Abmahnwahn bei Urheberrechtsverletzungen

Von Stephanie Kowalewski · 15.10.2013
Im Netz können urheberrechtlich geschützte Werke wie Musik und Filme rasend schnell und massenhaft verbreitet werden - zum Schaden der Urheber. Manchmal kommen aber auch Verbraucher zu Schaden: Es hat sich eine Abmahnindustrie etabliert, vor der niemand sicher ist. Nicht einmal diejenigen ohne Internetzugang.
Der Ärger begann mit einem DIN-A4-Umschlag. Darin 12 Seiten Papier, auf der der Hamburgerin, nennen wir sie Karin Groß, vorgeworfen wird, dass sie eine Urheberrechtsverletzung begangen habe.

"Ich hätte eine Software namens 'Social Eye Player' downgeloaded illegal und noch einmal illegal weitergeleitet."

Der 'Social Eye Player' ist eine Art rudimentärer Medienabspieler. Solche Player gibt es jedoch in erheblich besserer Qualität und dazu völlig legal und kostenlos haufenweise im Internet. Es ist zweifelhaft, dass jemand dennoch den 'Social Eye Player' bewusst und dazu noch illegal auf seinen Computer lädt, meint Karin Groß, die sich obendrein nicht in Tauschbörsen tummelt.

"Also völlig absurde Unterstellungen. Dinge, die ich niemals getan habe."

In diversen Internetforen melden sich empörte Stimmen derer, die sich zu Unrecht abgemahnt meinen. Immer wieder werden dabei auch der 'Social Eye Player' und der dazugehörige Abmahnanwalt. Massenweise landen Abmahnungen in deutschen Briefkästen, sagt Iwona Husemann von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

"Wir führen selbst eine Statistik und haben immer über 400 Fälle pro Monat und das sind immer die gleichen Kanzleien, die damit auftauchen. Das ist insoweit schon seriös, als das unser Rechtssystem das einfach zulässt."

Laut einer Umfrage des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen wurden bereits rund 4,3 Millionen Deutsche im Alter ab 14 Jahren abgemahnt.

"Also da ist relativ wenig Aufwand dahinter und dafür werden recht hohe Summen gefordert."
Auch Karin Groß wurde aufgefordert, innerhalb einer Woche 300 Euro auf das Konto des Rechtsanwaltes zu zahlen. Damit seien die Anwaltskosten, die Schadensersatzansprüche und die bereits entstandenen Verfahrenskosten pauschal abgedeckt. Zu weiteren Verhandlungen sei der Rechteinhaber nicht bereit, heißt es weiter. Zahle sie nicht, werde geklagt.

"Also das ist wirklich eine Drohkulisse, die einem dann auch natürlich zu denken gibt. Also – unmöglich."

Aber typisch, sagt die Duisburger Juristin Nikola Liedtke.

"Sie sind immer gleich aufgebaut: Die drohen so extrem, dass jeder Angst hat. Gerade ältere Menschen neigen dazu zu sagen, ich hab eigentlich nichts gemacht, aber ich will kein Theater haben und ich zahle natürlich sofort. Da kann ich aber nur von abraten."

So kann es in der Ermittlung des vermeintlichen Datendiebes zu Fehlern kommen.

Wer sich im Internet tummelt hinterlässt zum Beispiel in Tauschbörsen die eigene IP-Adresse, erklärt Verbraucherschützerin Iwona Husemann.

"Wir haben in Deutschland dynamische IP-Adressen, das heißt einmal in 24 Stunden bekommt mein Anschluss eine neue IP-Adresse."

Mit Hilfe einer speziellen Software können Rechteinhaber die IP-Adressen in Tauschbörsen entdecken. Per Gerichtsbeschluss kann der Abmahnanwalt dann die jeweiligen Internetanbieter verpflichten, ihm Namen und Anschrift des dazugehörigen Anschlussinhabers mitzuteilen. Nur wie sicher diese Ermittlungsoftware arbeitet, weiß niemand. Klar ist aber, Fehler kommen vor. Iwona Husemann beschreibt einen absurden Fall der vom Bundesverband der Verbraucherzentralen bearbeitet wurde.

