900 Patienten in 2 Wochen

Von Susanne Arlt · 25.01.2010
Ulrike Hiebsch hat ihre Sprechstunde beendet. Bis zum Mittag hatte sie 70 Patienten, jetzt folgen die Hausbesuche. Die 48-Jährige wirft sich einen dünnen Wollmantel über die Schultern, greift sich den lilafarbenen Arztkoffer und steigt in ihren Audi. Zum Mittagessen bleibt keine Zeit. Die Patienten warten, allesamt ältere Menschen mit teilweise schweren Erkrankungen.
Der Arbeitstag von Ulrike Hiebsch beginnt um sieben Uhr früh und endet oft erst spät in der Nacht. Gleich nach dem Mauerfall eröffnete sie in ihrem Heimatdorf Ottleben die Praxis. Bereut habe sie diesen Entschluss aber bis heute nicht, sagt die blond gelockte Frau. Auch wenn der Alltag oft anstrengend sei. Allein in den ersten beiden Wochen dieses Jahres hatte Ulrike Hiebsch 900 Patientenkontakte. Ein Rekord, sagt sie, drückt aufs Gaspedal, um rechtzeitig bei der ersten Patientin zu sein.

Ulrike Hiebsch: "Man hat das Gefühl, man tut ihnen etwas Gutes. Sie freuen sich, wenn man kommt. Es ist, glaube ich, nicht bloß immer ihre Krankheit, sondern überhaupt, dass sie mit jemandem reden können. Das ist, wo die Zeit eigentlich fehlt heute."

"Hallo, hallo, guten Tag, hallo, na Frau Landsmann, gesundes neues Jahr ... Und wie geht´s?"

Frau Landsmann streckt Ulrike Hiebsch die Hand entgegen. Die Ärztin nimmt sie, hält sie eine Weile fest, streichelt dann der älteren Frau über die Schulter. Mit der Tochter ist Ulrike Hiebsch zur Schule gegangen. Man kennt sich – und vertraut sich, sagt Herr Landsmann.
Herr und Frau Landsmann: "Wir haben unsere Hausärztin, da werden wir auch immer bleiben, wenn sie uns nicht im Stich lässt. Unser bestes Stück. (...) Sie hat immer Zeit für uns. (...) Sie nimmt sich die Zeit. (...) Das ist sehr wichtig. Mich graut es schon wieder nach einem Ohrenarzt in dem Februar. Dann hast du kein Fahrzeug, dann weißt du nicht, wer fahren soll."

Der demografische Wandel in Sachsen-Anhalt wird immer spürbarer. Vor allem jüngere Bewohner ziehen weg auf der Suche nach Arbeit. In den Dörfern bleiben die Älteren. Und die sind dann froh, wenn sie zumindest einen Arzt haben, der sich um sie kümmert, sagt Ulrike Hiebsch. Allerdings gibt es Probleme mit dem medizinischen Nachwuchs. Sicher, sagt Ulrike Hiebsch, der Job sei anstrengend, vor allem, wenn man neben der regulären Sprechstunde noch Bereitschaftsdienst habe.
Ulrike Hiebsch: "Das heißt also die ganze Woche durch und wenn man dann jede Nacht raus muss und nebenbei seinen Sprechstundenplan noch hat, also nach dieser Woche ist man wirklich kaputt. Ich denke, das ist auch abschreckend. Wenn man hierher kommt, dann wird man dem gleich sagen müssen, wissen Sie, wenn Sie jetzt hier anfangen müssen, dann müssen Sie auch in den Notfalldienst mit einsteigen, das bedeutet eine Woche durch."

Noch teilt sich Ulrike Hiebsch den Bereitschaftsdienst mit sechs anderen Ärzten. Doch viele ihrer Kollegen sind über 60 Jahre alt. Sollten sie keinen Nachfolger finden, dann bekommt Ulrike Hiebsch wohl noch mehr zu tun.
Ulrike Hiebsch: "Und ich hoffe mal, dass da ein Nachfolger kommt, aber ich habe da so meine Zweifel dran, ja."