"Abraham und die Metzger"

Von Mandy Schielke · 28.01.2012
Die Regisseurin Cagla Ilk hat sich mit religiösen Speisevorschriften auseinandergesetzt. Nun hat sie in der Markthalle Neun in Berlin Kreuzberg drei Metzger über ihre unterschiedlichen Schlachttraditionen reden lassen und damit Begriffe wie koscher und halal greifbar gemacht.
Cagla Ilk:"Ich habe einen Traum gehabt ein Tag nach dem Opferfest. Ich bin aufgewacht und hatte diese Szene vor mir in der Markthalle, wo drei Metzger auf der Bühne stehen und über diese Feste reden."

Ihren Traum hat Regisseurin Cagla Ilk in der Kreuzberger Markthalle Neun umgesetzt. Drei Männer stehen hinter der leeren Fleischtheke. Ein christlicher Fleischermeister, ein muslimischer Metzger und ein jüdischer Schochet. An einem Haken hängt ein geschlachtetes Lamm. Ohne Kopf, die Haut rosa und glatt.

Markus Benzer: "Ein Lamm ist ein Lamm und ein Schaf ist ein Schaf."

Murat: "Alle Organe müssen überprüft werden. Jedes Stück muss eine Stunde ins Wasser und dann kommt Salz dazu auf jede Seite. Die Lunge muss fest sein, darf kein Loch haben, keine Verfärbungen. Die Lunge muss frei sein. Ansonsten ist das ganze Tier nicht koscher."

Mehmet Sakalli schneidet geübt eine große Keule ab und zerteilt sie dann auf einem Schneidebrett. Dabei erzählt er vom muslimischen Opferfest, davon, dass er es in Deutschland schon deshalb nicht feiert, weil er arbeiten muss.

Murat: "Wir haben mit den Moslems zusammengearbeitet, daher kenne ich auch den Herrn Mehmet Sakalli. Wir essen die Keule nicht, aber die Muslime essen das. Deswegen haben wir die Keulen an die muslimischen Kollegen verkauft. Die haben gesagt, das ist ideal für Döner. Und wenn es koscher ist, dann ist es auch helal."

Das rituelle Schlachten, - Schächten - ist Gläubigen sowohl im Islam als auch im Judentum vorgeschrieben. Dabei werden Tiere wie Hühner, Schafe und Rinder mit einem besonders scharfen Messer durch einen einzigen Halsschnitt getötet, der die großen Blutgefäße sowie Luft- und Speiseröhre durchtrennt. Die Gläubigen lassen die Tiere ausbluten, da der Verzehr von Blut im Judentum und im Islam untersagt ist. Für das Schächten ist hierzulande eine Ausnahmegenehmigung nötig. Zeitweise wurde sie nur Juden erteilt. Noch im Oktober 1983 hieß es in einem Urteil des Verwaltungsgerichtes Gelsenkirchen:

Sprecher: "Die Erlaubnis für Juden zu schächten, stellt einen Akt politischer, kultureller und menschlicher Wiedergutmachung gegenüber den noch lebenden Juden dar. Die jüdische Religion hat in Deutschland eine größere geschichtliche Tradition als die islamische."

Erst 2002 sprach das Bundesverfassungsgericht muslimischen Metzgern grundsätzlich das Recht aufs Schächten zu. Doch die Erlaubnis ist an so strenge Auflagen geknüpft, dass der Kreuzberger Metzger Mehmet Sakalli seine Ware aus der Türkei importiert.

Markus Benzer:"Hallo ich bin Markus Benzer. Ich bin Fleischermeister in Neukölln."

Cagla Ilk: "Der Herr Marcus Benzer verkauft Blutwurst aber wie. Er hat diesen kleinen Laden in Neukölln und in diesem Viertel wohnen viele Migranten, die Schweinefleisch überhaupt nicht essen."

Abnehmer für die Blutwurst finden sich aber doch - hauptsächlich Berliner, die aus Ex-Jugoslawien stammen. Der Titel des Theaterstückes "Abraham und die Metzger" nimmt Bezug auf die biblische Geschichte von Abraham, der seinen Sohn opfern soll und die auch im Koran ihre Entsprechung findet. Die Metzger, die in der Kreuzberger Markthalle auf der Bühne stehen, entscheiden selbst, was sie bei den drei Aufführungen genau sagen wollen. Zuvor hat die Regisseurin Cagla Ilk ausführliche Interviews mit ihnen geführt.

Markus: "Da lohnt ein Blick in die jüdische Kultur. Die haben jede Woche einen Feiertag - den Schabbat und davon könnten wir uns eine Scheibe abschneiden, im wahrsten Sinne des Wortes."

Nur die Rolle des Schochets, des jüdischen Fleischers, wird von einem Schauspieler übernommen. Awraham Daus - Schochet aus Charlottenburg im Ruhestand hat kurzfristig abgesagt. In die Rolle seines Enkels ist Murat Dikenci geschlüpft. Er erzählt vom Leben des Schochets.
Murat: "Die Gemeinde hatte in Israel eine Anzeige geschaltet. Berliner Gemeinde sucht Schochet. Ein Freund hat die Anzeige gelesen und mich angerufen: Abraham, die jüdische Gemeinde in Berlin sucht einen Schochet, das ist was für dich. Sie haben mir ein Ticket geschickt. Ich habe immer gedacht, ich bleibe nur eine kurze Zeit. Aber aus der kurzen Zeit sind 28 Jahre geworden. Heute brauchen sie mich nicht mehr. Der Fleischverbrauch ist so gering und man importiert alles aus Israel oder Antwerpen. Deshalb gibt es keine jüdischen Metzgereien in Berlin."

"Abraham und die Metzger" verschafft Einblicke in eine Welt, die wohl die wenigsten kennen. Es geht um Regeln, Rituale, das Spiel mit den Klischees. Gemeinsamkeiten, Unterschiede und vor allem um die Liebe zum Fleisch. Eine gut ausgestattete Fleischtheke vergleicht Mehmet Sakalli mit einer schönen Frau. Streit gibt es auch- über die Frage, ob das Schlachten eines Tieres ohne Betäubung, so wie es jüdische und muslimische Tradition ist, Tierquälerei ist oder nicht. Ein Friede-Freude-Eierkuchen-Integrationsmärchen sollte in der Markthalle in Kreuzberg nicht erzählt werden.

Markus Benzer:"Ohne Betäubung. Davon halte ich aber nichts."

Mehmet: "Sehr schön. Saftig. Frisch. Stinkt nicht. Riech mal!
Ist für Dich Markus. Ein Stück Fleisch. Was sagst Du Markus?"

Im Laufe der Vorstellung werden dem Lamm Keulen und Schultern abgetrennt, Filetstücke herausgeschnitten. Schockierend ist das nicht. Elegant, wie in einer Choreografie erledigen die Metzger die einzelnen Arbeitsschritte, halten sich, während sie ihre persönlichen Geschichten erzählen, an ihrem Handwerk fest. Als Medium zwischen Religion und Alltag.

Zuschauer: "Ich esse Fleisch, Lammfleisch auch. Aber wie jetzt die Unterschiede sind in den verschiedenen Religionen, wie diese einzelnen Arten Fleisch zuzubereiten, begründet werden, das ist sehr spannend und war für mich auch neu."

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