26 Arten, den Blues zu haben

11.05.2010
Denkt Franz Dobler, der sich einen soliden Ruf als Underground-Literat erarbeitet hat, ans Aufhören? Man könnte es vermuten beim Titel seines neuen Buches: "Letzte Stories". Aber ganz ernst ist diese Ankündigung des 50-Jährigen wohl nicht zu nehmen.
Die meisten Geschichten verdanken sich einer Story-Kolumne namens "ABC des Lebens". "Everybody's Blues is different" lautet das Cannonball-Adderley-Motto des Bandes. So geht es hier um 26 Arten, den Blues zu haben. Ein Alphabet der gedrückten Stimmung also? Nein, denn der Blues macht das Beste aus der Misere, er ist die Kunst, mit Haltung zu klagen.

Dobler liebt die vom harten Leben tätowierten Seelen. Schauplätze seiner "Minutennovellen" sind nächtliche Tankstellen mit einsamen Trinkern, mittelschichtsfreie Bahnhofsviertel oder Krankenhaus-Notaufnahmen, wo hysterische Mädchen ausrasten. Seine Helden sind meist existenzielle "Ein-Mann-Segler" wie jener abgehalfterte Sportjournalist, der dem Ich-Erzähler einst die Initiation ins Schreiben für Zeilengeld gab: "Um seine Schuhe hat er einen Halbkreis mit zigarettenschachtelgroßen Flaschen aufgebaut."

Manchmal werden diese Kerle von einer Breitseite Liebe erwischt, wie Freund Kurt in der Bargeschichte "X-Beine", die mit fünfzehn Seiten vergleichsweise episches Format hat. Umgeben von Damen, die keine sind, beichtet Kurt als heulendes Elend sein kostspieliges Unglück mit Nadine – hier ist Dobler am besten, hart und herzlich. Weniger gelungen erscheint "System": Dreieinhalb Seiten voller Kopulationen und Ein-Satz-Beziehungskistenskizzen. Da wird die Minutennovelle zur literarischen Sieben-Sekunden-Terrine. Das ist begrenzt originell; außerdem hat man das so oder ähnlich auch schon von Wolf Wondratschek gelesen.

Stilistisch laboriert Dobler weiter am Bukowski-Fauser-Syndrom. Das klingt oft erfrischend rau, manchmal aber auch nach verrenkter Coolness-Anstrengung. Wie beschreibt man eine urbane Sommerabendstimmung? "Es war so ein Abend, an dem es einem okay vorkam, dass die Amerikaner die Stadt nicht vollkommen weggebombt hatten." Bisweilen liest sich Doblers Prosa wie eine am amerikanischen Original klebende Übersetzung: "Sah aus wie ein Treffpunkt von Barfliegen, die woanders rausgeflogen waren." Passend dazu spielen einige Geschichten in Las Vegas, San Francisco oder Tennessee.

Wären diese Stories Lieder, müssten sie von den rauchigen Kehlen eines Tom Waits oder Mark Lanegan gesungen werden, bei denen man ja auch nie so genau entscheiden kann, ob sie mit kräftigem Biss Stücke aus der Wirklichkeit reißen oder ihrem Publikum bloß grimmige Genrebildchen aus der Gosse servieren.

Ein ewiger Heiliger des Autors ist Johnny Cash, über den Dobler eine kanonische Biografie geschrieben hat. Klar, dass es auch in diesem Erzählband aufs Cash-Terrain geht, etwa in der Gefängnis-Story "Verschlossen" oder in der kleinen Geschichte über den Prostituiertenmörder und Literaten Jack Unterweger, in der Dobler mit dem Wolf-Haas-Ton spielt. Je beiläufiger die Geschichten daherkommen, desto besser. "Wahnsinnig" erzählt bloß vom Radiohören mit Katze im Sonnenschein; es läuft eine merkwürdige Sendung über merkwürdige Menschen mit merkwürdigen Amputationssehnsüchten. Das ist schräg geglückt. Man liest Doblers "Letzte Stories" mit Vergnügen, immer neugierig auf die nächste, auch wenn die Schlusspointen manchmal etwas überraschend kommen oder überhaupt nicht.

Besprochen von Wolfgang Schneider

Franz Dobler: Letzte Stories - 26 Geschichten für den Rest des Lebens
Blumenbar Verlag, Berlin 2010
168 Seiten, 17,90 Euro