75. Geburtstag des Beatles-Sängers

John Lennon, der Frieden und der Geheimdienst

Musik-Legende John Lennon in Cannes am 17.5.1971
Musik-Legende John Lennon in Cannes am 17.5.1971 © AFP
Von Laf Überland · 09.10.2015
John Lennon hat früh erfahren, was Gewalt anrichten kann. Er wurde während nächtlicher Luftangriffe mitten im Krieg geboren, seine Mutter wurde von einem Polizisten überfahren. Und dann: Liebe, Friede, Weltruhm. Für "gefährlich" hielt ihn nur das FBI.
9. Oktober 1940: Während eines nächtlichen Luftangriffes wird John Winston Lennon in Liverpool geboren. Kurz nach der Entbindung explodiert eine Luftmine gleich neben dem Krankenhaus, und das Neugeborene muß den Rest der Nacht zum Schutz vor herabfallendem Deckenputz unter dem Bett der Mutter verbringen.
MUSIK: John Lennon & Plastic Ono Band - Mother
Weil seine Mutter ein herzensguter Leichtfuß war, wuchs John bei der gestrengen Tante Mimi auf, und deshalb zog er sich morgens immer noch mal heimlich um: schwarze Röhrenhosen, spitze Schuhe, schwarze Lederjacke und Pomade in die Haare. Manchmal besuchte er so seine Mutter, bis die von einem betrunkenen Polizisten totgefahren wurde – das Mega-Trauma, wie John später mühsam aus seiner Seele herausarbeitete. Aber erstmal lernte er, im selben Jahr, 1957 Paul McCartney kennen. Und nach fünf Jahren Kleinklein starteten sie dann als The Beatles durch.
MUSIK: The Beatles - Can't Buy Me Love
1964 gehört John zur größten Band aller Zeiten: Er erfindet meistens die Refrains mit den punchigen Hooklines und Paul die melodiösen Strophen dazwischen. Und John gefällt sich als subversiver Provokateur, während Paul eigentlich nur Musik machen will.
Drogen, Esoterik und Philosophie
Aber die vier Superstars werden von ihrem Ruhm erdrückt. Lennon ißt und trinkt und wird fett wie ein Schwein, wie er später sagt, und wie die anderen fängt er an, unter dem Dasein als Beatlesgott zu leiden – und forscht wie die anderen in Drogen, Esoterik und Philosophie...
MUSIK: John Lennon & Plastic Ono Band - Give Peace A Chance
Als die Beatles sich dann aufgelöst hatten, war das natürlich für ihre Fans ein Schock – aber für die Jünger des Stinkstiefels John entfaltete sich eine Art Offenbarung. Er stellt sich - Pop hin, Pop her - gegen den Krieg in Vietnam. John und Yoko lassen sich nackt und häßlich fotografieren. John und Yoko mieten Plakatwände in Großstädten der Welt an und lassen darauf die Botschaft anbringen: Der Krieg ist vorbei! Wenn ihr wollt. Hilflos und charmant und zornig - und immer auf der Suche nach Wahrheit.
MUSIK: John Lennon – Gimme Some Truth
Beatles-Fans konnten damit oft gar nichts mehr anfangen. Das war nicht mehr schön, das war nicht mehr lieblich! Aber als junger Zweifler konnte man sich völlig an John Lennon orientieren, denn auch der stinkreiche Ex-Beatle schwebte ja stets im Unsicheren.
Doch: Wenn einer die Wahrheit wissen will, muß er zuerst mal die Wahrheit über sich selbst begreifen - und sie ertragen lernen.
MUSIK: John Lennon & Plastic Ono Band - Well Well Well
Er arbeitete sich an seinem Trauma ab
Stellvertretend für uns alle arbeitete John Lennon sich an seinem Trauma ab. Yoko Ono wurde zwar viel kritisiert: Aber zweifellos war sie es, die John die kompromisslose Liebe und, wie er selbst es sagte: mütterliche Geborgenheit bescherte, nach der sich Lennons verletzte Kinderseele immer sehnte. (War nun mal so!)
Und er schämte sich auch nicht, minutiöse Entschuldigungen voller Selbsterkenntnis an Yoko öffentlich zu singen, so sehr war er von absoluter Wahrhaftigkeit überzeugt.
MUSIK: John Lennon - Jealous Guy
Und er ließ sich nicht klein kriegen, der intellektuelle und gleichzeitig sentimentale Trotzkopf aus Liverpool. Obwohl es natürlich nicht gerade half, dass das FBI ihn jahrelang (tatsächlich!) verfolgte, weil es ihn für gefährlich hielt. Da kann man schon paranoid bei werden...
Aber 1975 wird er dann doch etwas seltsam: Nach ein paar hübschen Pop-Songalben und einer furchtbaren Platte mit alten Rock'n'Roll-Hits und nach höchst seltsamen Eskapaden mit viel Alkohol zieht sich John Lennon vollständig aus der Öffentlichkeit zurück und wird Hausmann. Er erzieht den Sohn Sean und beschäftigt sich mit den Kreuzzügen und mit positiver Energie. Und die Nachrichten, die aus dem Hause Lennon-Ono dringen, sind solche wie, dass die beiden eines ihrer wertvollen Holsteinischen Rinder verkauft haben. Und wenn John ein Brot gebacken hat, gibt Yoko eine Pressekonferenz. Nun ja.
Kurz vor dem Tod hatte er den Dreh wieder gekriegt
Doch kurz vor seinem Tod hatte John Lennon 1980 anscheinend den Dreh wieder gekriegt – nur dass da der Verrückte mit der Knarre kam, sich ein Album signieren ließ und John Lennon umlegte.
MUSIK: John Lennon - Mind Games
Ganz sicher hätte John Lennon als Lebender nicht die Heiligenverehrung erfahren, die ihm als Totem beschieden war – diese posthume Lennon-Glorifizierung. Stattdessen wäre er wohl gelegentlich in Ringo Starrs All Starr Band aufgetaucht: Und vielleicht hätte er sich mal mit Paul zu einem Revival-Konzert zusammen getan und aus Jux das ganze "Sergeant Pepper"-Album live vorgetragen...
Wie er sich das Alter vorstelle, hatte jemand mal den 30-jährigen Lennon gefragt, und er hatte gesagt: "Ich hoffe, wir sind dann ein nettes älteres Ehepaar, wohnen in einem Haus an der irischen Küste oder so und blättern das Skizzenbuch unseres Wahnsinns durch."
Und wahrscheinlich hätte Yoko, die Geschäftsfrau, ganz richtig eingesehen, dass dieser Mann zu keinem Helden mehr taugte und zu keinem Idol - dieser naive Mann, der die Wahrheit erkannt hatte... Und vielleicht hätte er, als leicht verwahrlostes Genie, weiter Brot gebacken nach der Genesung von dem Attentat. Und vielleicht hätte er sogar daran gedacht, eine eigene Bäckereikette aufzumachen: für Lennono-Brot.
MUSIK: John Lennon - Imagine
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