1990 in Ost-Berlin

Die Treuhandanstalt konstituiert sich

Rund 150 Stahlarbeiter aus Eisenhüttenstadt haben am 08.11.1991 vor der Berliner Treuhandgesellschaft für den Erhalt der Eisenhüttenstädter EKO Stahl AG demonstriert.
Rund 150 Stahlarbeiter aus Eisenhüttenstadt haben am 08.11.1991 vor der Berliner Treuhandgesellschaft für den Erhalt der Eisenhüttenstädter EKO Stahl AG demonstriert. © picture alliance / dpa / Bernd Settnik
Von Wolf-Sören Treusch · 16.07.2015
Das Jahr 1990 ist das Jahr des Umbruchs. Die Treuhandanstalt soll das sogenannte Volkseigentum, welches zuvor der Staats- und Parteiführung der SED unterstand, treuhänderisch verwalten. Dadurch soll es der Allgemeinheit bewahrt bleiben. Es kommt jedoch anders. Die meisten der über 8.000 volkseigenen Betriebe werden stillgelegt.
"Der Zustand der DDR-Wirtschaft ist sehr bedenklich, aber ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, die notwendigen Veränderungen auch hier einzuführen."
Ein Hauch von Aufbruchstimmung weht durch den Raum, als sich am 16. Juli 1990 die Treuhandanstalt konstituiert. Erster Präsident wird Reiner Maria Gohlke, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bundesbahn. Doch schon nach wenigen Wochen verliert er den Machtkampf gegen den Verwaltungsratsvorsitzenden Detlev Karsten Rohwedder, auch er ein West-Manager. Rohwedder wird neuer Präsident, knapp und klar formuliert er seine Ziele:
"Die Kombinate, die VEBs zu privatisieren, wo eben möglich, zu sanieren, in Ordnung zu bringen, wo eben möglich und stillzulegen oder zu liquidieren, wo unabweisbar."
Die ursprüngliche Idee, mit Hilfe der Treuhandanstalt das Volksvermögen der DDR zu bewahren und an die Bürger zu verteilen, ist Makulatur. Als Eigentümerin übernimmt die Treuhand etwa 8.500 ehemals Volkseigene Betriebe, in denen mehr als vier Millionen Menschen arbeiten. Manch einer, wie der Hamburger Unternehmensberater Otto Gellert, stellvertretender Verwaltungsratsvorsitzender, ahnt noch gar nicht, wie schlimm die Lage ist.
"Die ostdeutsche Wirtschaft war für uns an sich laut Statistik die sechst-, siebtgrößte Industrienation der Welt, und damit war das eigentlich für uns eigentlich eine intakte Veranstaltung."
Es war die Dritte Welt
Andere wissen schon sehr genau, worauf sie sich eingelassen haben. Zum Beispiel Detlef Scheunert, einziger Ostdeutscher unter den Treuhand-Direktoren.
"Jeder hat gewusst, dass fast alles Schrott ist. Ich bin '89/'90 mit meinem Minister in den Betrieben immer rumgefahren. Es standen die Arbeiter da und haben gesagt: 'Guck dir das doch mal an'. Alles war zusammengefallen, Umweltverschmutzung, es war Dritte Welt, was sich dort abspielte."
Die Treuhandanstalt muss die ehemals Volkseigenen Betriebe auf den Wettbewerb des Marktes vorbereiten. Eine Mammut-Aufgabe, mit anfangs gerade mal einhundert Mitarbeitern. Doch viele Betriebe sind nicht zu retten: Die Technik veraltet, die Arbeitsabläufe ineffizient, und die potenziellen Kunden bleiben aus. Der damalige Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière:
"Ich war 1990 in Eisenach bei den Automobilbauern und habe gesagt: 'Na, ihr habt euch sehr aufgeregt, als der Wartburg mit dem VW-Motor 35.000 Mark kostete, wie viel wärt ihr denn bereit dafür auszugeben?' Da sagten sie: 'Aber Herr Ministerpräsident, wir kaufen doch nicht das Auto, jetzt wollen wir einen echten VW haben.' Ich sage, 'Wer soll euer Auto kaufen?' 'Na, die Ungarn oder die Tschechen', ich sage, 'Na, die wollen auch lieber einen echten VW haben.'"
3.713 Betriebe, das sind 43 Prozent der VEB unter Treuhand-Verwaltung, werden innerhalb der ersten zwanzig Monate geschlossen. Darunter viele Unternehmen mit guten wirtschaftlichen Aussichten. Fast drei Millionen Menschen verlieren ihre Arbeit.
"Ein trauriges Gefühl, wenn man 40 Jahre hier hinne war, es ist wirklich, also sehr traurig. Und für uns Alten, ich will mal sagen, wir stehen ja so auf der Kippe, also für uns wird es wohl nicht weitergehen."
Dubiose Glücksritter
Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz nennt die Arbeit der Treuhandanstalt das größte Betrugskapitel in der Geschichte Deutschlands.
"Man war nicht interessiert, dass es einen weiteren Autobauer gibt in Ostdeutschland. Man war nicht daran interessiert, dass es einen FCKW-freien Kühlschrankhersteller gibt im Osten. Man hat diese Betriebe als Konkurrenten auch ganz bewusst ausgeschaltet. Man war nur an Filialbetrieben, an Zweigwerken, an verlängerten Werkbänken interessiert. Im Grunde genommen wurde das gesamte Industriekapital der DDR mit einem Schlag vernichtet."
Die Treuhandanstalt verhökert das Volksvermögen der DDR zu Billigpreisen. Als Käufer bevorzugt sie dubiose Glücksritter aus dem Westen, kritisiert Christa Luft, Wirtschaftsministerin in der Modrow-Regierung 1989/90.
"Man hat eigentlich jeden genommen, der angeklopft hat, um etwas zu bekommen, die Hauptsache war, er hatte eine Postleitzahl aus dem Westen. Ob der da schon mal drei, vier Pleiten hingelegt hat, war egal, das ist natürlich schlimm gewesen. [...] Wir hatten in der DDR Hunderte von Lehrbüchern, in denen wir lernen konnten, wie man von der Marktwirtschaft zur Planwirtschaft kommt, aber es gab leider kein einziges für den Rückweg."
Als die Treuhandanstalt im Dezember 1994 ihre Arbeit beendet, hat sie ein geschätztes Anfangsvermögen von 586 Milliarden D-Mark in einen Schuldenberg von 264 Milliarden
D-Mark verwandelt. Das DDR-Volkseigentum ist zu 85 Prozent an westdeutsche Eigentümer, zu 10 Prozent an ausländische und nur zu 5 Prozent an ostdeutsche Eigentümer gegangen.
Mehr zum Thema