125. Todestag von Jan Neruda

Ein Feuilletonist aus der Unterschicht

Der tschechische Journalist und Schriftsteller Jan Neruda (undatiert).
Der tschechische Journalist und Schriftsteller Jan Neruda (undatiert). Er wurde am 9. Juli 1834 in Prag geboren und verstarb ebenda am 22. August 1891. © dpa/picutre alliance/CTK
Von Annette Kraus · 22.08.2016
Der tschechische Schriftsteller und Journalist Jan Neruda wurde vor allem mit seinen "Kleinseitner Geschichten" bekannt - vordergründig harmlosen Erzählungen voller skurriler Gestalten und seltsamer Begebenheiten aus dem alten Prag. Er gilt als Vorkämpfer für die politische Unabhängigkeit. Vor 125 Jahren ist er gestorben.
Sie gehört zum Pflichtprogramm der Touristen in Prag: Die Nerudova-Straße, die zum Hradschin hinauf führt. Im "Haus zu den zwei Sonnen" ist ihr Namensgeber Jan Neruda aufgewachsen. Mit seinen "Kleinseitner Geschichten" setzte er dem Viertel zwischen Burg und Moldau ein literarisches Denkmal. Als sie 1875 erschienen, hatte die Malá Strana, wie sie auf Tschechisch heißt, noch ein anderes Gesicht. Die Literaturwissenschaftlerin Dagmar Mocná:
"Das Viertel war zu dieser Zeit auch nicht gerade abgeschieden, aber hauptsächlich hat sich das Leben doch auf der anderen Seite des Flusses abgespielt. Auf der Kleinseite war es verschlafener, vielleicht auch rückständiger. Es war eine Art Enklave, eine Kleinstadt in der Großstadt."
Wo sich heute ein Souvenirshop an den nächsten reiht, lebten damals die sogenannten kleinen Leute. Am 9. Juli 1834 wurde Jan Neruda hier geboren. Der Vater Kriegsveteran, die Mutter Putzfrau – gemeinsam betrieben die Eltern eine Trafika, einen kleinen Kiosk.

Anwalt der unteren Schichten

Seine Herkunft prägt Neruda und macht ihn zu einem Anwalt der unteren Schichten. Er besucht das Gymnasium, kann das Jura-Studium aber aus Geldnot nicht zu Ende bringen. Erfolglos versucht er sich als Dichter und wird dann Journalist – zunächst für eine deutschsprachige Zeitung, denn die Habsburger fahren nach 1848 einen rigiden Kurs gegen die tschechische Nationalbewegung, Pressezensur inklusive. Erst in den 1860ern gibt es allmählich Freiraum:
"Es etablierten sich Parteien, das Parlament nahm seine Arbeit auf und auch die politische Presse erwachte zum Leben. Nerudas Generation war politisch orientiert, sie gingen in die Zeitungen und ihr literarisches Programm sah vor, dass Schriftsteller auch politisch aktiv werden müssten. Es war der Beginn des tschechischen politischen Lebens und Neruda gehörte zu den aktivsten unter den Schriftstellern."
Von 1865 bis zu seinem Tod schreibt der erklärte Demokrat für die "Narodní listy", die bald wichtigste tschechische Tageszeitung. Neruda gilt als Begründer des tschechischen Feuilletons, wo er sich fast allen Themen widmet - von der Politik über Reiseberichte bis hin zum Theater. Hundert Gesichter brauche ein Feuilletonist, schrieb Neruda:
"Er muss Dichter, Philosoph, Gelehrter, Humorist, Kritiker, ein Mann voller Gefühl, dann wieder ein Mann mit steinernem Herzen sein, aber um nicht zu langweilen, nicht eintönig zu sein, oder was man ihm sonst noch oft vorwirft, darf er von allem wiederum nur eine Prise besitzen. Der Feuilletonist muss selbst ein Mosaik wie sein Feuilleton sein."

Geschichten spiegeln politische Realität wider

Mit seinen Kurzgeschichten über die Kleinseite setzt sich Neruda auch als Prosaautor durch. Bevölkert sind sie von Ökonomiebeamten und Bettlern, Professorengattinnen und Krämern, alten Witwen und ewigen Studenten.
"Unter der Oberfläche gehen Dinge vor sich, die man auch als bedrohlich empfinden kann. Da passiert es, dass man über den Bettler Herrn Adalbertchen sagt, er tue nur so, als ob er arm sei. Am Ende erfriert er, weil er seine Einkünfte als Bettler verliert. Eine völlige Anti-Idylle ist es aber nicht, sondern balanciert scharf dazwischen."
Auch die politische Realität spiegelt sich wider, wenn sieben kleine Jungen den großen Umsturz planen:
"Am 20. August des Jahres 1849, um halb ein Uhr mittags, sollte Österreich zerstört werden: Das war im "Pistolenklub" beschlossen worden. Ich weiß schon gar nicht mehr, was sich Österreich damals hatte zuschulden kommen lassen, aber ich zweifle keineswegs daran, dass der Entschluss recht schwerwiegende Gründe gehabt hatte."
Der geplante Umsturz scheitert kläglich – und lässt Raum für Interpretationen.

Zeitlebens in Finanznöten

Eindeutig war Neruda hingegen in seinem Antisemitismus. Dahinter steht auch die Frustration über den ausbleibenden Erfolg der tschechischen Autonomiebestrebungen, sagt der Historiker Michal Frankl:
"Ein Resultat davon ist eine Reihe von antijüdischen Texten, Texten, die kritisch sind den Juden gegenüber als Germanisatoren, oder die jüdische wirtschaftliche Tätigkeit kritisieren und so weiter."
Der zunehmende antijüdische Agitation in Nerudas Arbeit geht einher mit seinem persönlichen Niedergang: Zeitlebens in Finanznöten, ist der Junggeselle ab 1880 von Krankheiten geplagt und zudem aufgezehrt von politischen Grabenkämpfen. Er stirbt mit nur 57 Jahren am 22. August 1891.
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