500 Jahre Reinheitsgebot

Bier und die Grenzen seiner Reinheit

Ein naturtrübes Pils wird am 16.02.2016 in Mannheim im Technoseum in der Ausstellung "Bier. Braukunst und 500 Jahre deutsches Reinheitsgebot" von einer Bierflasche in ein Bierglas geschüttet.
Ein naturtrübes Pils wird in Mannheim im Technoseum in der Ausstellung "Bier. Braukunst und 500 Jahre deutsches Reinheitsgebot" von einer Bierflasche in ein Bierglas geschüttet. © picture alliance / dpa / Uwe Anspach
Von Georg Gruber · 19.04.2016
Bier erfreut sich hierzulande großer Beliebtheit, nach Tschechien belegt Deutschland Platz zwei im jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch des Gerstensafts. Und man ist stolz auf das deutsche Reinheitsgebot. Doch ist dieses Gebot ein Nachteil für die heimischen Brauer im internationalen Wettbewerb?
Aldersbach in Niederbayern, 150 Kilometer von München entfernt. In dem ehemaligen Kloster wird in den nächsten Tagen das Jubiläum "500 Jahre Reinheitsgebot" mit einer großen Ausstellung gefeiert, organsiert vom Haus der Bayerischen Geschichte. Und um das Jubiläum auch angemessen begehen zu können, werden dort in der Wirtschaft dann zwei spezielle Festbiere ausgeschenkt: Abgesandte von zwölf bayerischen Klosterbrauereien brachten dafür Wasser in die Aldersbacher Brauerei – Klöster waren eine wichtige Keimzelle des Brauwesens. Heute zum feierlichen Sudansetzen spielt die Blasmusik auf. Klar, dass dabei das Reinheitsgebot – Bier darf nur aus Wasser, Gerste, Hopfen und Hefe bestehen - nicht in Frage gestellt wird:
"Das ist ja die Identität des bayerischen Bieres, wenn man das weg täte, dann verkauft der bayerische Brauer seine Identität, das täte ich auf alle Fälle falsch finden."
"Ein Bier braucht nicht mehr als wie die vier Zutaten, und das ist einfach eine super Sache und das soll auch weiter so bleiben, die nächsten 500 Jahre."

"Ich will kein aromen-gentechnik-billig-stabilisiert-haltbar-gemachtes gefärbtes Bier"

Doch selbst hier finden sich kritische Stimmen, etwa die von Urban Winkler, von der fränkischen Klosterbrauerei Weissenohe. Der Bio-Brauer wünscht sich mehr Freiheiten:
"Ich bring’s mal auf den Punkt, ich will kein aromen-gentechnik-billig-stabilisiert-haltbar-gemachtes gefärbtes Bier, aber ich will die Möglichkeit haben, eine Bioquitte oder ein Biogewürz in meinem Bier verwenden zu dürfen."
Rückblick: Vor dem Reinheitsgebot von 1516 verwendeten die Brauer für ihr Bier, was ihnen gefiel - und was gerade zu haben war, erklärt Rainhard Riepertinger vom Haus der Bayerischen Geschichte. Hafer, Gerste, Weizen und allerlei andere Zusätze:
Riepertinger: "Man hat alles versucht, von Fruchtsorten angefangen bis hin zu Bilsenkraut oder Tollkirsche. Zum Teil hat das wirklich, wenn es zum Beispiel Kümmel war, geschmackliche Hintergründe gehabt, zum Teil wollte man auch die berauschende Wirkung verstärken, zum Teil auch besser konservieren damit, also da gab es die gesamte breite Palette an dem, was sie sich an Pflanzen haben vorstellen können."
Allerdings gab es auch schon vor dem Reinheitsgebot eine Fülle kommunaler Verordnungen, die versuchten, die Herstellung und den Bierhandel zu regeln.
So wie das Augsburger Stadtgesetz aus dem Jahr 1156, in dem es unter anderem heißt: Zitat nach Franz Meußdoerffer, Martin Zarnkow, Das Bier. Eine Geschichte von Hopfen und Malz, C.H. Beck Verlag, S. 90
"Wenn ein Bierschenker schlechtes Bier macht oder ungerechtes Maß gibt, soll er gestraft werden. Überdies soll das Bier vernichtet oder den Armen umsonst ausgeteilt werden."

