175. Todestag von Augustin de Candolle

Die Kunst der Pflanzen-Klassifizierung

Porträt des Schweizer Botanikers Auguste Pyramus (Pyrame) de Candolle (1778-1841)
Porträt des Schweizer Botanikers Auguste Pyramus (Pyrame) de Candolle (1778-1841) © imago stock&people
Von Irene Meichsner · 09.09.2016
Augustin Pyramus de Candolle war 16 Jahre alt, als er während der Sommerferien in der französischen Champagne seine Liebe zur Botanik entdeckte: der Auftakt zur Karriere eines der größten Botaniker seiner Zeit.
"Wir kennen inzwischen eine immense Zahl von verschiedenen Pflanzen, an die 50.000 dürften es sein, und täglich kommen neue hinzu. Vor diesem Hintergrund ist es nötig geworden, sie nach der natürlichen Methode zu ordnen und zu katalogisieren."
Es war eines der kühnsten Projekte der modernen Botanik. Mit seinem "Prodromus systematis naturalis regni vegetabilis" wollte Augustin Pyramus de Candolle, Professor für Naturgeschichte an der Universität Genf, alle auf der Welt existierenden Pflanzen mit ihren Hauptmerkmalen erfassen. De Candolle war selber ein leidenschaftlicher Sammler, der sich seit seiner Jugend für Pflanzen interessierte. In seinen Memoiren schilderte der Sohn eines Genfer Bankiers, der am 3. Februar 1778 geboren wurde, wie naiv er anfangs gewesen war.
"Ich kannte keine Pflanze mit Namen; erst recht wusste ich nichts über ihre Klassifikation; ich hatte überhaupt keine Vorstellung von irgendeinem System. Ich besaß kein Buch, hatte keinen Freund und keinen Lehrer, die mich hätten anleiten können. Dennoch begann ich mit großem Vergnügen, Pflanzen zu beobachten und zu beschreiben."
Der junge Mann auf der Gießkanne
1796 ging de Candolle zum Medizinstudium nach Paris. Nebenher vertiefte er sich in die Botanik. Stunden- und tagelang konnte er im Garten des Naturkundemuseums hocken, um sich Notizen zu machen.
"Mein Fleiß hat alle beeindruckt und für mich eingenommen. Später, als ich schon berühmt und etabliert war, wurde ich immer wieder an die Zeiten erinnert, als man mich noch den 'jungen Mann auf der Gießkanne' nannte."
De Candolle eignete sich ein so profundes Wissen an, dass ihn der große Jean-Baptiste de Lamarck, den er in einem Pariser Salon auch persönlich kennengelernt hatte, mit der Überarbeitung seines Handbuchs über die französische Flora betraute. De Candolle fügte dem Werk rund 1300 weitere Arten aus eigenen und fremden Sammlungen hinzu - und begleitete Lamarck ins französische Innenministerium, wo man ihm ein verlockendes Angebot machte: De Candolle sollte einen Katalog von Frankreichs pflanzlichen Ressourcen im Hinblick auf ihren geografischen Standort und ihre landwirtschaftliche Nutzung erstellen.
"Ich bekam dafür 4000 Francs pro Jahr, eine sicher sehr bescheidene Summe, aber ich wagte nicht mehr zu fordern, weil ich das Projekt selber vorgeschlagen hatte."
Sechs ausgedehnte Forschungsreisen
De Candolle unternahm sechs ausgedehnte Forschungsreisen durch das gesamte französische Kaiserreich. 1808 wurde er Professor für Botanik in Montpellier. 1813 erschien sein Buch über die "Theoretischen Anfangsgründe der Botanik", in dem er sich mit fundamentalen Fragen der Klassifizierung und pflanzlichen Nomenklatur auseinandersetzte. Um dem herrschenden Wildwuchs bei der Namensgebung einen Riegel vorzuschieben, sollte fortan vor allem ein Grundsatz gelten:
"Und dieser ist, daß derjenige, der zuerst eine Pflanze entdeckt , auch das Recht hat, derselben einen Namen beyzulegen. Das Recht der Erstgeburt, wenn ich so sagen darf, ist ein positives, unwandelbares Recht, welches keine Willkühr, keine Partheylichkeit gestattet."
Die politischen Wirren nach dem Sturz Napoleons zwangen den Wissenschaftler 1816 zur Rückkehr nach Genf. Mit dem Lehrstuhl für Botanik übernahm er auch die Verpflichtung, den ersten botanischen Garten in Genf zu gründen. In seinem Haus an der Kathedrale St. Peter bewahrte de Candolle sein privates Herbarium auf, das er durch Zukäufe, Spenden und die eigenen Funde aus vielen europäischen Regionen ständig erweiterte. Am Ende umfasste die Sammlung rund 165.000 Proben von mehr als 75.000 verschiedenen Spezies aus aller Herren Länder.
"Candolle hat ein Werk hinterlassen, das durch seine Fülle und Vielfalt beeindruckt", schreibt der Genfer Botaniker Patrick Bungener, Mitherausgeber einer 2004 veröffentlichten Neuauflage von de Candolles Lebenserinnerungen. "Die Einträge in den letzten Monaten seines Lebens zeigen aber auch seine wachsende Verzweiflung darüber, dass er sein Opus Magnum nicht würde vollenden können."
Sohn und Enkel vollendeten sein Lebenswerk
Als de Candolle am 9. September 1841 in seiner Heimatstadt starb, waren erst sieben Bände seines "Prodromus systematis naturalis regni vegetabilis" erschienen - obwohl an dem Projekt seit 1824 über 30 Kollegen mitgearbeitet hatten. Erst sein Sohn Alphonse Pyramus de Candolle, der auch als Leiter des Genfer botanischen Gartens in die Fußstapfen des Vaters trat, brachte das Werk 1873 mit insgesamt 17 Bänden zum Abschluss - zusammen mit seinem Sohn, Anne Casimir Pyramus de Candolle, der ebenfalls Botaniker wurde.
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