40 Jahre Teilung Zyperns

"Das ist unser Haus"

Türkische Panzer in einem Dorf im türkisch besetzten Teil der Insel, aufgenommen im August 1974.
Unter dem Eindruck eines drohenden Anschlusses an Griechenland besetzten im Sommer 1974 türkische Truppen den Norden und Nordosten Zyperns. © dpa / Mehmet Biber
Von Michael Lehmann · 17.07.2014
Die griechisch-stämmige Nikki Pissi erinnert sich an den Tag der Vertreibung aus ihrem Heimatdorf im Norden Zyperns. Damals dachte sie, der Süden der Insel sei eine Art Zwangs-Urlaubsdomizil – nur für ein paar Wochen.
Ein ruhiges schattiges Straßencafe im Herzen von Nikosia hat sich Nikki Pissi herausgesucht, um über diese furchtbaren Bilder zu sprechen – über ihre Kindheitserinnerungen aus dem Sommer 1974, die sich 40 Jahre später fast noch genauso grausam anfühlen:
"Wir haben die Bombardierung erlebt, als mein Vater meine Cousine getauft hat. Die Kirche bebte damals. Dann sind wir nach Hause gegangen und wir sind unter den Betten verschwunden. Ich habe die Alpträume bis heute, dass ich – wenn ich im Schlaf Flugzeuge höre, immer noch bis heute, 40 Jahre später, unter dem Bett verschwinde."
Es waren türkische Luftangriffe, die die griechisch-stämmige Bevölkerung aus dem Norden Zyperns vertreiben sollten. Mittendrin Nikki Pissi im Heimatdorf ihrer Eltern, einer deutschen Mutter und eines griechisch-zyprischen Vaters.
Jahrelang auch als älteres Kind, konnte Pissi nur vorsichtig in Andeutungen mit ihrer Oma über diesen Sommer 1974 sprechen. Sie wollte sich keine wirklichen Vorstellungen machen von dem, was da passiert war.
"Sobald wir dann die Panzerketten gehört haben von den Panzern im Dorf, mussten wir so schnell wie möglich raus. Wir sind mit dem, was wir anhatten raus. Wir hatten weder Papiere, noch Geld, noch Wertsachen, gar nichts mitgenommen. Wir sind einfach raus Richtung Trodos-Gebirge, in einer Autokolonne, die auch durch Tiefflieger beschossen wurde. Haben wir mehrere Stunden gebraucht, um ins Trodos-Gebirge zu kommen."
In das Gebiet der Insel, das nach der Teilung griechisch-zyprisch wurde, inzwischen EU-Vollmitglied ist - der Süden der Insel, so dachte sie als Kind, das wird für ein paar Wochen eine Art Zwangs-Urlaubsdomizil sein:
"Wir sind dann bei Verwandten untergekommen. Weil man uns sagte, wir werden zurückkehren. Bis es dann hieß, wir müssen von neuem beginnen."
Reise in den Norden als Selbst-Therapie
In der neuen Heimat konnte Nikki Pissi als Kind diese Bilder von der Vertreibung kaum ertragen. Auch als junge Frau hat sie jahrelang darüber geschwiegen. Um dann eine Art Selbst-Therapie zu wählen; im April 2004, als es wieder erlaubt war, als griechisch-zyprischer Bewohner des Südens in den alte Heimat im Norden zu reisen.
"Da habe ich meine Töchter abgeholt, meine Schwester und meine Nichte und habe gesagt, so, jetzt gehen wir rüber. Wir haben uns ein Auto gemietet dann auf der anderen Seite und sind in diese Richtung gefahren. Wir mussten erst einmal herausfinden, wie unser Dorf jetzt heißt. Weil alles umbenannt wurde – es sind türkische Namen entstanden. Wir haben es entdeckt und wir sind dann angekommen. Ich bin zuerst zur Kirche gefahren, die findet man ja gleich. Die wurde aber zur Moschee – die war abgeschlossen, man konnte nicht rein. Da bin ich einfach zweimal durchs Dorf gefahren und bin dann stehen geblieben und habe den anderen gesagt: So, das ist unser Haus."
Wie genau sie das damals gefunden hatte, kann sich Pissi bis heute nicht erklären. Ihr Vater brach in Tränen aus, als sie ihm per Telefon Details des Hauses und der Umgebung schilderte und er bestätigte, „ja das ist dein früheres Zuhause". Jetzt Heimat für türkisch-stämmige Zyprer:
"Die Familie, die jetzt dort lebt, die war sehr, sehr freundlich. Die haben uns reingelassen und haben uns Limonade angeboten. Aber ich war damit beschäftigt, alles wiederzuerkennen. Dem Hof und mein Zimmer und alles. Ich habe sogar das Haus meines Onkels entdeckt, das ist genau gegenübergewesen und habe festgestellt, dass sogar die Außentür, die Haustür, die gleiche war, weil ich ein Bild davon hatte."
Den Schlüssel für dieses Haus hat der Onkel bis heute griffbereit.
"Das was wir fühlen ist eben, dass wir im Urlaub sind und dass wir zurückkehren irgendwann und wieder in unsere Häuser ziehen."
Der Schlüssel bleibt griffbereit – für den Moment, an dem die Wiedervereinigung der Insel doch noch Wirklichkeit wird. Zu wünschen wäre es, sagt Nikki Pissi, auch wenn ihre Kinder gar nichts anderes kennen als die Teilung auf Zypern:
"Ich glaube schon, dass es eine bessere Zukunft wäre, wenn man offen genug ist, die andere Seite zu akzeptieren. Wir sind auch früher mit ihnen sehr gut klar gekommen. Wir unter uns, wir einfaches Volk hatten nie so richtig Probleme. Aber es hat eben über uns die große Politik entschieden, was letzten Endes draus wird".
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