100 Jahre Erster Weltkrieg

Rufer in der Wüste

Eine große Menschenmenge nimmt zu Beginn des 1. Weltkrieges an einem Gottesdienst am Bismarckdenkmal in Berlin teil. (undatiertes Archivbild)
Eine große Menschenmenge nimmt zu Beginn des 1. Weltkrieges an einem Gottesdienst am Bismarckdenkmal in Berlin teil. © picture-alliance / dpa
Von Gunnar Lammert-Türk · 13.07.2014
Im Vorfeld des Ersten Weltkrieges appellierte ein kleine Gruppe friedensbewegter Pfarrer an die deutschen Protestanten und ihre eigenen Kollegen. Gehört wurden sie in einer Atmosphäre von nationalistischem Militarismus kaum.
Karlheinz Lipp: "Albert Einstein wurde im Sommer 1914 nach Berlin berufen von Zürich aus und er war entsetzt über die nationalistische Einstellung vieler seiner Kollegen. Und daher auch dieser 'Aufruf an die Europäer' mit Georg Friedrich Nicolai, einem bekannten Mediziner, Herzspezialist, und die beiden haben versucht, an der Universität so eine Art Friedenspendant zu gründen, das allerdings letzten Endes gescheitert ist, weil die allermeisten natürlich absolut antipazifistisch und nationalistisch eingestellt waren und auch den Krieg befürwortet haben."
Den Aufruf an die Europäer, von dem der Historiker Karlheinz Lipp spricht, schrieb der Arzt Georg Friedrich Nicolai im Oktober 1914. Er reagierte damit auf die wenige Tage zuvor veröffentlichte Schrift "An die Kulturwelt". Darin waren die Aktionen des deutschen Heeres in Belgien als Kampf zur Rettung der höchsten Kulturgüter verteidigt und Deutschland als Hüter derselben bezeichnet worden. Knapp hundert Künstler, Wissenschaftler und Gelehrte hatten unterzeichnet.
Nicolai und Einstein appellierten an dieselben Leute und beschworen sie, zu einer europäischen Verständigung zurückzukehren. Es fanden sich nur zwei, die ihren Aufruf unterstützen wollten. Nun, da der Krieg rollte, hatte kaum einer ein Ohr für die mahnenden Stimmen dagegen. Solche gab es, wenn auch nicht viele, schon vor Kriegsausbruch.
Eine der eindringlichsten kam von dem württembergischen evangelischen Pfarrer Otto Umfrid. Im Frühjahr des Kriegsjahres 1914 schrieb er:
"Wenn es der Kriegspartei in Deutschland gelingen sollte, uns wirklich in den fürchterlichen Zukunftskrieg hinein zu hetzen, wenn dann die Blüte der deutschen männlichen Jugend auf dem Schlachtfeld zerrissen daliegen wird, dann wird das deutsche Volk vielleicht die Antwort finden auf die Frage, ob derjenige sein Vaterland mehr geliebt habe, der seine ganze Kraft daransetzte, ihm diese Schrecken zu ersparen, oder derjenige, der Blut säte und dafür Blut erntete. Ob sie ihm wohl zujubeln werden, wenn er auf stampfendem Roß über die Leichen-felder der Zukunft dahinreiten wird, während das Gespenst des Hungers aus zerfallenden Hütten grinst?" (Zitat: Otto Umfrid aus "Der Wehrverein – eine Gefahr für das deutsche Volk")
Kleine Schar friedensbewegter Geistlicher
Otto Umfrid war einer der so genannten Friedenspfarrer, eine kleine Schar protestantischer Geistlicher, die sich bemühten, den drohenden Krieg abzuwenden. Seine prophetischen Worte waren wie die Nicolais eine Reaktion auf eine vorangegangene Schrift. Unter dem Titel "Die Friedensbewegung und ihre Gefahren für das deutsche Volk" hatte der Deutsche Wehrverein die Kriegsgegner angegriffen.
Umfrid antwortete darauf mit Gleichgesinnten mit der Gegenschrift "Der Wehrverein – eine Gefahr für das deutsche Volk". Es war nicht das erste Mal, dass sich die Friedenspfarrer zu Wort meldeten.