Nicht lange haltbar, aber geschmacklich überzeugend

Bis ins späte Mittelalter gibt es in Bayern kaum Hopfenbier, sondern vor allem Grutbier, hergestellt auf der Basis des Gagelstrauches und anderer Kräuter. Nicht besonders haltbar und auch geschmacklich nicht immer überzeugend. Gunther Hirschfelder von der Universität Regensburg hat eine Kulturgeschichte des Bieres von der Steinzeit bis heute geschrieben:
"Und dann kommt seit dem 15. Jahrhundert eine große Welle von Hopfenbier vor allem aus dem niedersächsischen und dem westfälischen Raum, das überrollt den Markt, das ist besser haltbar, es ist geschmacklich viel besser und es ist vor allem preiswerter in der Herstellung. Und jetzt gehen die bayerischen Herzöge hin und sagen: Stopp, wir wollen erstens auch die neuen Technologien haben und wir wollen zweitens unsere Produkte schützen, wir wollen unsere Steuereinnahmen schützen, und deshalb erlassen wir eine Bestimmung, die vorsieht, dass Bier in der Herstellung reglementiert wird und auch von der Herkunftsbezeichnung reglementiert wird, damit wir uns gegen diese starken Importe schützen."
Die bayerischen Herzöge Ludwig X und Wilhelm IV verfolgten mit dem Erlass mehrere Ziele: Die Verbesserung der staatlichen Einnahmen, die Stärkung der heimischen Wirtschaft, Kontrolle über das Marktgeschehen, vor allem über die kritische Getreideversorgung der Bevölkerung und Verbraucherschutz, denn nicht immer war das Bier bekömmlich. Festgelegt wurde auch der Preis, der für Bier verlangt werden durfte.
Die zentrale Stelle, auf die sich die bayerischen und deutschen Brauer bis heute berufen, lautet aber:
Zitator Reinheitsgebot 1516: "Ganz besonders wollen wir, dass forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gerste, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen."
Hefe wird nicht erwähnt, sie wurde als bekannt vorausgesetzt, sagt Martin Zarnkow, vom Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität. Auf dem Fensterbrett in seinem Büro steht ein Glasgefäß mit einem Getreidegebräu, wie es die Sumerer vor fünftausend Jahren ansetzten, überliefert in der Ninkasi-Hymne:
Zarnkow: "Und da steht drin, dass man eben zu drei Teilen Wasser, ein Teil Malzschrot, ein Teil nicht gemälztes Getreide, vermahlen und ein Teil Sauerteigbrot dazu gibt. Dieses Bier wurde gleich am ersten Tag im Grunde auch getrunken, da war es natürlich noch nicht ein Bier, sondern ehrlich gesagt so eine Art Müsli. Und durch diese Taktik, zum Beispiel nicht alles aus Malz zu machen, hat sich das ziemlich lang hingezogen, diese Gärung und so konnte man das über zwei, drei Wochen in der Hitze Mesopotamiens, konnte man das Bier jeden Tag natürlich zu einem anderen Status trinken."
Das erste Bier wurde noch viel früher gebraut, im 10. vorchristlichen Jahrhundert, zu Beginn des Ackerbaus, als der Mensch begann, sesshaft zu werden, im Zweistromland zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris, im Südosten der heutigen Türkei, im Nordirak und im Norden Syriens.
Feierliches Sudansetzen in Aldersbach. In den Räumen der Klosterbrauerei findet auch die große Landesausstellung zum Reinheitsgebot des Hauses der Bayerischen Geschichte statt. Aus diesem Anlass werden in Aldersbach zwei spezielle Festbiere gebraut.
Feierliches Sudansetzen in Aldersbach.© Deutschlandradio / Georg Gruber

