Ab heute leitet Roland Jahn die Behörde für Stasi-Unterlagen

Klaus-Dietmar Henke im Gespräch mit Katrin Heise · 14.03.2011
Klaus-Dietmar Henke hält alle bisherigen Bundesbeauftragten für "eine außerordentlich glückliche Wahl des Bundestags". Sie hätten ganz unterschiedlich gewirkt und der neue Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde, Roland Jahn, werde seine eigene Sprache finden.
Katrin Heise: Sie gilt als weltweit einzigartige Institution und ist Vorbild für die Aufarbeitung von Vergangenheit in anderen ehemaligen Diktaturen, die Stasi-Unterlagen-Behörde. Mit Joachim Gauck und Marianne Birthler standen zwei DDR-Oppositionelle an ihrer Spitze, ab heute tritt Roland Jahn sein neues Amt als Leiter der Behörde an, er ist ebenfalls ehemaliger DDR-Bürgerrechtler, der 1983 als Mitglied der Friedensbewegung aus der DDR ausgewiesen worden war. Seine Berufung kommentierte Roland Jahn im Deutschlandradio Kultur so:

O-Ton Roland Jahn: Für mich war das eine persönliche Genugtuung, eine große Genugtuung, weil die Staatssicherheit hat stark in mein Leben eingegriffen. Sie hat mich von der Uni geschmissen, sie hat mich ins Gefängnis gesperrt und sie hat mich gewaltsam in den Westen abgeschoben, sozusagen aus der Heimat weggebracht. Dass ich jetzt die Akten der Stasi verwalten soll, das ist schon eine bedeutende Angelegenheit. Aber ich finde es schon auch politisch wichtig, denn meine Wahl ist damit ein deutliches Signal gegen das Vergessen und macht deutlich, dass die Aufarbeitung weitergehen soll.

Heise: Sagt Roland Jahn, der heute als Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde sein Amt antreten wird. Am Telefon begrüße ich Klaus-Dietmar Henke, er ist Professor für Zeitgeschichte an der Technischen Uni Dresden, in der Lausitz geboren, in Westdeutschland aufgewachsen und vor seinem Ruf nach Dresden quasi als Wissenschaftschef der Stasi-Unterlagen-Behörde tätig gewesen. Guten Tag, Herr Henke!

Klaus-Dietmar Henke: Guten Tag, Frau Heise!

Heise: Roland Jahn sieht seine Berufung, wie wir eben gehört haben, als Zeichen, als politisches Zeichen dafür, dass weiter aufgearbeitet werden soll. Sie vertreten die Meinung, dass die Behörde in nicht allzu ferner Zukunft aufgelöst werden soll. Das hört sich an wie ein Widerspruch zu dem, was Jahn sagt. Ist das so?

Henke: Nein, das vertrete ich eigentlich nicht, sondern ich glaube wie auch andere, dass eines Tages eine Umformung der Behörde stattfinden muss. Wir haben sie ja jetzt wahrscheinlich bis 2019 und dann muss man überlegen, in welcher Form sie weiter bestehen soll. Und das wird der Bundestag dann zu gegebener Zeit entscheiden.

Heise: Roland Jahn wird als jemand geschildert, der durch die Geschichten des Einzelnen, so des Unbekannten, die Geschichte dahinter durchscheinen lässt. Könnte sich durch ihn nicht das Amt des Chefaufklärers auch ein bisschen ändern, indem er nicht jagt sozusagen, sondern eben erzählen lässt, die Akten erzählen lässt von auch viel Unspektakulärem?

Henke: Ja, das haben die anderen eigentlich auch schon getan. Vielleicht kann man sagen, dass alle drei Bundesbeauftragten eine außerordentlich glückliche Wahl des Bundestags gewesen sind. Sie haben ganz unterschiedlich gewirkt und Roland Jahn wird seine eigene Sprache finden. Er passt ganz perfekt in diese Ahnengalerie, Roland Jahn war ja ein Widerstandskämpfer gegen die SED-Diktatur, sehr imponierende Persönlichkeit. Er hat das dann auch fortgesetzt, nachdem sie ihn hinausgeschmissen haben, gefesselt aus der DDR in Westberlin. Und sein großer Vorteil ist vielleicht im Unterschied zu Birthler und Gauck, dass er die alte Bundesrepublik und die DDR gleich gut kennt. Und zugleich ist er bestens vernetzt als Journalist und für diese ... Er wird ja der letzte Bundesbeauftragte sein, es gibt eine Restlaufzeit von ein paar Jahren, und diese schwierige Aufgabe, die Behörde umzuformen und zugleich das Erbe der friedlichen Revolution zu wahren, wenn man das jemand zutrauen kann, dann ist das Roland Jahn.