Karlheinz Lipp: "1913 gab es ein Riesenjubiläum, 100 Jahre Völkerschlacht bei Leipzig 1813. Das wurde in Deutschland dazu missbraucht, um sehr viele Veranstaltungen zu machen im Sinne der Völkerschlacht, im Sinne des deutschen Nationalismus. Und in diesem Augenblick haben sich einige Friedenspfarrer gefunden, darunter Otto Umfrid, um eine öffentliche Resolution zu verabschieden. Daraufhin hat der Walther Nithack-Stahn aus Berlin von der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche diesen Aufruf hauptsächlich verfasst. Der wurde auch verschickt an Pfarrer und etwa 400 haben geantwortet im positiven Sinne."
Etwa zwei Drittel der deutschen Bevölkerung waren damals Protestanten. Sie im Sinne der Friedensbewahrung zu beeinflussen, dafür wollten Friedenspfarrer wie Otto Umfrid ihre Kollegen gewinnen. Bereits 1908 hatten sie sich mit einem Aufruf an sie gewandt. Nun 1913 machten sie einen erneuten Versuch, zu einer Zeit, da kaum noch jemand daran glaubte, dass ein Krieg zwischen den um Vorrang ringenden europäischen Staaten vermeidbar wäre.
Im selben Jahr hatte das Deutsche Reich noch einmal enorm militärisch aufgerüstet. In dieser angespannten Atmosphäre richteten die Friedenspfarrer den Appell an ihre Kollegen. Sie selbst waren überwiegend Mitglieder der Deutschen Friedensgesellschaft, die 1892 von Bertha von Suttner und Alfred Hermann Fried gegründet worden war.
Karlheinz Lipp: "Das Programm der Deutschen Friedensgesellschaft bestand aus zwei wichtigen Punkten. Das eine war natürlich Friede durch Recht. Das heißt, Konflikte oder kriegsnahe Situationen sollen bereinigt werden durch den Schiedsspruch eines internationalen Schieds-gerichtes. Das zweite wichtige war natürlich die Abrüstung, Aufrüstung führt zum Krieg. Also brauchen wir Möglichkeiten der Abrüstung, der Völkerverständigung, den Abbau von Feindbildern. Das heißt natürlich jetzt um die Jahrhundertwende Ausgleich mit Frankreich, aber auch Ausgleich mit Russland. Der Versuch war, im Sinne einer Friedenspädagogik, dass man darauf hin arbeitet, dass im Unterricht Verzerrungen von anderen Ländern vermieden werden sollen."
Vorträge, Schriften und Friedenskongresse
Zur Verbreitung solcher Gedanken hielten Otto Umfrid und seine Mitstreiter Vorträge, verfassten Schriften und organisierten deutsche und weltweite Friedenskongresse. Ihre Zahl wuchs nie über etwa 400 hinaus. Allein in Preußen, dem mit Abstand größten deutschen Land, gab es circa 18.000 protestantische Pfarrer. Trotzdem stritt die Gruppe der Friedenspfarrer beharrlich für ihre Überzeugung. Neben der Idee einer antinationalistischen paneuropäischen Bewegung war für sie der Einsatz für einen friedlichen Umgang der Völker ein Akt des Glaubensgehorsams.
Denn aus ihrer Sicht war das Christentum in seinem Kern international und Völker verbindend. In der Botschaft des Weihnachtsengels "Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen" sahen sie den unmissverständlichen Ausdruck dafür. Das fünfte Gebot "Du sollst nicht töten!" und die Gewaltlosigkeit Jesu waren für sie verpflichtender Maßstab ihres Handelns. Gehört wurden sie kaum. Und es darf bezweifelt werden, ob ihnen die späte Rechtfertigung zuteil wurde, von der Otto Umfrid in der Schrift gegen den Deutschen Wehrverein im Frühjahr 1914 ausging:
"Ein neues kommendes Geschlecht wird unsere Friedensarbeit segnen, aber für die Gräber derer, die den Kriegsgeist züchteten, wird es keine Kränze haben."
(Zitat: Otto Umfrid aus "Der Wehrverein – eine Gefahr für das deutsche Volk")