670.000 Deutsche ohne Girokonto

Moderation: Marietta Schwarz · 19.04.2013
Das System der freiwilligen Selbstverpflichtung der Banken, jedem ein Girokonto zu ermöglichen, funktioniert nicht, kritisiert der SPD-Politiker Carsten Sieling. Trotz dieser Regelung gebe es 670.000 Menschen ohne Girokonto. Daher müsse es einen gesetzlich verankerten Anspruch geben.
Marietta Schwarz: Dauerauftrag für die Miete, abends noch schnell die Rechnung für den Interneteinkauf überweisen, online natürlich! Für fast alle von uns ist das eine Selbstverständlichkeit, aber eben nur für fast alle. Denn nach Schätzungen von Verbraucherschützern leben in Deutschland rund 600.000 Menschen ohne Girokonto. Oft hat die Bank gekündigt wegen Verschuldung und Kontopfändung, zur dann ohnehin schwierigen Lage kommt noch eine ganze Reihe von praktischen Problemen hinzu, und als ob das nicht schon genug wäre: Teuer wird es auch noch!

Einen gesetzlichen Anspruch auf ein Girokonto gibt es bislang nicht, doch die Opposition macht sich stark dafür. Heute stimmt der Bundestag über drei verschiedene Anträge von SPD, Grünen und Linke ab. Es wäre den Menschen geholfen, die wie der Betroffene im Beitrag als MP3-Audio Bericht von Stefan Maas jahrelang ohne Girokonto gelebt haben.

Und am Telefon ist jetzt Carsten Sieling, für die SPD-Fraktion Berichterstatter für finanziellen Verbraucher- und Anlegerschutz. Guten Morgen, Herr Sieling!

Carsten Sieling: Schönen guten Morgen!

Schwarz: In elf europäischen Ländern gibt es bereits einen gesetzlichen Anspruch auf ein Girokonto, in Deutschland nicht. Warum ist das so schwer durchzusetzen hierzulande?

Sieling: Ja, weil eben die Banken dieses bisher nicht machen wollen. Es gibt in Deutschland eine Verabredung, eine freiwillige Selbstverpflichtung des Kreditsektors, so etwas zu machen, die gibt es allerdings schon seit 18 Jahren, seit 1995. Und wir haben immer noch das Problem, dass etwa 670.000 Menschen ohne Konto sind, darum trägt es nicht.

Schwarz: Aber es ist ja nicht so, dass es in Deutschland keine Regelungen gibt. Also, es gibt die bereits erwähnten Guthabenkonten, wie soeben im Beitrag gehört, also Konten, die man nicht überziehen darf. Und es gibt auch eine gesetzliche Regelung, wonach jeder Schuldner ein Recht auf ein sogenanntes Pfändungskonto hat, eine Kündigung durch die Bank gibt es also gar nicht mehr. Das ist doch eigentlich eine brauchbare Lösung?

Sieling: Das ist ein Rahmen und das sind alles Schritte, die auch gemacht worden sind und natürlich schon sehr, sehr stark helfen. Aber es bleibt eben wie gesagt immer noch ein großer Teil von Menschen, die irgendwann ein Konto verloren haben, teilweise wegen Überschuldung, und dann diesen Zugang nicht finden. Das hat auch damit zu tun, dass das von Ihnen angesprochene Pfändungskonto ja erst vor einigen Jahren geschaffen wurde, von der damaligen sozialdemokratischen Justizministerin Frau Zypries, und auch ein Kompromiss war, auch immer noch mit der Hoffnung verbunden war, dass der Kreditsektor es, wie eigentlich in einer gesunden Marktwirtschaft üblich, selber macht. Aber er macht es eben nicht immer.

Schwarz: Warum sperrt der Kreditsektor sich denn so dagegen?

Sieling: Ja, natürlich ist das ein gewisses Risiko und eine Sorge, die dort jede Bank, jede Sparkasse hat, dass es zu Ausfällen kommen kann, dass die Zahlungsverpflichtungen nicht hinreichend sind. Gleichwohl wir ja auch sagen bei einer gesetzlichen Verpflichtung, natürlich kann man auf so einem Konto dann nicht überziehen!

Schwarz: Haben die Anträge – es sind ja drei heute –, über die der Bundestag berät, eine Chance auf eine Mehrheit?

Sieling: Die Situation ist leider so, dass die schwarz-gelbe Koalition an das Thema nicht so entschieden heran möchte, wie alle drei Oppositionsfraktionen das machen. Alle drei mit unterschiedlichen Detailfragen dann, sagen aber, wir brauchen eine gesetzliche Regelung. Die Koalition schlägt weitere freiwillige Schlichtungsverfahren und Ähnliches vor und ist ja auch mit einem Antrag unterwegs.

Schwarz: Worum geht es denn genau in diesen drei Anträgen?

