70. Todestag von Dietrich Bonhoeffer

Eine zutiefst widersprüchliche Gestalt

Der Theologe, NS-Widerstandskämpfer und Pazifist Dietrich Bonhoeffer (undatierte Aufnahme)
Der NS-Widerstandskämpfer und Pazifist Dietrich Bonhoeffer (undatierte Aufnahme) © dpa / Archiv
Friedrich Wilhelm Graf im Gespräch mit Vladimir Balzer und Axel Rahmlow · 09.04.2015
"Von guten Mächten wunderbar geborgen" - so fühlte sich der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer wenige Wochen, bevor er am 9. April 1945 von den Nazis ermordet wurde. Die neuere Forschung zeigt jedoch, dass der Widerstandskämpfer kein Heiliger war.
Am Donnerstag haben sich mehr als 200 junge Menschen in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg versammelt, um an den evangelischen Pfarrer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) zu erinnern. Im früheren Arresthof des einstigen Konzentrationslagers beteten und sangen sie, unter anderem auch das Lied "Von guten Mächten wunderbar geborgen", das Bonhoeffer im Berliner Gestapo-Gefängnis in der Nacht zum Neujahrstag 1945 verfasst hatte. Vier Monate später, am 9. April 1945, war der Widerstandskämpfer im Morgengrauen mit weiteren NS-Gegnern erhängt worden.
Geboren wurde Bonhoeffer am 4. Februar 1906 in Breslau. Er gehörte zur Bekennenden Kirche, leitete deren illegales Priesterseminar und erhielt Rede- und Schreibverbot, ehe er am 5. März 1945 verhaftet wurde.
Widerstand als moralische Pflicht
Anlässlich seines 70. Todestags beschrieb Friedrich Wilhelm Graf, protestantischer Theologe und emeritierter Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität München, Bonhoeffer als einen Menschen, der Leiden bewusst auf sich genommen hat. Er sei 1939 schon in den USA gewesen, sei dann aber am Vorabend des Zweiten Weltkriegs freiwillig nach Deutschland zurückgekehrt, sagte Graf am Donnerstag auf Deutschlandradio Kultur.
"Er will den Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland annehmen. Er meint, dass es so eine moralische Pflicht gibt, nach Deutschland zurückzukehren und mit anderen gegen den Nationalsozialismus zu kämpfen. Das alles ist sehr überlegt, und es hat sicherlich mit einer sehr elementaren religiösen Erfahrung zu tun und einem ganz gesteigert moralisch-sensiblen Verantwortungsbewusstsein."
Bildungsbürger aus dem Grunewald
Bonhoeffer habe es für seine "fromme, heilige Pflicht" gehalten, die Nazis zu bekämpfen. Allerdings sei der Theologe "eine höchst ambivalente, zutiefst widersprüchliche Gestalt" gewesen. Wie viele junge Protestanten sei er auch kein Anhänger der Weimarer Republik gewesen. "Er war ein Bildungsbürger aus dem Grunewald, der leicht antisemitische Ressentiments hegte", sagte Graf.
"Am Anfang ist er, wie so viele andere Deutsche, von der nationalsozialistischen Revolution fasziniert." Daher sei er im Protestantismus auch lange umstritten gewesen. Nach dem Krieg sei Bonhoeffer trotz seiner Ambivalenz zu einem "Heiligen" und einem "Helden" stilisiert worden. "Man suchte nach eindeutigen Identifikationsgestalten."
Bonhoeffer sei "gewiss kein Demokrat aus Überzeugung gewesen", führte Graf weiter aus. Er sei "ein eigentümlich Suchender", der sich in seiner Ethik "sehr stark an bürgerlich-konservativen Ordnungsvorstellungen" orientiert habe. Neuerdings werde darüber debattiert, ob Bonhoeffer möglicherweise homosexuell gewesen sei. Eine Antwort darauf gebe es nicht.
Ihm selbst, so Graf, sei der Hinweis wichtig, dass Bonhoeffer unter inneren Widersprüchen gelitten habe und in seiner Frömmigkeit auch nicht aufgegangen sei. So habe er im Gefängnis zuletzt auch gar keine theologische Literatur, sondern bildungsbürgerlich-historische Werke, etwa zur preußischen Wissenschaftsgeschichte, gelesen. Frömmigkeit habe Bonhoeffer vor allem in Anspruch genommen, "um Ordnung in seinem Leben sichtbar werden zu lassen".
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