2000 Jahre Hermannsschlacht

Bernhard Doppler im Gespräch mit Britta Bürger · 29.03.2009
Mit der Rekonstruktion der Hermannsschlacht hat sich das Theater schwergetan. Die beiden deutschen Dramen, die sie zum Thema haben und im Titel führen, von Heinrich von Kleist und Christian Dietrich Grabbe wurden beide erst nach dem Tod ihrer Dichter uraufgeführt. Im Varusjahr 2009 kramen die Bühnen, die am Teutoburger Wald gelegen sind, Osnabrück, Detmold, Bielefeld und die Studiobühne Paderborn, die beiden Werke hervor und klinken sich so in die regionalen und kulturtouristischen Angebote ein.
Britta Bürger: 2000 Jahre Varusschlacht – da greift das Theater nach Kleist und Grabbe. Die beiden Dramatiker, die der "Hermannsschlacht" auf der Bühne ein Denkmal gesetzt haben. Doch was machen die Regisseure im Jahr 2009 daraus? Sie entfernen sich – wie im Regietheater üblich - weit von der Vorlage und nehmen die Hermannsschlacht zum Anlass, über deutsche Identität nachzudenken. So am Landestheater Detmold und am Theater Bielefeld. Unser Theaterkritiker Bernhard Doppler hat sie gesehen – Herr Doppler, es ist ja auffällig, dass "Die Hermannschlacht" vor allem von Theatern – fast kann man sagen - "ausgeschlachtet" wird, die geographisch nahe am historischen Ort liegen – es folgen noch weitere Inszenierungen in Osnabrück und Paderborn - sind diese Aufführungen mehr als touristische Spektakel?

Bernhard Doppler: Natürlich klinken sich diese Aufführungen in die Veranstaltungen, Ausstellungen und Symposien ein, die in diesem Sommer im Rahmen von 2000 Jahre Varusschlacht stattfinden. Und wohl nur deshalb sind diese Projekte auf den Spielplan gestellt worden. Aber zumindest das Grabbe-Stück hat einen sehr stark regionalen Bezug, der todkranke Dichter wollte der gehassten, aber auch geliebten Heimat ein Denkmal setzen.

Bürger: Heinrich von Kleist hat "Die Hermannsschlacht" 1808 geschrieben - Christian Dietrich Grabbe folgte 1838. Und beide Stücke wurden nicht mehr zu Lebzeiten der Autoren gespielt. Woran lag das?

Doppler: Kleist schrieb eigentlich ein tagesaktuelles Stück 1808 im Befreiungskampf gegen die Franzosen. Jeder verstand sofort: Die Cherusker sind die Preußen, die Sueben die Österreicher, das römische Imperium die Franzosen. Doch gerade das war schnell inopportun. Bis in die 60er-Jahre des 19. Jahrhunderts konnte man in den deutschen Kleinstaaten mit dem Aufstand gegen das Reich wenig anfangen. Auch der Bau des gewaltigen Hermannsdenkmals im Teutoburger Wald wurde zunächst belächelt und verspottet.

Bei Grabbe kommt dazu, dass das Stück schlicht unaufführbar war. Außer "Don Juan und Faust" wurde ja kein Stück Grabbes zu Lebzeiten aufgeführt, und die Hermannsschlacht mit ihren wortkargen Massenszenen ist eher ein Drehbuch für einen Monumentalfilm des 20. Jahrhunderts als ein Werk für die Bühne des 19. Ich wunderte mich, als ich las, dass die für Mai angekündigten Osnabrücker Aufführung sich ganz an den Text halten wolle.

Bürger: Grabbes "Hermannsschlacht" wurde erst knapp 100 Jahre später von den Nationalsozialisten ausgegraben und 1934 triumphal uraufgeführt - inwieweit blieb dadurch ein Makel an diesem Stück kleben? Belastet das noch heute die Beschäftigung mit dem Stück? Die Detmolder Aufführung nennt sich ja auch "Eine deutsche Betrachtung" …

Doppler: Sicherlich. Grabbe entsprach - vor allem die Uraufführung 1934: ein Freilichtspektakel in Nettelstedt mit Hunderten von Akteuren - ganz der Theaterästhetik zu Beginn des Nationalsozialismus:, ein Weihespiel mit Hunderten von, Laien meist, die alle einbezogen wurden in den theatralischen Vorgang – aber vermutlich eher ein Art Winnetou-Spektakel a la Segeberg. Wenn Hermann auftrat, wurde die Hand zum Hitlergruß erhoben, zeigen die Aufführungsfotos. Und Kleist wurde nationalistisch schon um die vorletzte Jahrhundertwende instrumentalisiert. Das hat der weiteren Rezeption geschadet. Grabbe wurde zwischen 1934 und 1941 elf Mal gespielt, aber dann 70 Jahre bis 2009 (sieht man von einer Montage bei Arnim Petras in Chemnitz 1995 ab) nie mehr! Doch Hermann ist ein Held, der kaum sich als Führer oder nationaler Held vereinnahmen lässt.
Bürger: Wie "frei" nähern sich Regisseure heute diesen Stücken?

