100 Jahre Berliner Volksbühne

Proletarier, willkommen im Theater!

Von Scheinwerfern erleuchtet ist die Fassade des Theaters Die Volksbühne in Berlin
Die Volkbühne in Berlin © Picture Alliance / dpa / Manfred Krause
Von Stefan Zednik · 30.12.2014
Am 30. Dezember 1914 nahm die Volksbühne am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz ihren Spielbetrieb auf. Berühmte Theatermacher brachten hier kontrovers diskutierte Produktionen zur Aufführung. Einfache Arbeiter und Handwerker waren ausdrücklich im Publikum erwünscht.
Aus "Götz von Berlichingen":
Götz: "Es lebe die Freiheit!"
Alle: "Es lebe die Freiheit!"
Götz: "Wenn sie uns überlebt, können wir ruhig sterben. Denn wir sehen im Geiste unsere Enkel glücklich."
Mit diesen Worten des unbeugsamen Götz von Berlichingen sollte am 30. Dezember 1914 das neuerbaute Theater am Berliner Bülow-, dem heutigen Rosa-Luxemburg-Platz, seinen Spielbetrieb beginnen. Eine technische Panne erzwang zwar eine kurzfristige Spielplanänderung, doch die Wahl des wenige Tage später aufgeführten Goetheschen Werkes schien dennoch von großer symbolischer Bedeutung. In der Volksbühne sollten der Berliner Arbeiterschaft neben zeitgenössischen und zeitkritischen Stücken auch klassische "bildungsbürgerliche" Dramen präsentiert werden. Initiator und Bauträger des Theaters waren die Berliner Volksbühnenvereine, deren erster 25 Jahre zuvor gegründet worden war. Die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte erklärt, wie es dazu kam:
"Das hat zum einen politische, zum anderen tatsächlich ästhetische Gründe. 1890 wurden die diskriminierenden Sozialistengesetze ausgesetzt, es gründeten sich eine ganze Reihe von Arbeitergesangsvereinen, Sportvereinen, anderen Vereinen, darunter auch Arbeiterbildungsvereinen und die Arbeiterschaft drängte sehr stark in die Öffentlichkeit. Das Zweite der Beginn des Naturalismus. Der Arbeiter wurde sozusagen salonfähig, bühnenfähig, über sein Schicksal konnte auf der Bühne verhandelt werden. Das sind die zwei Punkte, die es eigentlich erst ermöglicht haben."
Noch herrschte strenge Zensur, Textbücher geplanter öffentlicher Aufführungen mussten bei der Polizeibehörde zwei Wochen vorher in doppelter Ausfertigung vorgelegt und genehmigt werden. Durch vereinsinterne "Privataufführungen" bestand die Hoffnung, einer Überwachung entgehen zu können. Und so traf man sich im Juli 1890 zur Gründung des Vereins der "Freien Volksbühne". Ein Polizeispitzel schrieb mit:
"Der Redner Dr. Wille, Friedrichshagen, Kurze Str. 8, (..) führte aus (..): Der Gedanke sei erhaben, denn heute gäbe es für die Arbeiter, die die hohen Preise nicht zahlen könnten, in den Theatern nur Plätze, die für Menschen unwürdig sind. Redner ist dafür, dass die Plätze verlost werden, später könne man ein Theater bauen, in dem es nur einen Rang gibt. Die Stücke müssen dem Arbeiterleben entsprechen und dessen Missstände zeigen. Redner ist der Überzeugung, dass das Unternehmen (..) prosperieren werde."
Fester Bestandteil des Berliner Theaterlebens
Prosperieren – das sollte die Volksbühnenbewegung in der Tat. Sie wuchs schnell und hatte ein Jahr nach der Gründung bereits 4.000 Mitglieder. Zunächst mietete man sich für einzelne Sonntagnachmittage in Privattheatern ein. Dort wurden eigene Inszenierungen von jungen Autoren wie Gerhart Hauptmann gezeigt, in denen Proletarier und deren soziales Milieu plötzlich zum Thema wurden. Auch die Sprache des Volkes, etwa der Dialekt, wurde hier nicht gescheut.
Aus "Vor Sonnenaufgang":
"Sie kinn'a ni gleba, ma hoot mit dan Battelvulke seine liebe Not. A su enner, dar maust akrat wie a Ilster. Uf da Pfennig kimmt's ins ne ernt oa, ne ock ne, ma braucht a ni dreimol rimzudrehn, au ken'n Toaler nich, ebb ma'n ausgibbt."
Für die Mitglieder des Vereins betrug der Einheitspreis nur wenige Groschen, die Plätze wurden tatsächlich vor der Aufführung verlost. Doch mit der schnell wachsenden Nachfrage verflachte auch das Programm. Darüber kam es zum Streit und zur Spaltung in zwei Verbände, die jeder für sich weiter wuchsen und 1908 zusammen über 30.000 Mitglieder hatten. Um den Bau eines eigenen Hauses realisieren zu können, fanden sich die "Freie Volksbühne" und die "Neue Freie Volksbühne" zu einer Zweckgemeinschaft wieder zusammen.
So konnte durch Spenden der Mitglieder, einen "Baugroschen" auf jede Eintrittskarte, Schuldverschreibungen und eine Städtische Hypothek 1912 das gigantische Unternehmen gestartet werden. Der durch innovative Theaterplanungen bekannte Architekt Oskar Kaufmann wurde damit beauftragt, und in nur 14 Monaten Bauzeit entstand die erste vereinseigene "Volksbühne" Deutschlands, ausgelegt auf 2.000 Plätze. Es war der Start einer Erfolgsgeschichte, die durch Max Reinhardt und Erwin Piscator, Benno Besson und Heiner Müller, in jüngerer Zeit durch Frank Castorf, Christoph Schlingensief und Christoph Marthaler markiert ist. Heute ist das Haus am Rande des Prenzlauer Bergs ein fester Bestandteil des Berliner Theaterlebens, auch wenn man die ursprünglich avisierte Zielgruppe – das Berliner Proletariat – dort kaum mehr antreffen wird.
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