5. Kunstbiennale von Thessaloniki

Politische Kunst zur Flüchtlingssituation am Mittelmeer

Flüchtlinge auf dem Mittelmeer
Das Mittelmeer steht im Zentrum der Biennale in Thessaloniki. © Opielok Offshore Carriers/dpa
Von Marianthi Milona · 10.08.2015
Noch nie war eine Biennale-Ausstellung im griechischen Thessaloniki so aktuell wie in diesem Jahr. Viele Künstler haben sich den Schwerpunktthemen Flucht und Emigration angenommen - und greifen auch auf eigene Erfahrungen zurück.
"Er könnte ein Muslim sein, der überleben muss und deshalb am Strand diverse Armbänder an reiche Touristinnen verkauft. Er scheint nicht viel Wert auf die Person zu legen, zu der er sich niederbeugt, denn es ist für ihn sicher erniedrigend, vor einer nackten Frau zu hocken. Doch sie symbolisiert eindeutig den Reichtum, sie hat das Geld und er muss überleben. Die Frau hat zwar nichts an, aber sie hat in Europa mehr Rechte, als er und kann machen, was sie will. Die Gesetze scheinen verkehrt. Sie steht für Macht, hingegen er, der etwas anhat, ist in dieser Gesellschaft machtlos."
So erklärt sich Cleo Cacoulidis eines der Bilder des belgischen Fotografen Nick Hannes. In diesem Jahr gehört sie zu den zahlreichen amerikanischen Besuchern im griechischen Thessaloniki, die die Hauptausstellung der 5. Kunstbiennale besuchen. In der Betrachtung dieses Bildes wird der Frau bewusst, dass das Mittelmeer nicht nur für Badevergnügen steht, sondern auch für tausende menschliche Schicksale. Nick Hannes Bilder dokumentieren und ironisieren auf heitere und zugleich tragische Weise: Ein schwarzer Straßenverkäufer vor einer nackten Frau am Strand. Eine Familie feiert Hochzeit an einer ordinären Tankstelle, weil sie kein Geld für eine Festhalle hat. Ein Muslim betet auf dem Grünstreifen eines Supermarkts hinter den parkenden Einkaufswägen. Szenen von irgendwo und überall rund ums Mittelmeer, heute. Die Direktorin der Biennale, Katerina Koskina.
"Als wir vor sechs Jahren die erste Biennale eröffneten, hatten wir eine ganz andere Situation am Mittelmeer. Leider wird die Lebenslage der Bürger von Tag zu Tag immer schwieriger. Diese unschöne Realität, macht unsere Arbeit aber paradoxerweise noch bedeutender. Sie verbindet uns, weil die Krise alle etwas angeht. Wir rücken als Künstler, Kuratoren und Kunstliebhaber beim Thema Mittelmeer viel enger zusammen."
Versteckte Botschaften
Was sich im Augenblick am Mittelmeer abspielt, ob an den Küsten oder auf dem Wasser, übersteigt oftmals die Grenze des Erträglichen. Das ist die versteckte Botschaft in den Werken des palästinensischen Künstlers, Taysir Batniji. Eines davon heißt "der Mensch lebt nicht von Brot allein": Eine rechteckige Tafel, zusammengesetzt aus unzähligen braunen Seifen, in die jeweils ein Buchstabe eingestampft ist. Der Spruch, der sich daraus ergibt, stammt im ersten Teil aus der Bibel. Der zweite Teil ist dem Artikel 13 der UN-Menschenrechte entnommen: "Jeder Mensch hat das Recht ein Land zu verlassen, selbst wenn es sein eigenes ist". Der griechische Kunsthistoriker, Thodoris Markoglu, über diesen ungewöhnlichen künstlerischen Beitrag.
"Diese Phrase in Batnijis Seifenwerk wird leider in der Realität nicht umgesetzt. Es hat sich in Nichts aufgelöst, so wie bei einer Seife. Wenn man die Seife oft benutzt, ist der Buchstabe darauf irgendwann nicht mehr zu erkennen."
Kunsthistoriker Thodoris Markoglu trifft das Flüchtlings- und Emigrationsthema in der diesjährigen Kunstbiennale bei vielen Teilnehmern wieder.
"Wir haben heute in Europa Künstler, die selbst einmal aus ihrem Land fliehen mussten. Für unsere Biennale, die das Mittelmeer zum Schwerpunktthema hat, sind ihre Arbeiten ein absolutes Muss. Sie kennen das Gefühl von Flucht und Emigration, so wie es momentan viele Menschen rund ums Mittelmeer empfinden. Das macht aus ihren Werken, lebendige Zeugnisse der aktuellen, politisch-gesellschaftlichen Ereignisse."
Sehnsucht nach eigenen Wurzeln
So auch bei der Irakerin Hayv Kahraman. Die Künstlerin ist im Kindesalter als Flüchtling aus dem Irak nach Europa gekommen. Ihre Werke konfrontieren den Betrachter mit Fragen über Identität, dem Gefühl der Verfremdung von den eigenen Wurzeln und der Sehnsucht danach sich ihnen wieder anzunähern. So wie in ihrem jüngsten Werk "Ihr Name ist Gun", auf dem eine orientalische Frau zu sehen ist, die tanzend Hände und Füße hebt. In Englischen heißt Gun Waffe, im Schwedischen Frau, im Kurdischen Hoden. Kahraman lässt den Betrachter entscheiden, welche Bedeutung er dem Kunstwerk geben will.
"Vom Pessimismus der Erkenntnis zum Optimismus der Handlung". Der Titel der Hauptausstellung auf der diesjährigen Biennale in Thessaloniki macht Hoffnung, dass in der Auseinandersetzung mit den aktuellen Problemen am Mittelmeer, auch konstruktive Lösungen gefunden werden können.
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