Stimmung gegen Wohnungslose zu machen. Es gibt dort Zusammenschlüsse von Gewerbetreibenden die eben genau das, deren Ziele eben genau dieses ist. Und ich vermute, das es an der Stelle auch passieren wird. Wenn dort ein Neubau entsteht."
Architektonisch ist das Aschinger-Haus wertlos. Die Historikern Sabine Witt sagt, es sei Geschmackssache.
Witt: "Es ist die Baukultur der 70er. Also das ist 70er Jahre pur natürlich. Das muss nicht jeder schön finden sozusagen, das ist klar. Interessant ist eigentlich das dass ja heute noch unter einem Namen bekannt ist. Also Aschingerhaus. Was hat das noch mit Aschinger zu tun. Ja eigentlich garnix mehr. Also, klar es gab an dieser Stelle einmal eine alte, eine Bierquelle. Eine Bierstube. Von dem großen Unternehmen Aschinger.... Aber das Unternehmen bestand Ende der 60er schon gar nicht mehr. Man hat nur diese Erinnerung, diesen Namen sozusagen weitergetragen."
Berlin wird am Bahnhof Zoo anders. Wird es schöner? Vielleicht steriler. Das Aschingerhaus ist die letzte Erinnerung an eine Zeit in der die Bewohner dieser Ecke nicht Apple, Waldorf Astoria oder C/O hießen. Christane, Atze, Detlev waren die traurigen Narren die hier nach "H", Geld und Glück suchten und sich über den Boden des überdachten Vorbaus rollten. Die Stadt ist auf Entzug vom Dreck. Sie will clean werden.
Die, die hier betteln und Kontakt suchen werden wohl verschwinden mit dem Profanbau, weil es dann keine dunklen Ecken mehr gibt und keinen Platz, der vor Regen schützt. Aber eigentlich verschwinden sie ja nicht. Sie werden nur woanders sein. Ingo Ahl ist sich da sicher. Er hat seine Erfahrungen – und er kennt seltsame Wörter: "Verbeseitigen" ist eines davon.
Ahl: "Wenn diese ganze Szene sich so ein bisschen... Verbeseitigen wird man das nie können. Aber verdrängt ist es natürlich für mich schöner, das ich diesen Kontakt in diesem Moment nicht mehr so habe. Wenig Straftaten bedeutet das man seine Arbeit vernünftig gemacht hat. Und wenn diese städtebaulichen Geschichten noch eine Rolle mitspielen dann freut man sich natürlich das man da ein bisschen mehr Ruhe hat."
Aschinger geht, ein Konsumtempel kommt
Ingo Ahl ist Polizeioberkommissar und zuständig für den Abschnitt 25 – Bahnhof Zoo.
Ahl: "Ob die Szene sich komplett verlagert, das werden wir in den kommenden Wochen, Monaten feststellen. Ich denke mal, das wird stark zurück gehen. Weil ans Aschingherhaus, die Gegebenheiten, die Läden und diese Passage das war ideal für diese Szene. Und ich denke mir das wird schon zurückgehen. Das wird sich verlagern, auf alle Fälle. In andere Bereiche."
Hier zu arbeiten – das ist für Ingo Ahl die Erfüllung eines Kindheitstraums. Der Zoo macht eben nicht nur Journalisten neugierig, sondern auch Polizisten. Und wieder liegt es an Christiane F.:
Ahl: "Dieser Film 'Wir Kinder vom Bahnhof Zoo' und das Buch dazu. Hat uns in der Jugend natürlich bewegt. Und wenn man als Polizist in diesem Bereich irgendwann tätig ist, hat man so ein bisschen Beziehung dazu. Und darum wollte ich auch nicht wechseln und die Arbeit hat mir Spaß gemacht."
Der Mythos wirkt. Eher nicht. Alltag und Mythos passen nie zusammen. Am Bahnhof Zoo schon gar nicht. Die Geschichten, die Ingo Ahl hier erlebt, sind selten interessant. So sieht er das. Aber sie sind oft tragisch.
Ahl: "Wenn man das so ein bisschen durchleuchtet, wenn man da täglich im Dienst ist, stellt man doch Dinge fest, die man sonst nicht so feststellt. Dieser normale Strich, an dem man als Normalbürger vorbeigeht, ja. Und wo ein Strich ist, sind auch immer Freier. Das ist logischerweise so. Und bei diesen Freier Geschichten sind teilweise auch Schwerststraftäter dabei. Mit denen man dann zwangsläufig auch Kontakt hat. Und das kann einem auch denn innen drin sehr nahe gehen."
Aschinger geht. Ein Konsumtempel kommt. Vielleicht. Ein amerikanischer Investor nimmt Geld in die Hand. Der Burgerbrater will auch wieder einziehen, zu gut lief das Geschäft. Und der Bahnhof? Er wird etwas verlieren vom rauen Charme. Ein Charme, der Fernseh-Krimis so lebendig erscheinen lässt und spannend. Charme, den man im richtigen Leben nicht ertragen will. Und die Probleme? Die werden bleiben. Vielleicht versteckt. Vielleicht einfach woanders.
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