60 Jahre Fernsehturm Stuttgart

Ein schwäbisches Meisterstück

Sie Sonne geht am 08.11.2015 in Stuttgart hinter dem Fernsehturm unter.
Oben auf dem Stuttgarter Hausberg Bopser: der Fernsehturm © picture alliance / dpa / Wolfram Kastl
Von Marietta Schwarz · 04.02.2016
Als der Bauingenieur Fritz Leonhardt vor 60 Jahren den Stuttgarter Fernsehturm erschuf, war das Gebäude eines der höchsten der Welt. Er erfand einen völlig neuen Bautyp, der danach in aller Welt kopiert wurde.
Am Anfang sollte es nur eine unscheinbare Antenne werden. Eine stählerne Nadel, hoch oben auf dem Bopser, dem Stuttgarter Hausberg. Am Ende wurde es ein schwäbisches Meisterstück. Mehr noch: Ein Symbol, das von dort seinen globalen Siegeszug antrat - als erster Fernsehturm der Welt. Die Betonung liegt auf FERNSEHturm:
Einspieler der Fernsehwerbung aus den 50er-Jahren:

"Jetzt sitzt man in aller Ruhe vor Prochaskas Fernsehtruhe, und kann Kunst und Weltgeschehen einwandfrei im Bildschirm sehen."
"Das Fernsehen stand damals für technischen Fortschritt, die Ausstattung der Bevölkerung mit Fernsehgeräten war der Indikator für Wohlstand."
... so Rudolf Pospischil, Telekommunikationsfachmann und Buchautor. Auch im Stuttgarter Raum zogen damals Fernsehmöbel in die Wohnzimmer...
Einspieler Werbung:

"Wählen Sie in aller Ruhe Tischgeräte Luxustruhe oder Radioapparat."
...viel Holz, wenig Knöpfe, schlechter Empfang. Das sollte die Antenne auf dem Bobser ändern. Der Ingenieur Fritz Leonhardt aber wollte mehr. Er hatte die Idee zu einem neuen Bautypus, der dann weltweit kopiert werden sollte: dem Fernsehturm.
Fernsehtürme sind Silhouettenarchitekturen
"Das Bauwerk besteht aus drei ganz elementaren Bauteilen, die wir wieder finden werden: 1. Einem Schaft aus Stahlbeton, einer Röhre, diese Röhre trägt einen Turmkopf, in diesem Turmkopf ist ein Restaurant mit Aussichtsplattform für die Bevölkerung eingerichtet, eine große Innovation für diese Zeit, und oberhalb des Turmkopfs befindet sich der eigentliche Antennenträger, auf den die Maste montiert werden."
Dieser Bautyp verändert die Stadtbilder: Stuttgart, Dortmund, Berlin oder Moskau. Seattle, Johannesburg, Barcelona: Überall entstehen in den kommenden Jahrzehnten Fernsehtürme. In Las Vegas sogar einer, der funktional gar keiner ist. Er beherbergt – was sonst? – ein Spielcasino. Und in schwindelerregender Höhe eine Achterbahn.
Fernsehtürme sind mehr als alle anderen Bauwerke Silhouettenarchitekturen. Der Umriss als Wahrzeichen - bestens geeignet für Stilisierungen, Logos oder als Souvenir. Eine Ausstellung im Architekturmuseum Frankfurt hat das vor einigen Jahren gezeigt. Ob Lolli, Häkelturm oder sogar Ohrreiniger – vom Souvenirgeschäft bleibt kein Fernsehturm verschont. Schon allein im Sinne des Stadtmarketing war die Idee des Fritz Leonhardt also geradezu visionär.
Ein politischer Bautyp
In Deutschland spiegelt der Bau der Fernsehtürme auch den Kampf der politischen Systeme. An der Zonengrenze mehrten sich in den 60er Jahren die Türme. Westfernsehen strahlt tief in den Osten. Und dass 1969 mitten in Ost-Berlin, am Alexanderplatz, empfangstechnisch übrigens schlecht positioniert, ein auch im Westen weithin sichtbarer Turm eröffnete, ist natürlich kein Zufall.
"Fernsehtürme sind wohl der Bautypus der letzten 50 Jahre, der der politischste ist, und wo man eigentlich am deutlichsten das Verhältnis von Macht, Repräsentation, Zukunftsglauben, gesellschaftlicher Vorstellungen und lokaler Identität aufzeigen kann."
... sagt der Kurator und Designtheoretiker Friedrich von Borries. Fast jeder Fernsehturm habe auch eine politisch spannende und wechselvolle Geschichte. Was wohl auch daran liegt, dass dem Bautypus ein Superlativ innewohnt:
"Sehr viele wollen schon, kann man sagen, einfach den Längsten haben."
Die Liste der höchsten Fernsehtürme führt derzeit übrigens mit einer Höhe von 634 Metern Tokyo an. Stuttgart, mit 217 Metern einst unter den Top Ten der welthöchsten Gebäude, ist auf Platz 80. Dafür bleibt der Bopser-Turm der erste in der Geschichte. Er spielte die Baukosten innerhalb von nur 5 Jahren mit Eintrittsgeldern ein. Sein Restaurant dreht sich zwar nicht (wie in Berlin), höchstwahrscheinlich schmeckt's da aber besser. Höhe ist eben doch nicht alles.
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