Husemann: "Es ist tatsächlich so, dass sogar jemand ermittelt wird, der überhaupt keinen DSL-Anschluss hat. Da wird also eine IP-Adresse einem Anschluss zugeordnet und es gibt tatsächlich gar keinen Internetanschluss. Das ist natürlich schon skurril."

Liedtke: "Mit der Ermittlung der IP-Adresse wird eine Vermutung erzeugt, dass von diesem Anschluss die Urheberrechtsverletzung begangen wurde."

...sagt Rechtsanwältin Nikola Liedtke. Aus Sicht der Verbraucher ist das eine rechtliche Schieflage, bei der unschuldige Internetnutzer meist mit Hilfe eines teuren Anwalts beweisen müssen, dass sie zu unrecht abgemahnt wurden.

"Dann muss ich halt Tatsachen vorbringen, die letztendlich den Schluss zulassen, ich selber war es nicht, von dritter Seite ist es mit meinem Wissen auch nicht passiert und mein Anschluss ist vernünftig gesichert, so dass von außen nichts passieren kann."

All das trifft auch auf Karin Groß zu. Dennoch wird es nicht einfach sein, die Unschuld zu beweisen, räumt die Juristin ein. Wie oft Menschen zu Unrecht abgemahnt werden, ist ungewiss. Es gibt keine Statistik. Sicher ist aber, dass man auf jeden Fall darauf reagieren sollte, denn es drohen eine Klage und hohe Geldforderungen. Den Abmahnschreiben liegt auch immer eine Unterlassungserklärung bei, in der man sich verpflichtet, das Werk nicht weiter zu verbreiten. Karin Groß wird das nicht unterschreiben, sagt sie.

"Auf keinen Fall. Ich habe keine Unterlassungserklärung unterschrieben, weil ich nicht etwas unterlassen kann, was ich nie getan habe."

Die Verbraucherzentrale NRW rät jedoch - auch den zu unrecht Abgemahnten – die Unterlassungserklärung in modifizierter Form zu abzugeben. Einig sind sich die Experten auch, dass Betroffene sich juristisch beraten lassen sollten. Doch auch hier lauern nicht immer seriöse Anwälte darauf, ein Stück vom großen Kuchen abzukriegen, musste Karin Groß erfahren, als sie im Internet auf der Suche nach Informationen zu dem Anwalt war, der sie abgemahnt hat.

"Sobald man den Namen dieses Abmahnanwaltes eingibt, kommen sofort auch noch andere Anwälte, die einem helfen wollen. Ich hab das Gefühl, man wird entweder von diesem Abmahnanwalt abgezockt oder man muss sich einen anderen Anwalt nehmen, der genauso Geld kostet. Also man kommt sich richtig vor, wie im Netz gefangen, ehrlich."

Auch die Verbraucherschützerin Iwona Husemann bewertet dieses Geschäftsmodell rund um die Urheberrechtsverletzungen als Abmahnwahnsinn.

"Wir finden schon, dass es ein Abmahnwahn ist, weil so überhöhte Kosten genommen werden. Derzeit gibt es einen Gesetzesvorschlag, der in der Abstimmung ist. Und darin ist vorgesehen, die Abmahnkosten bei der erstmaligen Abmahnung auf 155 Euro zu beschränken. Und wir hoffen, dass da dieses Jahr noch was draus wird."

Für Karin Groß wäre auch diese Summe ein Schlag ins Gesicht. Sie ist entschlossen, zu kämpfen. Und obwohl Rechtschutzversicherungen solche Fälle generell nicht übernehmen – notfalls auch vor Gericht.

"Ich werde niemals dieses Geld zahlen und ich werde keine Unterlassungserklärung unterschreiben und ich werde weiter kämpfen, weil aus meiner Sicht ist das eine betrügerische Angelegenheit."
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