Heise: Lassen Sie uns noch mal kurz nach hinten blicken, also resümieren: Wie haben die beiden Vorgänger die Behörde geprägt?

Henke: Joachim Gauck war jemand, der die Öffentlichkeit namentlich in Westdeutschland überhaupt erst für diese revolutionäre Idee gewinnen musste, dass plötzlich Geheimdienstakten, was ja noch nie vorher passiert ist, zugänglich wären und jeder Einzelne, der verfolgt war von der Staatssicherheit, sich sozusagen seine eigene Biografie wieder aneignen kann. Das war nicht so ein populärer Gedanke, Helmut Kohl konnte damit nicht viel anfangen, aber Joachim Gauck – wir kennen ihn ja inzwischen alle sehr nach seiner Kandidatur – hat eine große Überzeugungskraft und er hat das geschafft. Und zugleich hatte er es geschafft, eine Behörde aufzubauen, im Grunde über Nacht mit 3000 Mitarbeitern, die zugleich sofort funktionieren sollte. Ich wundere mich heute noch, dass das geklappt hat. Also das ist seine große Leistung gewesen.

Heise: Wie würden Sie Marianne Birthler dann beschreiben?

Henke: Ja vielleicht sage ich noch, dass durch diese sofortige Aufarbeitung dieser böse Kern des Staatssozialismus klar geworden ist, auch allen im Westen, die so ein bisschen blauäugig waren. Birthler ist eine Frau, die große Liebenswürdigkeit mit ganz großer Durchsetzungskraft verknüpft hat, und die hat sie in den zehn Jahren auch wirklich gebraucht, sie hat sich ja mit Schily angelegt, sie hat der Bundesregierung richtig Schwierigkeiten gemacht auch, und das zeichnet sie eben aus. Sie war auch in der DDR eine sehr mutige Regimegegnerin. Und es hat sich gezeigt, dass die großen Fußstapfen von Joachim Gauck für Marianne Birthler wider Erwarten nicht zu groß waren.

Heise: Und heute tritt nun Roland Jahn das Amt des Leiters der Stasi-Unterlagen-Behörde an, unser Thema im "Radiofeuilleton" mit Klaus-Dietmar Henke, Professor für Zeitgeschichte in Dresden. Wie würden Sie, Herr Henke, nach 20 Jahren die Behörde so im Spannungsfeld sehen: einerseits Wahrheitssuche, andererseits eben werden soziale Beziehungen auch heute ja noch durch die Vergangenheit, wenn sie rauskommt, belastet, zerstört. Sollte man eigentlich auf Aufklärung an bestimmten Stellen verzichten um des lieben Friedens willen sozusagen?

Henke: Ja es gibt natürlich, Frau Heise, immer eine Spannung zwischen sozialem Frieden und Wahrheitssuche. Aber ich glaube, ohne Wahrheit gibt es überhaupt keinen sozialen Frieden auf Dauer, der wäre gefährdet, wenn man das nicht tun würde. Wir haben ja in Deutschland inzwischen, man könnte es nennen eine Art historisches Reinheitsgebot. Das heißt, eine Nichtaufarbeitung von Geschichte ist in Deutschland überhaupt keine Option mehr, deswegen braucht sich auch Roland Jahn gar keine Gedanken machen, Ende der Aufarbeitung stand nie zur Debatte, steht nicht zur Debatte. Und wir hatten ja in den 90er-Jahren – ich erinnere mich sehr gut daran – nun alle möglichen Unkenrufe, es würde bürgerkriegsähnliche Zustände geben, die Opfer würden über die Täter herfallen. Gar nichts ist passiert, ganz im Gegenteil: Dadurch, dass man die Wahrheit sehr schnell feststellen konnte aus den Akten, hat man politischen Denunziationen, Gerüchtemachereien sehr schnell ein Ende setzen können. Also rückblickend muss man sagen, es war genau der richtige Weg, den die Bürgerrechtler eingeschlagen hatten. Es ist ja eine DDR-Idee gewesen, keine West-Idee, die Akten aufzumachen!

