100 Jahre Burg Giebichenstein

Gestaltung mit spielerischer Leichtigkeit

Eine Frau betrachtet in der neuen Sonderausstellung der Kunsthochschule Burg Giebichenstein Handpuppen von Gustav Weidanz.
Eine Frau betrachtet in der neuen Sonderausstellung der Kunsthochschule Burg Giebichenstein Handpuppen von Gustav Weidanz. © picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Von Barbara Wiegand · 15.11.2015
Sie steht für hochwertiges Design und Kunsthandwerk. Und doch wurde die Kunstschule Burg Giebichenstein in Halle oft nur im Schatten des Bauhauses wahrgenommen. Nun feiert sie ihr 100-jähriges Jubiläum mit einer großen Ausstellung.
Cornelia Wieg: "Der obere Raum war vollkommen verglast, mit zwei unterschiedlich getönten Fensterscheiben. Es gab zauberhafte Lampen, wo wir jetzt eine nachgebaut haben, die wahrscheinlich farbig waren. So dass man in diesem sehr klaren, strengen, architektonisch funktionalen Bau diese feinen farbigen Elemente hatte. Die zeitgenössische Architekturkritik hat es sehr gelobt und Siegfried Giedion beschreibt es als einen Raum von schwebender Leichtigkeit."
Schwebend und leicht – das sind passende Attribute für ein Flughafenrestaurant. Vor allem für das Flughafenrestaurant Halle/Leipzig, das man für die Ausstellung mit Hilfe von Fotos, Projektionen und original erhaltenen Leuchten "re-inszeniert" hat. Man bekommt einen Eindruck von diesem im Krieg zerstörten Teil des ansonsten unvollendet gebliebenen Flughafenprojektes.
Aus der 1915 gegründeten Handwerkerschule wurde eine Werkkunstschule
Und man bekommt ein Gefühl für das, was den Geist der Burg bis heute ausmacht. Hier gestaltete und gestaltet man mit spielerischer Leichtigkeit und doch nicht abgehoben von der Wirklichkeit. Dieter Hofmann, Direktor der Burg Giebichenstein
"Die Burg hat ja auch immer diesen ausgeprägten Werkstattcharakter gepflegt. Wir sind sehr daran interessiert, dass unsere Studierenden ihre Ideen in die Realität umsetzen und immer wieder in der Realität überprüfen. Und was uns besonders auszeichnet: Wir haben auch immer engagierte Lehrende und Studierende an der Hochschule. Das geht schon auf Paul Thiersch zurück. Ihm war zwar die fachliche Qualität der Lehrenden wichtig, aber noch viel wichtiger war es ihm, dass sie inspirieren können. Dass sie die Studierenden begeistern können. Und ich glaube, das ist eine Tradition, die sich bis heute durchzieht."
So wurde aus der 1915 gegründeten Handwerkerschule eine Werkkunstschule, man bezog angewandte, später die freien Künste mit ein. Unterm Turm der Burg Giebichenstein, inmitten wildromantischer Mauern, experimentierte man mit Emaille und Stoffmustern, designte gradlinige Anrichten, entwarf kühn geschwungene Stuhlmodelle. All das in dem Bemühen, schöne Form und Funktionalität zu vereinen. Womit man nah dran war an den Reformideen des deutschen Werkbundes – und an denen des Bauhaus.
Weniger dogmatisch als das Bauhaus
Nochmals Dieter Hofmann: "Damals, als die beiden Schulen gegründet wurden, lag natürlich eine gewisse Idee in der Luft. Die Industrialisierung hat alles verändert. Die soziale Frage hat sich gestellt. Es gab erstmals so etwas wie Freiheit und Freizeit. Was die Burg vielleicht unterschieden hat immer vom Bauhaus: Die Burg war weniger dogmatisch. Paul Thiersch war ja jemand, der ohne Lehrkonzept unterreichtet hat. Ihm ging es stärker darum, gestalterische, künstlerische Persönlichkeiten auszubilden und ihnen eine große Freiheit zum Experimentieren zu lassen, während das Bauhaus eher Ideen verfolgt hat, die es seinen Studierenden mitgeben wollte."
Manche wechseln die Seiten, gehen vom Bauhaus auf die Burg, nach Halle. Etwa die Keramikerin Marguerite Friedlaender. Wie alle andere ehemaligen Bauhäusler wird sie nach 1933 entlassen. Die Werkkunst- wird als "Meisterschule des deutschen Handwerks" auf Linie gebracht. Dennoch – der kreative Geist der Burg – er besteht weiter. Auch später in der DDR.
Umbenannt in Hochschule für Kunst und Design, beschränkten sich die Repressalien eher auf den Bereich der freien, weniger der angewandten Künste. Hier gestaltete man den Alltag mit. Zum Beispiel mit dem MDW - dem Montagemöbelprogramm Deutsche Werkstätten.
Cornelia Wieg: "Gekoppelt an die sozialistischen Entwicklungen, dass jeder seine Wohnung haben sollte, gab es dieses Systemmöbelprogramm MDW, was von Hellerau hergestellt wurde, was eigentlich eine sehr variable und moderne Form von Wohnungseinrichtung bot. Hier war auch das Problem über die Zeit hinweg, dass das Material immer schlechter wurde."
Im Jahr 2012 gestaltete man das BMW-Werk in Leipzig
1990, kurz nach der Wende, kam das Aus für das modulare Möbel. Die Nähe zur industriellen Serienfertigung aber blieb. So gestaltete man 2012 das BMW Werk in Leipzig, erzählt Architekt Axel Müller-Schöll:
"Sie müssen sich vorstellen, eine große Halle. 60.000 Quadratmeter, das sind zwölf Fußballfelder. Und da findet ein Haufen statt, ein Mensch der da in die Halle kommt, hat eigentlich keine Orientierung. Sie können sich nicht nach der Sonne orientieren, sehen immer nur Geräte. Und Ludwig Erler und meine Idee war, das wir gesagt haben, wir ersetzen die Himmelsrichtungen durch Farben. "
Rote, blaue, gelbe oder grüne Stellwände verschaffen dem Ausstellungsbesucher jetzt einen Eindruck von diesem Orientierungssystem. Postiert gegenüber dem "Nachbau" des Flughafenrestaurants, sind sie Teil einer lebendigen Inszenierung – und stehen für die Geschichte der Burg Giebichenstein.
Einer Kunsthochschule, die sich zwischen freier Kunst, experimentellen Formen und pragmatischem Gestalten über nunmehr 100 Jahren ihren Raum erobert hat.

Info: Die Ausstellung "Moderne in der Werkstatt" ist noch bis zum 14.02.2016 im Kunstmuseum Moritzburg in Halle/Saale zu sehen. Auch in der Kunsthochschule sind einige Ausstellungen zum Jubiläum zu sehen.

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