60 Jahre Römische Verträge

EU am Scheideweg

Maltas Premier Muscat, EU-Ratspräsident Tusk, Griechenlands Premierminister Tsipras und Gentiloni, Ministerpräsident von Italien posieren für Fotografen vor dem Beginn ihres Treffens in Rom anlässlich des 60. Jahrestages der Römischen Verträge.
Maltas Premier Muscat, EU-Ratspräsident Tusk, Griechenlands Premierminister Tsipras und Gentiloni, Ministerpräsident von Italien posieren für Fotografen vor dem Beginn ihres Treffens in Rom anlässlich des 60. Jahrestages der Römischen Verträge. © AFP / Andreas SOLARO
Von Burkhard Birke · 25.03.2017
Vor 60 Jahren haben Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande, Luxemburg und Deutschland die Römischen Verträge unterzeichnet. Damit legten sie die Grundlage für Frieden und Stabilität in Europa, meint Burkhard Birke. Heute stecke die EU in der Krise und müsse sich reformieren.
Im Geburtstagssekt steckt ein dicker Wehrmutstropfen. Ja: 60 Jahre Römische Verträge sind ein Grund zu Feiern. Jahrzehnte des Friedens, weitgehend grenzenloser Verkehr zwischen den Mitgliedsländern, eine gemeinsame Währung für viele. Aus ausgegrenzten Diktaturen im Süden und Osten wurden demokratische Mitgliedsstaaten. Keine Frage: Die Europäische Union ist ein Erfolgsmodell und eines, das es unter allen Umständen zu verteidigen gilt.

Ein Erfolgsmodell, das verteidigt werden muss

Und damit sind wir beim Wehrmutstropfen. Zu seinem 60. steht das Projekt des gemeinsamen Europa unter massivem Beschuss. Überall stellen die vermeintlichen Heilsbringer populistischer Strömungen die Errungenschaften und Institutionen in Frage, predigen die Rückkehr zum Nationalstaat und preisen dessen Vorzüge.
Mit Großbritannien schickt sich ein stets europaskeptisches Land an, den erlauchten Kreis endgültig zu verlassen. Die Finanz-, sprich die Schuldenkrise ist eingedämmt, aber alles andere als gelöst. Noch immer schwebt ein Ausstieg Griechenlands und/oder anderer Länder aus dem EURO wie ein Damoklesschwert über der Union. Die Flüchtlingsströme drohen wieder anzuschwellen. Der islamistische Terror hat gerade in den letzten Tagen wieder in grausamer, menschenverachtender Weise zugeschlagen.
All diese Entwicklungen gekoppelt an Ängste vor der Globalisierung und Digitalisierung der Welt sind Wasser auf die Mühlen der Populisten und Nationalisten. Selbst ein Wahlsieg der rechtsradikalen Marine Le Pen in Frankreich scheint keine Absurdität mehr.

Schicksal Europas liegt in Händen der Franzosen

Europa steht am Scheideweg. Sein Schicksal liegt in den Händen des französischen Wählervolkes. Denn sollte allen Erwartungen und republikanischen Reflexen zum Trotz die Präsidentin des Front National in den Elysée Palast einziehen und ihr Programm durchsetzen, so wäre das der Anfang vom Ende der immer engeren Union der europäischen Völker.
Le Pen will raus aus dem Euro, wieder Grenzkontrollen einführen, Frankreich seine Souveränität zurückgeben. Aus dem europäischen Motor Deutschland und Frankreich würde ein Tandem, bei dem in unterschiedliche Richtungen getreten wird… Stillstand, der Tod dieses vor 60 Jahren so vielversprechend begonnenen europäischen Einigungsprozesses wären die Folge.
Viele Menschen in Europa haben dies erkannt, verteidigen allwöchentlich die europäische Idee lautstark auf der Straße. Und dennoch sitzen bei vielen Zweifel und Enttäuschung über dieses Europa tief, so tief, dass möglicherweise am Ende der Populismus siegt?
Immerhin gibt es mit Emmanuel Macron in Frankreich einen Präsidentschaftskandidaten für den Europa nicht das Problem, sondern die Lösung ist. Dem aber längst klar ist, dass es ein weiter so wie bisher nicht geben darf.

Schutz vor Turbokapitalismus und Globalisierung

Die Union muss wieder die Nähe zu ihren Bürgern suchen, ihnen durch konkrete Maßnahmen verdeutlichen, dass gleich welcher Nationalität, Europäer zu sein auch bedeutet, sozial geborgen, geschützt zu sein vor den Auswüchsen des Turbokapitalismus und einer unkontrollierten Globalisierung und Digitalisierung. Gemeinsamkeit macht doch stark – wie die Briten sicher bald schmerzlich fühlen werden, wenn sie wieder allein auf weiter Flur stehen.
Die Europäische Union muss ihre Institutionen reformieren, demokratisieren. Gemeinsame Projekte wie ein europäisches Google in Analogie zu dem Erfolgsprojekt AIRBUS sollten lanciert werden. Die Schaffung einer gemeinsamen Verteidigung scheint angesichts der zweideutigen Kommentare von US Präsident Trump mehr denn je ein Gebot der Stunde.
Vor allem aber muss sich die Europäische Union endlich von dem Prinzip verabschieden, dass der Langsamste das Tempo bestimmt. Die Union ist zu schnell und zu heterogen gewachsen. Staaten wie Polen und Ungarn nähren Zweifel an ihrer Demokratiefähigkeit. Das Europa verschiedener Geschwindigkeiten ist eine Realität und sollte forciert werden. Ein Kerneuropa schreitet voran, ohne den anderen oder selbst Außenstehenden die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Denn selbst nach einem Brexit wäre Großbritannien in einer Verteidigungsunion sicher willkommen.
Nur wenn ein Kern von Ländern die immer engere Union im Sinne der Römischen Verträge endlich auf den Weg bringt, sich zu weiterem Souveränitätsverzicht und mehr Solidarität für ein größeres Ganzes bekennt, wird die EU überleben.
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