Heise: Welche Rolle spielten dabei die Medien, die vorwiegend auch westdeutsch geprägten Medien?

Henke: Ja die Medien haben natürlich schwer sensationalisiert, verengt, personalisiert, aber das machen Medien immer. Und in dem Moment, als klar war, wir machen die Akten auf, musste man damit rechnen, das war ganz unvermeidlich. Wobei zeitweise war es ja so, dass man vor lauter IMs gar keine SED-Bonzen mehr gesehen hat, das war natürlich unglücklich. Aber Aufarbeitung ist nie ein akademisches Oberseminar, sondern es ist immer Kampf, politischer Kampf, medialer Kampf. Aber wenn wir zurückblicken, können wir doch wirklich sagen, dass die Aufarbeitung der SED-Diktatur ungewöhnlich effektiv war und ungewöhnlich ertragreich.

Heise: Ja, und deswegen ja auch durchaus kopiert wird in aller Welt. Die Stasi-Unterlagen-Behörde und ihre Leiter standen aber selbst auch im Kreuzfeuer der Kritik oder stehen es noch, nicht nur im Zusammenhang mit der Affäre Kurras wurde der Behörde vorgeworfen, ja auch unter anderem vom Leiter der Gedenkstätte Berlin Schönhausen, zu langsam zu arbeiten. Teilen Sie diese Kritik?

Henke: Ach was Herr Knabe sagt, muss man nicht immer so ernst nehmen, Frau Heise. Also die Kritik an der Behörde war in den 90er-Jahren hundertmal heftiger. Aber die Fehler, die auch gemacht worden sind, auch von Frau Birthler, auch von Herrn Gauck, auch Jahn wird Fehler machen, haben die Existenz dieser wunderbaren Behörde ja nie infrage gestellt. Und wenn Sie das Behördenhandeln in Landesbehörden und anderen Bundesbehörden angucken, die es seit Jahrzehnten gibt, die machen auch nicht weniger oder mehr Murks, also das muss man in Perspektive sehen. Also vielleicht noch ein Wort zu Kurras, weil Sie, Frau Heise, das erwähnt haben: Kurras ist kein Versagen der Behörde, sondern ein Versagen von uns Historikern. 20 Jahre hat sich für seine Akte niemand interessiert, das ist das Faktum. Und es gibt 111 Kilometer Akten und da gibt es noch viele Goldkörner drin.

Heise: Erst kürzlich stellte sich ja zum Beispiel heraus, dass der Vorsitzende des Hauptpersonalrates der Stasi-Unterlagen-Behörde ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter ist, auch andere Ex-DDR-Geheimdienstleute hat die Behörde in den letzten Jahren beschäftigt. Was ist da schiefgelaufen? Oder ...

Henke: Ja, das ist schiefgelaufen am Anfang, da hat das Bundesinnenministerium fröhlich auch alte Kader eingestellt, weil die irgendwo untergebracht werden mussten, und die sind seit vielen Jahren jetzt da, die haben auch Ansprüche erworben. In dem Fall, den Sie nennen, der ist inzwischen bereinigt einigermaßen. Also da gab es am Anfang natürlich auch personelle Probleme, wobei man sagen muss, es gab auch Stasi-Leute – ich habe die selber kennengelernt –, die sich schon in der friedlichen Revolution auf die Seite der Bürgerrechtler gestellt hatten und mit ihrem Wissen am Anfang wirklich wichtig waren. Dass das sich jetzt durchgezogen hat bis jetzt, ist ein gewisses Problem, hat aber die Funktionsfähigkeit der Behörde nie beeinträchtigt, weil diese Leute ja überhaupt keine Entscheidungen treffen konnten.

Heise: Was wünschen Sie Roland Jahn in seinem neuen Amt?

Henke: Viel Glück und seine Standfestigkeit, die er über 30, 40 Jahre gezeigt hat. Und die wird er haben und er wird es gut machen.

Heise: Klaus-Dietmar Henke zur Amtseinführung Roland Jahns. Klaus-Dietmar Henke war in den Anfangsjahren in der Abteilung Bildung und Forschung in der Stasi-Unterlagen-Behörde tätig, er ist jetzt Professor an der TU Dresden. Herr Henke, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Henke: Danke, Frau Heise!

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