In München steht ein Biertempel

In München steht ein Hofbräuhaus, erbaut 1589, nur wenige Jahrzehnte nach Verkündung des Reinheitsgebotes. Hier ist die Welt noch in Ordnung: Reisende aus aller Herren Länder strömen täglich in diesen Tempel des Bieres.
In der geräumigen Schwemme sitzen aber auch echte Einheimische, die sich teilweise schon seit Jahrzehnten an eigenen Stammtischen treffen und gerne auch bereits mittags ihr Bier aus Tonkrügen zu sich nehmen.
Bayern am Stammtisch:
Mann 1: "Ich trink halt sieben, acht Maß, manchmal mehr, aber unter sieben geh ich nicht, weil das rentiert sich nicht, dass ich rüber geh."
Mann 3: "Manchmal hab ich Durst, manchmal hab ich nicht so viel Durst, vier fünf werden’s alleweil."
Die Biere, die vor 500 Jahren, zur Geburtsstunde des Reinheitsgebots, gebraut wurden, hatten meist weniger Alkohol, als die heutigen Vollbiere, zwischen zwei und drei Prozent. Bayern war damals noch gar nicht Biernation, sondern Weinland, es wurde mehr Wein angebaut, als Bier gebraut. Erst mit den Klimaveränderungen im 16. Jahrhundert ging der Weinanbau zurück – und der Bierkonsum nach oben.
Hirschfelder: "Jetzt haben wir bitterkalte Winter, Spätfröste, verregnete Sommer, die Historiker sprechen von der kleinen Eiszeit, die sich über mehrere Generationen in Europa ausgebreitet hat. Das hatte zur Folge, dass der Weinbau nördlich der Mittelgebirge weitgehend zum Erliegen gekommen ist, sodass Bier seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum Volksgetränk Nummer eins in Europa geworden ist. Und das 19. Jahrhundert ist dann die eigentliche Blütezeit des Bieres in Deutschland."
Und das hat auch mit der technischen Entwicklung zu tun, wie Rainhard Riepertinger erklärt:
Riepertinger: "Das wichtigste ist diese Linde-Kältemaschine, die es einfach ermöglicht hat, die Gär- und Lagerkeller exakt zu kühlen. Vorher hat man das mit Natureis gemacht, das man aus Seen, Weilern, vielleicht zugefrorenen Flüssen gewonnen hat, das war zeitaufwändig, auch von der Menge her immer schwieriger. Und als man das zum ersten Mal geschafft hat, mit einer Art Kühlschrank sag ich mal, diese Keller zu kühlen, war das natürlich sehr viel einfacher, einfach anders zu brauen, verlässlicher zu brauen."
Erst mit der neuen Kältetechnik beginnt die weltweite Erfolgsgeschichte des Bieres.
Hirschfelder: "Und jetzt erst haben wir eine Situation, dass in Spanien, und vor allen Dingen in Italien und Griechenland die ersten Großbrauereien entstehen, die hier ein ganz neues Getränk auf den Markt bringen. Parallel kommt es in Australien, aber vor allem in den USA zur Gründung von Brauereien, hier konzentriert und riesig, natürlich auf die großen Städte beschränkt. Aber die Globalisierung, die fällt in die Zeit seit dem späten 19. Jahrhundert und heute ist Bier vielleicht das einzige wirklich globale Getränk."
Stammtisch "De Spitzbuam" im Hofbräuhaus in München. Jeden Mittwochmittag trifft sich der Stammtisch in der Schwemme des Hofbräuhauses. Natürlich wollen hier alle Männer nur Bier trinken, das nach dem Reinheitsgebot gebraut ist.
Stammtisch "De Spitzbuam" im Hofbräuhaus in München. © Deutschlandradio / Georg Gruber
