70 Jahre Kriegsende

Sinnloses Sterben kurz vor der Kapitulation

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Letzte Ruhestätte für Zehntausende Kriegstote: der Waldfriedhof Halbe © Deutschlandradio / Ellen Häring
Von Ellen Häring · 07.05.2015
Ende April 1945 fand im brandenburgischen Halbe die größte Schlacht auf deutschem Boden statt. Dabei starben 60.000 Menschen. Fritz Lecke, damals 18-jähriger Soldat, hat überlebt. Bis heute plagen ihn Albträume.
"Und wir danken Ihnen, dass Sie heute zurückgekommen sind an den Ort dieses Grauens. Sie sind es, die die Erinnerung wachhalten, die wachgehalten werden muss. Verehrte Zeitzeugen, wir halten Sie ganz besonders hier in unserer Mitte willkommen."
Die blaue Baskenmütze schräg auf dem Kopf, die Gehhilfe fest umklammert hört Fritz Lecke, 88 Jahre alt, die Worte von Außenminister Steinmeier auf dem Waldfriedhof Halbe. Er ist gemeint, wenn der Außenminister darum bittet, die Erinnerung wach zu halten. Er und die anderen 80-, 90-jährigen Männer, die es geschafft haben, noch einmal an den Ort zu kommen, der ihr Leben so einschneidend geprägt hat: Vor 70 Jahren haben sie hier als Soldaten gekämpft, viele waren fast noch Kinder. Fritz Lecke erinnert sich:
"Ich wurde 18, da war ich vorne im Schützengraben an der Oder. Und am 16. April war ja der Großangriff der Russen auf Berlin. Da mussten wir dann rückwärts ziehen und dann hier durch Halbe."
Fritz Lecke hatte mit seinen 18 Jahren schon viel Schreckliches gesehen. Aber die grauenhaften Szenen und das sinnlose Sterben kurz vor der Kapitulation kann er bis heute nicht in Worte fassen.
"Aber was ich in Halbe erlebt habe, das war schrecklich. Das war ganz schrecklich."
Hitlers Kanonenfutter glaubte bis zuletzt an den Endsieg
Panzer überrollten die Menschen zuhauf, überall lagen Leichen, Tierkadaver.
Fritz Lecke war ohne seine Division unterwegs, die hatte sich bereits aufgelöst. Wie durch ein Wunder schaffte er es, aus dem eingekesselten Halbe zu fliehen – und so zu überleben.
Dass er Hitler als Kanonenfutter gedient hat, ist ihm heute klar. Damals war das anders.
"Ich muss ehrlich sagen, ich war überzeugt bis zum Schluss."
Überlebte als 18-jähriger Soldat die Schlacht von Halbe: Wehrmachtsveteran Fritz Lecke
Überlebte als 18-jähriger Soldat die Schlacht von Halbe: Wehrmachtsveteran Fritz Lecke© Deutschlandradio / Ellen Häring
Fritz Lecke war Hitlerjunge, später beim Jungvolk und durch die nationalsozialistische Erziehung durch und durch geprägt. Er glaubte an den Endsieg. Heute zeigt er mit dem Finger an die Stirn.
"Wir sind ja richtig verarscht worden."
Er gerät in russische Gefangenschaft und wird erst nach fünf Jahren entlassen. Dann – Fritz Lecke ist inzwischen 23 Jahre alt – beginnt sein zweites Leben.
"Und bin dann in 49 als junger Mensch nach Hause gekommen. Keine Schulausbildung, keine Berufsausbildung. Die Freunde von mir, die waren dann beizeiten nach Hause gekommen, die haben alle tolle Berufe gehabt. In der Zeit konnten die studieren, Zahnarzt oder irgendwas, aber wie ich 49 nach Hause kam, war der Zug abgefahren."
Er schafft es, parallel zu einer kaufmännischen Ausbildung den Schulabschluss nachzuholen. Er gründet eine Familie, bekommt zwei Kinder. Aber seine Erlebnisse als Jugendlicher verfolgen ihn.
"Ich muss Ihnen sagen, ich schlafe heute noch mit manchen Träumen aus der Zeit."
Eine Pflicht, die Erinnerung wachzuhalten
Schon zum dritten Mal ist Fritz Lecke deshalb in Halbe.
Er ist dabei, wenn die sterblichen Überreste der Kriegstoten, die immer noch gefunden werden, in Halbe eingebettet werden. Es ist seine Art, den Krieg und die eigenen Erlebnisse zu verarbeiten. Nun, so meint er, ist er alt und wohl zum letzten Mal auf dem Waldfriedhof. Als die Einladung der Kriegsgräberfürsorge per Post zu ihm nach Hause kam, wollte er aus gesundheitlichen Gründen absagen.
"Und da hat meine Tochter gesagt: Vater, da fährst du noch einmal hin. Der Dieter, mein Schwiegersohn, fährt dich."
Dieter sitzt still neben dem Schwiegervater auf der Bank und hört zu. Die Erinnerung wachhalten, das war Fritz Lecke eine Pflicht – nicht nur für die nächste, auch für die übernächste Generation.
"Ich hab ja die Erinnerungen schriftlich gemacht, und da hab ich nur drunter geschrieben: als Erinnerung an euren Opa und euren Vater mit dem Wunsch, dass meine Enkelkinder das nicht mehr..." (weint)
Die Tränen ersticken, was Fritz Lecke seinen Enkelkindern wünscht: nie wieder Krieg.
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