Doppler: "Eine deutsche Betrachtung" nennt sich die Detmolder Aufführung, sie ist fast opernhaft, es inszeniert der Indendant Kay Metzger, der gerade in Detmold Wagners "Ring der Nibelungen" herausbringt. Er lässt in einem Bunker spielen und hat Lieder und Texte zur deutschen Geschichte zu Deutschland und Krieg eingebaut. Kästner, Brecht, Heiner Müller, Adolf Hitler, "Kein schöner Land" wird zum Beispiel gesungen oder "Lilly Marlen", aber auch der Ausspruch des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck "Die deutsche Freiheit wird am Hindukusch verteidigt" fällt in dieser Hermannsschlacht. Es geht bisweilen komisch grotesk wie bei Grabbe zu: der ständig in Germanien erkältete Varus, dem die westfälische Küche nicht schmeckt, - doch vor allem ist die Detmolder Aufführung eine Geschichtsstunde.
Ein Liederabend ist auch Robert Borgmanns Inszenierung im Stadttheater Bielefeld, der Musiker Frank Raschke der wichtigster Mitspieler. Die Schlacht wird ins Innere der Familie in ein Wohnzimmer gelegt. Eine Suppe, die man aus dem Römertopf auslöffelt, steht auf dem Tisch. Zuvor wird gesungen - und in der Wohnstube versammeln sich zum Gesang große Deutschen von Hildegard von Bingen, über Hölderlin, Heidegger, George.

Bürger: Was ist Hermann im Jahr 2009 für ein Charakter? Überzeugt er als Bühnenheld?

Doppler: Hermann ist eine Figur, die nicht zur schnellen Identifikation einlädt, er ist in Rom ausgebildet und agiert nicht offen, oder paradox – er nutzt das Vorurteil aus, dass die ungebildeten Germanen nicht lügen würden, er bleibt offen und legt sie gerade dadurch hinein. Wie ein Eulenspiegel, Grabbe hat auch parallel zu Hermann ein Eulenspiegel-Drama verfasst. "Ihr müsst euch erliegen, damit ihr siegt." Ein Paradox – fast an die Maßnahme von Brecht erinnernd: Ihr müsst eure Identität aufgeben, damit ihr siegt. Das verstehen die Germanen um ihn herum nicht. Man muss hier eine herausragende Inszenierung aus den 80er-Jahren nennen. Claus Peymanns "Hermannsschlacht". Dort ist Hermann ein Partisanenführer, der im Gegensatz zu einer unpolitischen Welt politisch denkt: Gert Voss im Che-Guevara-Outfit. Gleichzeitig sehr komödiantisch und auch sehr privat, fast psychoanalytisch, wenn der Mann seiner Frau zuredet, sich einen Nebenbuhler anzulegen, nur um ihr so triftig zu beweisen, dass er der bessere Liebhaber ist. Peymann hatte jedenfalls die Hermannsschlacht von seiner Wirkungsgeschichte auf komödiantische Weise befreit. Dagegen bleiben die Aufführungen in Detmold und Bielfeld doch immer noch brave deutsche Geschichtsstunden oder intelligente musikalischen und theatralische Assoziationen, die die Stücke nicht sehr über den Anlass 2000 Jahre Varusschlacht hinausheben. Vielleicht ist ja Hermann als Theaterfigur gerade nicht in seinem Deutschtum interessant und vielleicht ist auch das Jahr 2009 nicht so gut geeignet, ihn zu präsentieren. Das Jubiläumsjahr stellt eine Aufführung der Hermannsschlacht allzu sehr unter Legitimationsdruck.
Bürger: 2000 Jahre Varusschlacht. Bernhard Doppler hat in Detmold und Bielefeld betrachtet, wie die deutschen Bühnen nach Kleist und Grabbe greifen, um an das historische Datum zu erinnern. Es folgen in diesem Jahr weitere Inszenierungen in Osnabrück und Paderborn.
Ihnen, Herr Doppler, viel Dank!


Landestheater Detmold: Die Hermannsschlacht. Eine deutsche Betrachtung. Mit Texten von Christian Dietrich Grabbe. Regie: Kay Metzger. Textfassung: Christian Katschmann. Premiere: 5.2.09

Theater Bielefeld: Heinrich von Keist: Die Hermannsschlacht. Inszenierung: Robert Borgmann. Premiere 7.3.09

Es folgen:
Stadttheater Osnabrück: Christian Dietrich Grabbe:
Die Hermannsschlacht. Inszenierung: Philipp Tiedemann. Premiere 24.5.09

Studiobühne der Universität Paderborn: Heinrich von Kleist:
Die Hermannsschlacht. Inszenierung: Hans Möller. Premiere Herbst 2009