Der Erlass der bayerischen Herzöge ging in die Geschichtsbücher ein, noch heute beziehen sich die Brauerverbände in Deutschland auf diesen Text. Doch wie strikt wurde er damals überhaupt eingehalten?
Hirschfelder: "Das Reinheitsgebot des Jahres 1516 hatte eine kurze Halbwertszeit."
Sagt Gunther Hirschfelder. Denn schon bald waren wieder Ausnahmen erlaubt, 1551 wurden beispielsweise Koriander und Lorbeer als Zutaten gestattet. Martin Zarnkow ist anderer Meinung:
Zarnkow: "Das hatte schon seinen Bestand, es gab immer mal Leute, die das umschifft haben und trotzdem hielten die Bayern daran fest."
Auch im Hofbräuhaus käme keiner auf die Idee, am Reinheitsgebot zu rütteln:
Umfrage Reinheitsgebot April 2016
"Wenn ich mir die Biere in Holland oder Belgien anschaue, wo Mais drin ist, das ist ja schlimm, ja, es soll bei Hopfen, Wasser, Gerste bleiben und Hefe, ja..."
"Das Reinheitsgebot braucht’s, weil das Alte ist immer besser wie das Neue, das Moderne mag ich nicht so, ich hab’s schon probiert, mit Mandarine, aber das ist nicht meins, von Österreich, mit Preiselbeeren, ein Schluck und wieder ausgespien…"
"Die Haufen Zusätze, wie sie schon in den Lebensmitteln sind, Geschmacksverstärker, das wollen wir nicht",
"Also bleiben wir beim Alten, dann passt das."
Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 übernahmen auch andere Länder ähnliche Regelungen, die ab 1906 im gesamten Reichsgebiet galten. Erlaubt waren damals – außerhalb Bayerns - auch Getreide wie Reis, Buchweizen oder Sorghum, vermutlich weil sich damit in den Kolonien leichter brauen ließ.
Der Begriff "Reinheitsgebot" ist übrigens noch keine 500 Jahre alt, sondern erst rund 100.
Riepertinger: "Es ist gar nicht so leicht, das zu verifizieren, wann das genau ist, wir gehen momentan davon aus, dass es um 1900 gewesen ist, dass man diesen Begriff dann irgendwann mal kreiert hat."
Heute wird das Bierbrauen in Deutschland im sogenannten "Vorläufigen Biergesetz" geregelt, immer noch im Geiste von 1516.
Eichele: "Der Kern des Reinheitsgebotes ist alle in der EU zum Bierbrauen zugelassenen Zusatzstoffe auszuschließen. Während andere Branchen, Metzger, Bäcker, seit Jahrzehnten versuchen den Einsatz von künstlichen Zusatzstoffen zurückzudrängen, E-Nummern, die alle von den Etiketten kennen, haben die Brauer durch das Reinheitsgebot diese künstlichen Zusatzstoffe konsequent ausgeschlossen."
Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes.
Eichele: "Biere nach Reinheitsgebot sind beschränkt auf die vier Zutaten: Wasser, Malz, Hopfen und Hefe. Und wer weiter gehen möchte, wer experimentieren möchte mit Früchten, mit Gewürzen, mit Kräutern, der kann das tun, da gibt es im Gesetz ein kleines Hintertürchen für sogenannte 'besondere Biere'. Diese Biere, mit Früchten zum Beispiel, auch die kann man brauen, in 15 Bundesländern."
Nur in einem ist das nicht möglich: In Bayern. Hier hält man die Fahne noch hoch, während im Rest von Deutschland immer mehr Brauereien das Hintertürchen für sich nutzen können:
Eichele: "Zuständig sind die Lebensmittelbehörden der Länder und in den meisten Fällen ist das völlig unproblematisch, es geht sogar per mail."

