50 Jahre Lottozahlen im TV

Spröder Straßenfeger

Von Laf Überland · 04.09.2015
Die Lottozahlen waren jahrzehntelang der Renner im Fernsehen der Bundesrepublik. Wer freitags noch schnell zur Lottoannahmestelle gehetzt war, saß samstags gebannt vor der Mattscheibe und sah der nüchternen Auswahl der Zahlen zu. Eine Hommage.
Der gute alte Samstagabend in der Bundesrepublik hatte etwas Besinnliches: Zuerst kam ein spannender Western, ein volkstümliches Theaterstück oder eine große Fernsehshow, dann rief das "Wort zum Sonntag" zur Besinnung und zur Hoffnung auf, und dann kam die Ausprägung der Hoffnung - auf Geld! Gern bei Mandarinenbowle und Etageren für Käsehäppchen, Erdnüsse und Kartoffelchips saß jeder der zig Millionen Bundesbürger, die freitags noch schnell zur Lottoannahmestelle gehetzt waren und sich ein Stück Hoffnung gekauft hatten, dann gespannt wie ein Flitzebogen vorm körnigen Schwarzweißbild, und dann kam dies:

Karin Tietze-Ludwig: "Der Aufsichtsbeamte hat sich vor der Ziehung vom ordnungsgemäßen Zustand des Ziehungsgeräts und der 49 Kugeln überzeugt."

Die Wirtschaftswunderzeit war die fundamentale Lottozeit, und Karin Tietze-Ludwig, die eigentlich Stewardess werden wollte und sich fürs Fernsehen gar nicht schön genug fühlte, wurde ihre gute Fee: die Lotto-Fee. Dazu passend plätscherte immer lockerleichte unterhaltsame Musik - vom Schlagerkomponisten Peter Moesser, der sogar eine Single mit der Lottomusik rausbrachte, später dann Popcorn, italienisches Synthesizergedöns oder der Alleinunterhalter an der Partyorgel, Franz Lambert.
Zuerst zogen niedliche Kinder Bälle aus einer niedlichen Trommel
Begonnen hatte das Ganze mit dem "Totoblock", 1948: eine Wette war das darauf, wie die Fußballmannschaften am Wochenende ihre Tore verteilen würden. Für jene Menschen allerdings, die sich mit Fußball nicht auskannten, kam dann das Glücksspiel dazu: LOTTO!
"6 aus 49" begann am 9. Oktober 1955 in den Hamburg, NRW, Schleswig-Holstein und Bayern, und zuerst zogen niedliche Kinder aus einer niedlichen Handglückstrommel die lackierten Tischtennisbälle. Aber ab 1965 dann...

" Wir schalten nun um nach Frankfurt."

...sorgte die öffentliche Ziehung der Lottozahlen im Fernsehen - als es nur zwei Fernsehprogramme gab - für unglaubliche Einschaltquoten. Die Lottozahlen waren ein Straßenfeger!

Ab den Siebzigern, als die Gesellschaft im Umbruch war, geriet bald auch das schöne Spannungsritual aus den Fugen: "Spiel 77" und "Super 6", dann sprang plötzlich das ZDF mit "Lotto am Mittwoch" auf den klackernden Zug - und schließlich das volksverstörende Brimborium um den "Jackpot" und die "Superzahl"... Da machte es auch nichts mehr, dass 1986 die niedlichen Holzklötzchen mit den Zahlen vom Studiotisch verschwunden waren.
Lottofee hatte in fast 31 Jahren nur eine einzige Panne
"Diese Angaben sind ohne Gewähr."
Das mit der Gewähr war früher nur gelegentlich wichtig - in den letzten Jahren aber immer öfter: wenn, wie Anfang August gerade wieder, im Fernsehen die falschen Zahlen eingeblendet werden - oder beim Super-Gau 2013, als sich zwei Kugeln verklemmt hatten und statt "6 aus 49" nur "6 aus 47" gespielt wurde - und keiner hatte es gemerkt!
Heike Maurer: "Obwohl eben unser Aufsichtbeamter, unser Ziehungsleiter, wir haben alle dahingeguckt, aber offensichtlich muss ein Lichtreflex dagewesen sein, der verhindert hat, dass es uns aufgefallen ist."

Ach was! Lichtreflex...!!! Die seriöse Karin Tietze-Ludwig hatte in den fast 31 Jahren von 1967 bis '98, als sie in Rente ging, nur eine einzige Panne - als sie einmal die 6 und die 9 verwechselte.

Aber inzwischen hat sich beim Fernsehen wahrscheinlich niemand mehr wirklich für dieses Lottozeug interessiert: Die Jungen fänden das "Event" nicht mehr zeitgemäß, hieß es in der Begründung, als im Juli 2013 die öffentliche Ziehung der Lottozahlen dann ins Internet wanderte. Seitdem können die Live-Ziehungen mittwochs und samstags nur noch über einen Livestream im Netz verfolgt werden - schwafelig, als hätten sie's bei einem vertraulichkeitssuppenden Jugendsender oder bei Homeshopping Europe gelernt.
Im ZDF werden die Zahlen dann nur noch spröde in den Nachrichten verkündet, und im Ersten darf die freundliche Lottofee a.D. Franziska Reichenbacher sie immerhin noch vorlesen - als Trostpflästerchen wahrscheinlich für die anhänglichen Alten, die die Hoffnung nicht aufgeben, die noch aufs Fernsehen schwören und nicht aufs World Wide Web.
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