Sieling: In den drei Anträgen geht es im Kern erst mal darum, dass die Bundesregierung aufgefordert wird, einen Gesetzentwurf entsprechend vorzulegen für ein solches Girokonto auf Guthabenbasis, dort sollen die üblichen Basisfunktionen erhalten sein, die man braucht eben, Lastschrift, Überweisung und so weiter und so fort. Kreditkartenfunktionen sind nicht dabei mit vorgesehen, aber natürlich auch Abheben am Geldautomaten muss möglich sein.

Schwarz: Jetzt sagen Sie, die Bundesregierung hat da kein rechtes Interesse dran, aber unter Schwarz-Rot oder Rot-Grün ist ein solches Gesetz ja auch nicht auf den Weg gekommen! Also ist vielleicht der Bedarf doch nicht so groß?

Sieling: Ja, unter Rot-Grün hat man – bis 2005 ist das ja gewesen - immer noch die Jahre von 1995, diese ersten zehn Jahre, gehofft und daran gearbeitet. In der Großen Koalition hat man dann dieses Pfändungsschutzkonto gemacht. Wir hätten damals schon gerne ein Girokonto für jedermann, wie wir es nennen, und jedefrau eingeführt. Aber das ist damals am damaligen Koalitionspartner CDU/CSU gescheitert, die damals schon nicht heran wollten. Und deshalb hat man dieses Pfändungsschutzkonto als eine weitere Maßnahme zur Heilung des Dilemmas, wenigstens das vorgenommen.

Schwarz: Halten Sie das für wirksam oder für nicht wirksam?

Sieling: Nicht für hinreichend wirksam, vor allem, weil es auch dort noch unterschiedliche Kosten gibt. So ein Pfändungsschutzkonto wird teilweise deutlich teurer angeboten. Und auch da schlagen wir in unserem Antrag vor, dass man das begrenzt und dafür sorgt, dass dort die üblichen Kosten für Gehaltskonten nur erhoben werden.

Schwarz: Jetzt haben wir gerade im Beitrag gehört, dass die Banken die Schuldner, aber auch diejenigen, die Überweisungen tätigen, noch mal ordentlich berappen bei solchen Spezialkonten. Dann müsste der Staat doch eigentlich auch ein Interesse an einer gesetzlichen Lösung haben, der zahlt ja auch! Also, wenn wir nur mal das Beispiel Bundesagentur für Arbeit nehmen, die ja auch Überweisungen tätigt!

Sieling: In der Tat! In der Anhörung, die wir hier im Deutschen Bundestag zu unserem Vorschlag gehabt haben, hat die Agentur für Arbeit deutlich gemacht, dass sie elf Millionen Kosten in 2011 beispielsweise hatte. Und das ist schon eine Summe, die man sich eben dadurch auch wirklich ersparen könnte. Deshalb eben diesen Vorschlag. Wie gesagt, die Regierungskoalition setzt dort auf Schlichtungsverfahren und will versuchen, das quasi wegzumoderieren, aber die Erfahrung zeigt, dass man da, glaube ich, deutlicher heran muss. Wobei ich gerne auch sagen möchte, dass es natürlich in der Welt der Kreditinstitute schon Unterschiede gibt. Also, die örtliche Sparkasse, die Volksbanken und so weiter haben häufiger das Interesse der Kunden stärker im Auge. Aber da gibt es eben auch Unterschiede, die nicht sein müssen.

Schwarz: Im Deutschen Bundestag also erst mal keine Chance auf eine gesetzliche Regelung. Das Thema beschäftigt zurzeit ja auch die EU, also, die Kommission wird schon im Juni ihre Forderungen dazu vorlegen. Warum bringen Sie dann jetzt überhaupt Anträge in den Bundestag ein?

Sieling: Die EU nimmt das Problem in der Tat auch auf und zeigt auch mit dem Finger auf Deutschland und sagt, warum habt ihr das eigentlich nicht gemacht? Aber die EU wird wohl eine europaweite Richtlinie oder gar Verordnung erlassen. Allerdings ist es noch nicht so weit und wir sind der Auffassung, seit 1995 warten wir. Das Problem ist vielleicht sogar schon etwas älter, 95 war ja schon die erste Reaktion. 18 Jahre sind jetzt wirklich genug und es gibt hier keinen sachlichen Grund, abzuwarten.

Wir bewegen uns genau in dem, was die EU dann auch vorschlagen wird. Und von daher wäre es eigentlich gut, wenn das stärkste Land in der Europäischen Union wirklich da auch Ordnung schaffen würde und auch das Soziale und Verantwortliche einer funktionierenden Marktwirtschaft zum Ausdruck bringt. Und darum geht es uns und ich hoffe, dass wir nach dem September im Deutschen Bundestag die entsprechenden Mehrheiten haben, so was dann auch beschließen zu können!

Schwarz: Carsten Sieling, für die SPD-Fraktion Berichterstatter für finanziellen Verbraucher- und Anlegerschutz. Herr Sieling, danke!

Sieling: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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