Ständig neue Craftbierbrauereien

Bis in die 80er-Jahre durfte in Deutschland kein Bier verkauft werden, das nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut war, auch kein ausländisches Bier - bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes 1987. Seitdem dürfen ausländische Brauer ihr Bier nach Deutschland importieren, mit allen Zusatz- und Konservierungsstoffen, die in den jeweiligen Ländern erlaubt sind. Die von vielen befürchtete Chemie-Bier-Schwemme auf Kosten der heimischen Brauer blieb allerdings aus. Und noch immer sind die meisten Biere in Deutschland nach dem Reinheitsgebot gebraut – 98 Prozent.
International stehen die Zeichen auf Marktkonzentration: Im Herbst 2015 kam es zur zweitgrößten Firmenübernahme in der Geschichte überhaupt: Anheuser-Bush Inbev, die Nummer eins der Bierbranche, kaufte SABMiller, die Nummer zwei, für rund 100 Milliarden Euro. Damit sind Biere wie Becks, Spaten, Löwenbräu, Corona, Budweiser, Miller’s, Foster’s und Hansa Pilsener unter einem Konzerndach. Ein Drittel des Weltmarktes.
In Deutschland ist der Markt umkämpft, viele Brauereien haben Überkapazitäten. Der Bierkonsum ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Mitte der 70er-Jahre trank jeder Deutsche noch durchschnittlich rund 150 Liter Bier pro Jahr, heute nur noch 106. Dafür ist das Brauereisterben Vergangenheit, die Zahl der Braustätten ist deutschlandweit auf fast 1400 angestiegen, in jüngster Zeit gab es immer mehr Neugründungen, vor allem von kleinen Betrieben, von Wirtshaus – und sogenannten Craftbierbrauereien.
Braumeister Camba: "Wir sind mit 40 verschiedenen Bieren, die wir im Programm haben, sicherlich einzigartig und geben uns jegliche Mühe im Monatsrhythmus ein bis zwei neue Biere auf den Markt zu bringen, auch mit anderen Brauereien die Zusammenarbeit zu suchen, und das ist das, was unser Craft-Bier-Business so ausmacht."
Götz Steinl, er ist Braumeister bei Camba, in Truchtlaching, in der Nähe des Chiemsees, in Oberbayern. Camba braut seit 2008 Craft-Biere, ein Trend, der in den vergangen Jahren von den USA nach Deutschland geschwappt ist. Das Sudhaus in einer alten Mühle ist zugleich Gastwirtschaft, man kann sehen, wie gebraut wird, was man gerade trinkt.
Vielfalt ist das Ziel: Das geht auch innerhalb des Reinheitsgebotes, mit Hopfenarten, die erstaunlich fruchtig schmecken können, nach Mango oder Zitrone. Bier wird zum Getränk für Feinschmecker, da kann dann eine Flasche, 0,75 Liter, schon mal 20 Euro kosten, ein Dunkles, acht Monate gereift im Bourbon-Eichenholzfass.
Braumeister: "Früher hat man, wenn man zu Besuch kam, eine gute Flasche Wein verschenkt, heute darf das durchaus auch mal ein Bier sein."

Maracuja-Geschmack trotz Reinheitsgebot?

