125 Jahre Deutscher Gewerkschaftsbund

Als sich die Gewerkschaften von der SPD lösten

Teilnehmer der Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB stehen am 20.03.2015 am Brandenburger Tor in Berlin anlässlich des "Equal Pay Day" mit Transparenten zusammen.
Kundgebung des DGB - er ging hervor aus der "Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands" © dpa/picture-alliance/Stephanie Pilick
Von Monika Köpcke · 14.03.2017
SPD und Gewerkschaften hielten einst zusammen wie Pech und Schwefel. Beide wurden im Kaiserreich verfolgt. Dann beschlossen die Gewerkschaften, sich aus der Symbiose zu lösen. Der erste Gewerkschaftskongress ab dem 14. März 1892 sollte die neue Ära einleiten.
"Frisch duftende Laubgewinde, an die eine Reihe roter Fahnen geheftet waren, zogen sich den Saal entlang. Oberhalb des Podiums erhoben sich auf rotem Hintergrund die Büsten von Marx und Lassalle, darüber prangte ein rotes Emblem, auf dem in Goldschrift die Worte standen: Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!"
"In geschmackvoller Weise dekoriert" befand die Halberstädter Zeitung den Tagungssaal in der Gaststätte Odeon. Hier begann am 14. März 1892 der erste Kongress der Gewerkschaften Deutschlands.
Zwei Jahre zuvor hatte der Reichstag das "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie", die so genannten Sozialistengesetze, nicht mehr verlängert. Zwölf Jahre lang hatten sie die mit der Arbeiterpartei eng verwobenen Gewerkschaften in die Illegalität gezwungen. Der Kongress in Halberstadt sollte nun das Signal für einen Neuanfang geben.

Reformen statt der Revolution

Punkt 9 Uhr 30 begrüßte Carl Legien, Sozialdemokrat und Vorsitzender der Drechslervereinigung, die Delegierten:
"Gleich den Pionieren haben die Gewerkschaften den Boden zu ebnen für eine höhere geistige Auffassung und durch Erringung besserer Arbeits- und Lohnbedingungen die Arbeiterklasse vor Verelendung und Versumpfung zu bewahren, um sie zu befähigen, die ihr zufallende geschichtliche Aufgabe lösen zu können."
Was aber war die geschichtliche Aufgabe der Arbeiterklasse? Darüber herrschte unter den 208 Delegierten alles andere als Einigkeit.
In den zwölf Jahren der Verfolgung waren es kleine, lokal organisierte Vertretungen gewesen, die für die Rechte der Arbeiter gekämpft hatten. Eine gemeinsame Organisation gab es nicht. Das wollte die Gruppe der "Zentralisten" auf dem Kongress ändern. Sie forderte die Gründung eines Dachverbands, dem sich die einzelnen Gewerkschaften unterordnen sollten.
Arbeitskämpfe sollten fortan nach festen Regeln ablaufen. Und: Reformen, nicht Revolution, so Carl Legien in seiner Eröffnungsrede, sollte nun das Ziel gewerkschaftlicher Arbeit sein:

Den Blick auf das augenblicklich Mögliche richten

"Wir müssen den Blick auf das augenblicklich Mögliche richten und auf dem Erreichten weiterbauen wollen. Wenn wir fortfahren, nur in die ferne Zukunft zu blicken, dann dürfte die Zeit über die Organisation hinwegrauschen, ohne dass sie jemals dazukäme, auch nur annähernd ihren Zweck zu erfüllen."
Demonstrationszug durch Hamburg mit Plakaten, auf dem vordersten steht "Für sichere Arbeitsplätze und Mitbestimmung - DGB"
Auch 1982 wurde schon gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau demonstriert© dpa / Klaus Rose
Diesem pragmatischen Flügel gegenüber formierte sich die Gruppe der "Lokalisten". Sie vertrat die vielen kleinen lokalen Zusammenschlüsse. Diese sollten als selbständige Kampfgruppen erhalten bleiben, an ihren Aktionen sollten sich die Arbeiter spontan und direkt beteiligen können. Die Lokalisten sahen die Gewerkschaften hauptsächlich als verlängerten Arm der SPD. Ihnen ging es um den politischen Kampf, um die Destabilisierung des kapitalistischen Systems.
Fünf Tage, vom 14. bis zum 18. März, dauerte der Kongress. Nach erbitterten Debatten stimmten die Delegierten am dritten Tag ab. Das Protokoll notierte:
"In Erwägung, dass die lokale Organisation den heutigen Produktionsverhältnissen nicht mehr entspricht, die wirtschaftliche Lage des Arbeiterstandes vielmehr die Zusammenfassung aller Kräfte dringend erheischt, erklärt der Kongress die zentralistische Organisationsform als die zur Zeit allein richtige."

Emanzipation von den Sozialdemokraten

Damit war auch klar: Die Gewerkschaften wollten sich nicht mehr in den politischen Kampf der SPD einspannen lassen, sondern selbstbestimmt und innerhalb der bestehenden Ordnung für die Arbeiterrechte kämpfen.
Das Logo des DGB
Das aktuelle Logo des DGB© dpa/picture-alliance/Christoph Schmidt
Bei den Sozialdemokraten stieß dieser Richtungswechsel nicht unbedingt auf Zustimmung. Das SPD-Parteitagsprotokoll von 1893 wagte die Prognose:
"Niemals wird die deutsche Gewerkschaftsbewegung dieselbe Stellung einnehmen wie die englische; denn bis zu dem Zeitpunkt, wo dies eintreten könnte, wird längst die Fahne des Sozialismus auf der Zinne des Kapitalismus stehen."
"Bei den heutigen Kapitalansammlungen ist nur noch der politische Kampf von Nutzen. Die Bedeutungslosigkeit der Gewerkschaften wächst mit der Macht des Kapitals und der Ausdehnung der sozialen Reichsgesetzgebung."
Carl Legien wurde der erste Vorsitzende der "Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands", so der Name des neuen Dachverbandes. Heute heißt er "Deutscher Gewerkschaftsbund" und funktioniert noch immer nach den damals beschlossenen Strukturen.
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