40 Jahre Rough Trade Records

Vom Plattenladen zum wichtigsten Indie-Label

Der Rough Trade Plattenladen in Shoreditch im Osten Londons, aufgenommen im Jahr 2013 - der erste Laden eröffnete 1976 in der Kensington Park Road in West London.
Der Rough Trade Plattenladen in Shoreditch im Osten Londons - der erste Laden eröffnete vor 40 Jahren in der Kensington Park Road in West London. © imago / UIG
Von Amy Zayed · 21.11.2016
1976 eröffnet Geoff Travis in London einen Plattenladen, der Furore macht: Rough Trade Records. Das dazugehörige Label nimmt Bands wie The Smiths, Scritti Politti und The Strokes unter Vertrag. Und wird zum wichtigsten Label der Indie-Szene.
"Ich war Anfang der 70er eigentlich nur ein ganz normaler Typ. Ich unterrichtete an einer Mädchenschule und fand es unglaublich langweilig. Mir ging es auf die Nerven, wie die Lehrer mich anstarrten, wie sie über die Schülerinnen redeten, und sich darüber aufregten, wie ich rumlief. Irgendwann stand ich an der Bushaltestelle und wartete auf den Bus zur Arbeit, und er kam nicht. Und ich dachte mir: Wenn dieser Bus hier nicht in fünf Minuten auftaucht, dann bin ich weg! Dann mache ich etwas ganz anderes! Und er kam nicht! Am nächsten Tag packte ich meine Koffer und flog nach Toronto zu einer Ex-Freundin. Ohne Ziel!"
Und so trampte Geoff Travis erst einmal eine Weile durch Kanada und die USA und landete schließlich in San Francisco. Dort pilgerte er zum Independent Buchladen "City Lights" , in dem sich Freigeister über Kunst und Weltliteratur austauschen. Um den Shop herum gab es viele Second Hand Läden, in denen sich Travis mit Platten versorgte. Er war ein leidenschaftlicher Musikfan, und so fand er Gefallen an der Musik von Van Morrisson, Tim Buckley und Jessie Winchester.

Aus einem Witz wird Wirklichkeit

Irgendwann hatte er so viele Platten gekauft, dass er gar nicht wusste, wohin damit:
"Eines Tages saß ich dann mit Ken Davidson zusammen, einem Typen aus Newcastle, der mal mit dem Gitarristen der Animals zusammen gearbeitet hatte. Der sah diesen Riesenhaufen Platten an meiner Wand lehnen, und fragte mich: Was hast Du mit all diesen Scheiben vor? Ich antwortete: Keinen Schimmer! Er antwortete: Ja, aber wie willst Du denn all das Zeug nach England kriegen? Ich sagte: Hab ich noch nicht wirklich drüber nachgedacht. Er meinte: Dann verschiff das doch, und mach einen Plattenladen auf. Das war eher als Witz gemeint, aber bei mir machte es Klick! Und ehe ich mich versah, hatte ich den Plan, und kurz darauf eröffnete ich den Shop in der Kensington Park Road."
Dort verkaufte Geoff Travis vor allem Platten, die man in den anderen Plattenläden nicht fand: Indiekram aus Amerika, Reggae aus Jamaica und damals noch vollkommen unbekannten Punk aus London.
"Ich wollte einen Platz schaffen, in dem Leute ihre eigene kleine Oase fanden, um Musik zu hören. Musik war für mich persönlich wie ein Nirvana. Ausschlaggebend war damals aber auch, dass die Leute anfingen, ihre Musik selbst zu veröffentlichen. Die Desperate Bicycles waren die ersten, die das in Großbritannien taten. In Amerika fing das schon viel früher an! Und wir schrieben also all diese Indiebands und Labels an, und fragten, ob wir ihre Platten verkaufen durften, und das sprach sich herum. Plötzlich kamen immer mehr Musiker zu uns, und fragten, ob wir ihre Platten verkaufen könnten. Und auf einmal waren wir der Nabel der Londoner Musikwelt. Die 101ers spielten bei uns um die Ecke. Das war Joe Strummers erste Band! Es gab Tausende von interessanten Indie- und Punklabels, und wir waren mittendrin und spielten eine große Rolle!"

Nach dem Trubel folgt die Pleite – und der Neuanfang

Irgendwann war der Trubel um Rough Trade dann so groß, das sich Travis entschloss, ein Label zu gründen, um gute Bands unter Vertrag zu nehmen, aber auch um kleinere Labels vertreiben zu können – darunter Bands wie The Fall, Stiff Little Fingers und die Sugarcubes. Doch leider ging das Label Anfang der 90er Bankrott, und Travis verkaufte den Shop. Erst Ende der 90er-Jahre beschloss er, es erneut mit dem Label zu versuchen. Mit Acts wie Antony And The Johnsons, Belle & Sebastian und den Libertines stellte Travis erneut unter Beweis, dass er den richtigen Riecher hat:
"Ich arbeite mit Janet Lee zusammen, meiner langjährigen Geschäftspartnerin. Und wenn zwei Menschen einen ähnlichen Musikgeschmack haben, und sich auf eine Band einigen und dahinter stehen, dann ist das oft wie eine Art Erleuchtung. Man spürt einfach, dass da etwas passieren wird. Und meistens haben wir recht, und diese Bands werden dann auch groß."
Die Zukunft sieht Travis in Bands wie dem Nottinghamer Punkduo "Sleaford Mods", die bei Rough Trade mittlerweile unter Vertrag sind. Das Duo besitzt eine Energie und eine Wortgewalt, die Travis begeistert. Und noch einen Trend sagt er voraus:
"Im Moment interessiere ich mich auch für Irish Folk. Ich glaube, es gibt einen Trend Richtung neuem Irish Folk. Das Genre verändert sich. Es entfernt sich vom typischen Folk und wird künstlerischer, und dadurch auch wieder moderner."

Immer auf der Jagd nach neuen Bands

Travis geht nach wie vor fast täglich auf Konzerte und jagt neuen Bands nach, das ist seine Lebensmission, und das ist auch der Grund, warum er irgendwann merkte, dass er das Label wieder aufleben lassen will:
"Ich kann einfach nicht anders! Ich will auch gar nicht! Es ist zu spät, um aufzuhören. Ich verstehe nicht, warum man unbedingt ab dem 35. Lebensjahr musikalisch stagnieren muss! Ich hoffe, dass mir das nie passiert!"
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