Im vergangenen Jahr gab’s Ärger - Camba brachte ein Bier auf den Markt, das in England seit 200 Jahren gebraut wird, ein Milk Stout, aus Röstgerste und Haferflocken, versetzt mit Milchzucker – alles natürliche Zutaten. Doch die Lebensmittelüberwachung zog es aus dem Verkehr.
Braumeister: "Die Herstellung eines Stouts auf die klassische Art und Weise, wie man das eben kennt, ist in Deutschland so als Bier nicht vorgesehen."
In einem anderen Bundesland hätten sie das Hintertürchen für besondere Bierstile nutzen können, nicht in Bayern. Selbst wenn Camba das Stout nicht Bier genannt hätte - keine Chance: Wer wissen möchte, wie Bier trotz Reinheitsgebot nach Maracuja, Pfirsich oder Grapefruit schmecken kann, muss nach Niederbayern fahren, nach Hüll, ins Hopfenforschungszentrum, weltweit führend bei allen Fragen rund um den Hopfen.
Die schnellwüchsige Pflanze aus der Familie der Hanfgewächse gibt dem Bier das Bittere und hat Inhaltstoffe, die gegen Bakterien und Pilze wirken und so das Bier haltbar machen, erklärt Anton Lutz, Hopfenexperte und Züchter:
Anton Lutz: "Und das dritte was jetzt zunehmend wichtiger wird: Hopfen hat um die 400 verschiedene Ölkomponenten und die geben dem Bier das feine Aroma und den guten Geschmack."
Bis vor kurzem sollte Hopfen nur nach Hopfen schmecken und nicht nach exotischen Früchten. Geändert hat sich das durch den Boom jener Craftbier-Brauereien, die zuerst in den USA und nun auch in Deutschland immer mehr werden - auch wenn ihr Marktanteil insgesamt noch gering ist.
Die neuen Geschmacksrichtungen entstehen aus der Kreuzung aromatischer und widerstandsfähiger Hopfensorten. Anton Lutz öffnet einen der blauen Plastiksäcke, die im ersten Stock einer Lagerhalle liegen, nimmt eine Dolde heraus, zerreibt sie mit den Fingerspitzen:
Anton Lutz: "Das ist ein Zuchtstamm, der produziert fast nur Aromasubstanzen, die gemüseartig riechen, also sehr sellerieartig, gemüseartig, und riecht also in etwa wie Maggie-Suppenwürze."
Anton Lutz, Hopfenzüchter, in einem der Gewächshäuser des Hopfenforschungszentrums Hüll. Hopfenpflanzen werden dort schon als Sämlinge Mehltau ausgesetzt, nur resistente Pflanzen werden weiter gezüchtet.
Anton Lutz, Hopfenzüchter, in einem der Gewächshäuser des Hopfenforschungszentrums Hüll. © Deutschlandradio / Georg Gruber
Der Züchter holt eine Dolde aus einem weiteren Sack:
Anton Lutz: "Das ist jetzt schon deutlich fruchtiger, starke Zitrusnoten, aber auch ein bisschen Ananas, Pfirsich, durch das Verreiben platzen die Lupulindrüsen und die ätherischen Öle werden freigesetzt."
Nach der Ernte kommen Brauer aus der ganzen Welt nach Hüll, beriechen die Muster und machen Probesude, auch die große Unternehmen wollen nun auf den Aromazug aufspringen. In diesem Jahr werden zwei neu gezüchtete Hopfensorten vorgestellt, mit besonderen Fruchtnoten:
Lutz: "Die erweiterten das Aromasegment Richtung mehr exotische Früchte Maracuja-Pfirsich, der eine zum Beispiel, und der andere geht mehr Citrus, Grapefruit schwarze Johannisbeere Cassis."
Ein Zentrum der deutschen Craftbrau-Szene ist Berlin. "Hopfenreich" heißt die erste reine Craftbierbar der Stadt, die vor 2 Jahren in Kreuzberg eröffnete. Auf einer Tafel stehen die verschiedenen Biere, das Angebot wechselt täglich.
Kim: "Das Lemke Pale Ale ist meiner Meinung nach das fruchtigste da, wir können so drei Pale Ales vergleichen."
Kim, der Barkeeper, stammt aus Australien, er berät das internationale Publikum.
Kim: "Das ist das Craig Pale Ale, das kommt aus London."
22 Biere gibt es hier frisch vom Fass, dazu Flaschenbiere, aus Berlin, Deutschland und der ganzen Welt. Etwa die Hälfte ist nach deutschem Reinheitsgebot gebraut, die andere stammt aus dem Ausland oder wurde mit jener Sondergenehmigung, dem Hintertürchen des vorläufigen Biergesetzes, hergestellt, wie Mark Hinz, einer der drei Inhaber, erklärt. Er schaut auf die Tafel hinter der Theke:
Mark Hinz: "Da hängt zum Beispiel ein Bier, das sicherlich nicht im Rahmen des deutschen Reinheitsgebotes gebraut werden kann, ein Bier, bei dem zum Beispiel Apfelsinenschalenstückchen mit eingebraut werden, das wäre nicht möglich, passiert aber."
Die Craftbrauer legen Wert auf gute Zutaten, sagt Mark Hinz, nicht auf das Reinheitsgebot von 1516.
Mark Hinz: "Ein schlechter Witz: Pestizide im Bier, im Rahmen des deutschen Reinheitsgebots, vielen Dank und Prost! Es geht darum, das Industriebier zu vermarkten. Ich halte gar nichts vom deutschen Reinheitsgebot und dieses Jahr wird das 500jährige gefeiert, herzlichen Glückwunsch."

