20 Jahre vereinigt - keine Angst vor Deutschland

Von Annette Riedel, Deutschlandradio Kultur · 03.10.2010
"Ich liebe Deutschland so sehr, dass ich mich freue, dass es zwei davon gibt." Nicht wenige Europäer haben zwischen 1945 und 1990 so gedacht. Mittlerweile hat die "Deutsche Einheit" in den Augen der Skeptiker ihren politischen Schrecken verloren.
"Ich liebe Deutschland so sehr, dass ich mich freue, dass es zwei davon gibt." Nicht wenige Europäer haben zwischen 1945 und 1990 so gedacht. Die Sorge, dass aus dem – wieder - vereinten Deutschland ein "Viertes Reich" entstehen könnte, es gab sie. Es gab sie in London. In Paris. In Warschau. In Tel Aviv. Dort ganz besonders.

Es ist das Verdienst der deutschen Politik, der deutschen Regierungen in allen Parteien-Konstellationen der letzten zwei Jahrzehnte, dass diese Sorge sich bei unseren europäischen Nachbarn zerstreut hat. Gründlich. Nachhaltig. Auch und gerade in Israel.

Das erste Jahrzehnt "Deutsche Einheit" war geprägt von starker Innensicht. Auf der internationalen Bühne gab sich Deutschland, nicht zuletzt um den besagten Ängsten keine Nahrung zu geben, zurückhaltend. Das änderte sich mit der deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg 1999 und am Afghanistan-Krieg 2001 und mit der deutschen Ablehnung von US-Präsident Bushs Irak-Krieg 2003.

Obwohl im Ergebnis entgegengesetzt - zweimal für militärische Intervention und einmal gegen militärische Intervention - das Signal war in allen drei Fällen das gleiche: Deutschland weiß um seine gewachsene Bedeutung und damit gewachsene Verantwortung. Und es ist selbstbewusst genug, um eigene Positionen zu beziehen.

Scheint es Deutschland gerechtfertigt, engagiert es sich militärisch - wenn es sein muss, schwere innenpolitische Auseinandersetzungen in Kauf nehmend. Erscheint es nicht gerechtfertigt, lehnt Deutschland militärisches Eingreifen ab – wenn es sein muss, schwere außenpolitische Auseinandersetzungen in Kauf nehmend. Mit den USA, aber auch innerhalb der Europäischen Union.

Da, in der Europäischen Union, spielt das vereinigte Deutschland seine Rolle überwiegend zur allgemeinen Zufriedenheit der Partner. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft 2007 gelang es, aus dem gescheiterten EU-Verfassungsvertrag den Lissabonvertrag zu destillieren. Aus der Bundeskanzlerin wurde im Ausland "Mrs. Europa".

Natürlich unterstellt man in der EU gelegentlich mehr oder weniger zurecht nationale Interessen, zum Beispiel wenn Deutschland beim Griechenland-Rettungspaket bremst. Dann mutiert "Mrs. Europa" im Ausland zur "Madame Non". Nationale Interessen innerhalb der Union zu vertreten, ist jedoch bekanntlich kein exklusives Verhalten der vereinigten Deutschen.

Nicht wenige überzeugte Europäer aber wünschten sich aktuell bei einigen Themen wieder mehr europäisch Richtungsweisendes vom größten EU-Land Deutschland. Klimaschutz, Harmonisierung der Wirtschaftspolitik sind nur zwei Stichworte.

Dass die "Deutsche Einheit" in den vergangenen 20 Jahren in den Augen der Skeptiker ihren politischen Schrecken verloren und das Land gleichzeitig insgesamt durchaus an Gewicht gewonnen hat, lag auch am Ansehen, das im Ausland ein Genscher, ein Fischer, ein Steinmeier genoss. Da hat der aktuelle Außenminister Westerwelle noch Nachholbedarf. Viel Nachholbedarf.