Unkrautvernichter im Gerstensaft

Pestizide im Bier. Pünktlich zum Jubiläum des Reinheitsgebotes veröffentlichte das Umweltinstitut München eine Untersuchung, die unter den Brauern für viel Unruhe sorgte: Der Unkrautvernichter Glyphosat im deutschen Nationalgetränk! Zum Teil fast 300-fach über dem gesetzlichen Grenzwert für Trinkwasser. Allerdings, so das Bundesamt für Risikobewertung, immer noch in einer Größenordnung, dass man für eine Gesundheitsgefährdung 1000 Liter Bier am Tag trinken müsste.
Kritiker des Reinheitsgebotes monieren auch, dass in Deutschland im Brauprozess Stoffe verwendet werden dürfen, die alles andere als natürlich sind: winzig-kleine Plastikteilchen, zum Filtern des Bieres: Polyvinylpyrrolidon, kurz PVPP. Martin Zarnkow vom Forschungszentrum Weihenstephan der TU München kann daran nichts finden:
Zarnkow: "Das sind kleine Partikel, vom molekularen Erscheinen täuschen die Eiweiß vor, und diese Pseudoeiweißkörper, die verbinden sich dann mit sogenannten Gerbstoffen, die später eine Trübung verursachen können. Und diese Gerbstoffe werden rausgenommen und mit diesen PVPP-Partikeln werden die komplett rausfiltriert. Ich gebe etwas dazu, was ich danach wieder rausfiltriere, das ist wie wenn ich Glaskugeln dazu gebe und ich filtriere es danach wieder raus, bloß an diesen Glaskugeln, an der Oberfläche, haftet irgendwas an, was ich einfach weghaben will. Und da muss ich sagen, da spricht eigentlich nichts dagegen."
Gut, dann gehen wir mal ins Sudhaus, die Vorgänge, die hier passieren: das Malz wird geschrotet, wird mit warmen Wasser eingemaischt in der Maischepfanne, hier wirken dann die Enzyme, die das Malz mitbringt, ...
Franz Ehrnsperger wurde hier auf dem Brauereigelände geboren, seit 1970 leitet er Lammsbräu, ein Familienunternehmen, gegründet 1628 in Neumarkt in der Oberpfalz. In den 80er Jahren stellte er den Betrieb schrittweise auf biologische Zutaten um, das Bier wird auch nicht mit jenen Plastikteilchen filtriert. Während viele große Brauereien nach Wegen aus der Absatzkrise suchen, wächst Lammsbräu stetig und ist inzwischen Weltmarktführer im Biobiersektor, mit rund 85.000 Hektoliter Jahresproduktion. Am Anfang stieß er bei seinen Braukollegen oft auf Unverständnis und Ablehnung:
Ehrnsperger: "Heute ist der, der mich damals am meisten angegriffen hat, selbst Hersteller von Biobier. Nachahmung ist die aufrichtigste Form der Anerkennung."
Franz Ehrnsperger, Brauer und Biopionier, im Sudhaus von Lammsbräu. Er begann schon in den 80er Jahren die Brauerei in Neumarkt in der Oberpfalz auf Bio-Rohstoffe umzustellen. Heute ist Lammsbräu Weltmarktführer im Bio-Bier-Sektor.
Franz Ehrnsperger, Brauer und Biopionier, im Sudhaus von Lammsbräu. © Deutschlandradio / Georg Gruber
Lammsbräu hat eine eigene Mälzerei, heute eine Seltenheit im deutschen Brauwesen.
Szene Mälzerei: "Einer unserer jüngsten Lehrlinge, ganz ein tüchtiger Bursche auch."
Und der Hopfen wird – auch das ist inzwischen die Ausnahme - nicht als Extrakt oder in Form von Pellets verarbeitet, sondern mit der ganzen Dolde. Die Bioqualität hat ihren Preis, das Bier ist teurer als das normale, rund 20 Cent pro Flasche. Allerdings werden die Biobauern für ihre Ernten auch besser bezahlt, erhalten den doppelten bis vierfachen Preis. Mit langfristigen Verträgen, und es kommen keine Pestizide zum Einsatz.
"Wir leben nicht im luftleeren Raum und unter einer Käseglocke, wenn ein Nachbar Glyphosat spritzt und der Wind ungünstig geht, gibt es Abdriften. Jeder, der Biorohstoffe einkauft, wir auch, kontrolliert alles, was er kriegt und wenn da Abdriften drauf sind, spüren sie es sofort, dann ist die Ware nicht mehr als bio zu vermarkten und geht in den konventionellen Bereich. Die Differenz zum Biopreis kann der Landwirt bei seinem Nachbarn einklagen, gibt’s jede Menge Rechtsprechung, geht ganz schnell."

Strengstes Reinheitsgebot in Bayern

Franz Ehrnsperger ist ein strikter Verfechter des Reinheitsgebotes - mit dem Zusatz "ökologisch". Wachstum um jeden Preis gehört nicht zur Firmenphilosophie:
Ehrnsperger: "Da gibt’s eben in unserem Wertesystem eine ganze Menge Begrenzungen, wenn wir die Rohstoffe nicht mehr aus der Region kriegen, wenn unsere Brunnen nicht mehr das Wasser liefern können, das sind alles Dinge, wenn die Menschen, die damit befasst sind, die Bauern, die Mitarbeiter, die Kunden, wenn wir die nicht mehr persönlich kennen können, weil es zu unübersichtlich wird, dann ist das für uns kein Grund mehr zu wachsen, sondern zu bremsen."
500 Jahre Reinheitsgebot. In seiner strengen Form gilt es nur noch in Bayern, fragt sich nur, wie lange noch, wann auch hier Ausnahmen für "besondere Biere" möglich sind. Holger Eichele vom Deutschen Brauer-Bund:
Eichele: "Wir arbeiten in guter Partnerschaft mit den bayerischen Brauern daran, eine Lösung zu finden, so dass es gleiche Spielregeln und gleiche Rechte gibt für alle Brauer in Deutschland, da gibt’s einen großen Konsens, abseits von Schlagzeilen, die ein bisschen überspitzt sind. Ich bin mir sicher, dass es möglich ist, da in nächster Zeit, 2017, da eine Harmonisierung zu finden, das ist kein großes Ding."
Kein großes Ding? Eine kleine Sensation im Jubiläumsjahr. Auch in Bayern soll es also in Zukunft möglich sein, kreativer zu brauen, mit anderen Zutaten als im Reinheitsgebot vorgesehen. Der Bayerische Brauer Bund will sich dagegen nicht sperren, "diesen Weg gehen wir mit" erklärt der Pressesprecher Walter König auf Anfrage – und betont gleichzeitig noch einmal die Wichtigkeit des Reinheitsgebotes.
Allerdings droht noch von anderer Seite Gefahr für die Reinheit des Bieres: In der EU sind Zusatzstoffe, jene E-Nummern, beim Brauen erlaubt, Konservierungsmittel, Stabilisatoren, Farb- und Süßstoffe, Geschmacksverstärker. Letztlich könnte auch jeder deutsche Brauer mit diesen Zusatzstoffen arbeiten. Das räumt auch Holger Eichele vom Deutschen Brauer-Bund ein, nach dem Interview, in einer email:

Bier ist ein wichtiges Wirtschaftsgut

Zitat, Holger Eichele, Deutscher Brauer Bund: "Deutschland ist Teil der EU, somit ist es theoretisch erlaubt, auch in Deutschland Bier nach EU-Recht zu brauen - unter Ausnutzung aller technologischer Möglichkeiten, welche die Liste der für Bier in allen 28 Staaten zugelassenen EU-Zusatzstoffe bietet. Noch hat dies aber kein deutscher Brauer getan – sicher auch, weil in Deutschland im Unterschied zu vielen anderen EU-Staaten ein Zutatenverzeichnis für Bier gesetzlich vorgeschrieben ist und somit neben Wasser, Malz, Hopfen und Hefe alle Zusatzstoffe aufs Etikett müssten. Der Hinweis auf das Reinheitsgebot wäre dann natürlich tabu."
Bier ist ein wichtiges Wirtschaftsgut, für Gunther Hirschfelder von der Universität Regensburg sogar das erfolgreichste Produkt der Konsumgeschichte:
Hirschfelder: "Wenn wir anschauen, was steht heute im eher alkoholkritischen Indien oder im konservativen Japan für westlichen Lebensstil, dann ist es das Bier. Und wenn wir sehen, wo findet in China Globalisierung statt, dann ist es das Bier als Lifestyle-Getränk Nummer eins, das für den Aufbruch aus der isolierten Welt Chinas in die große Welt steht und insofern ist ganz klar: Bier ist das erfolgreichste Produkt der Konsumgeschichte."
Vielleicht wird über das Bier und seine Reinheit auch deswegen so viel diskutiert und spekuliert, weil dieses Getränk den Menschen schon so lange begleitet, seit Beginn der Zivilisation. Bier ist identitätsstiftend, es steht für die Rückbesinnung auf natürliche Rohstoffe, für Heimat - und für den erlaubten Rausch.
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