100. Geburtstag Ella Fitzgerald

"Ella ist unvergleichlich"

Jazzsängerin Ella Fitzgerald im Jahr 1958
Jazzsängerin Ella Fitzgerald im Jahr 1958 © Imago
Von Matthias Wegner · 25.04.2017
Vor 100 Jahren wurde Ella Fitzgerald geboren. Die Jazz-Sängerin hinterließ ein riesiges Werk, das sich immer wieder neu erschließen lässt. Zugleich hat sie viele nachfolgende Generationen entscheidend beeinflusst und ermutigt.
Ella Fitzgerald ist mittlerweile seit über 20 Jahren nicht mehr unter uns. Sie starb am 15.Juni 1996 im Alter von 79 Jahren. Aber was ist von ihr geblieben? Welchen Einfluss hat sie noch auf die aktuelle Generation der Sängerinnen und Sänger?
Seit 1999 vergibt das bedeutende Jazz-Festival im kanadischen Montreal den Ella Fitzgerald-Award. 2016 bekam der Sänger Gregory Porter diesen Preis, ein Jahr zuvor die Soulsängerin Erykah Badu - eine Überraschung. Oder nicht?
Erykah Badu: "Natürlich habe ich eine Verbindung zu ihr, aber Ella ist unvergleichlich. Was ich mache, hat die gleichen Wurzeln und den gleichen Geist. Und was uns verbindet ist, dass wir unsere Stimmen wie ein Schlagzeug benutzen. Wir singen sehr rhythmisch. Und ich bin immer wieder begeistert, wenn ich Ellas Timbre höre. Man liebt so, wie man singt. Großartig."
"I'll laugh and sing all day" – ich lache und singe den ganzen Tag, so heißt es schon auf der ersten Platteneinspielung von Ella im Jahr 1935 "I’ll chase the blues away" - ich jage den Blues davon - im Grunde war das schon ihr Lebensmotto.
Ella Fitzgerald im Jahr 1960
Ella Fitzgerald im Jahr 1960© imago/Zuma

Ella Fitzgerald und Billie Holiday - die Gegenpole des Jazz

Lebensfreude, Glücksgefühle, Erhabenheit – Ella Fitzgerald war der Gegenentwurf zur drei Jahre älteren Kollegin Billie Holiday, deren Gefühlswelten sich eher in der Dunkelheit und in Verlassenheit abspielten.
Stefan Wuthe: "Die beiden sind wie Nordpol und Südpol. Sie ergänzen sich ideal und stellen zwei Extreme der Swing- und Jazzwelt dar."
Sagt der Swing-Experte und Buchautor Stefan Wuthe. Bei dem Ella-Vergleich mit Billie Holiday, der bis heute immer mal wieder thematisiert wird, ging bzw. geht es nie um besser oder schlechter, um intensiver oder weniger intensiv. Aber eines ist wohl ohne Zweifel: viele Künstler und viele Musikhörer fühlen sich von Melancholie und Traurigkeit magisch angezogen. Und das war – pauschal gesagt - nicht Ellas Kernkompetenz.
Ella Fitzgerald wollte in jungen Jahren eigentlich Tänzerin werden, aber als sie sich beim Amateurwettbewerb im New Yorker Apollo Theater vor Aufregung nicht so richtig bewegen konnte und jemand im Saal rief: "Dann sing doch was", legte sie los und sang zwei Stücke ihres großen Vorbilds Connie Boswell.
Mit diesem Stück "Judy" beeindruckte Ella das Publikum – der Rest ist Geschichte. Im Ensemble des Schlagzeugers Chick Webb avancierte sie in nur wenigen Jahren zu einer bedeutenden und stilbildenden Interpretin. Nach ihren Aufnahmen der späten 1930er-Jahre wird bis heute begeistert Swing getanzt. Auch dadurch bleibt ihre Musik lebendig.

Bedeutende Konzeptalben: Die Songbooks

Grundlage für die heute noch sehr aktuelle Auseinandersetzung mit ihrem Werk bilden aber vor allem die Aufnahmen aus den 1950er- und frühen 1960er-Jahren. Die Konzeptalben, die Ella jeweils einem bedeutenden Komponisten gewidmet hatte. Darunter Cole Porter, Duke Ellington und nicht zu vergessen auch die Musik der Brüder Ira und George Gershwin. Ira Gershwin hat beim Hören dieser Aufnahmen gesagt, er hätte erst durch Ellas Interpretationen verstanden, wie gut seine Stücke eigentlich waren.
Ella Fitzgerald mit Louis Armstrong und Duke Ellington.
Ella Fitzgerald mit Louis Armstrong und Duke Ellington© imago/ UPI Photo
Wer heute Jazzgesang studiert, kommt an diesen Songbooks, wie sie genannt werden, nicht vorbei, was auch die US-Amerikanerin Judy Niemack, Professorin für Jazzgesang in Berlin, bestätigt. Ellas Interpretationen seien so schön präzise und nicht zu weit vom Original entfernt.
"Deswegen ist es einfach zu lernen. Und swinging… also eine guter Ort, zu beginnen."
Präzision und Glanz in der Interpretation – darin ist Ella Fitzgerald bis heute unschlagbar. Aber wir dürfen auch eine andere Kernkompetenz von ihr nicht unerwähnt lassen: das Scatten, also das nonverbale Improvisieren über ein Thema, dass Ella sehr entscheidend geprägt und weiterentwickelt hat.
Ella Fitzgerald live 1960 in Berlin. Im Mittelpunkt des Stückes "How high is the moon" improvisiert und scattet Ella minutenlang mit einer unglaublichen Energie. Darin steckt, so bestätigt es auch der Sänger Michael Schiefel, vieles, was sich schon vorher in ihrer Karriere angekündigt hatte. Es handelt sich um ein Solo, an dem sich bis heute junge Sängerinnen und Sänger orientieren oder sagen wir besser: abarbeiten. Dieses Solo hat Maßstäbe gesetzt.
Michael Schiefel: "Es ist einfach ein Meilenstein der Scat-Geschichte."
Für seine Aufnahmeprüfung vor über 20 Jahren an der Musikhochschule hat auch Michael Schiefel dieses außergewöhnliche Solo nachgesungen. Das war harte Arbeit und eine große Herausforderung. Heute ist Schiefel selbst Professor und Ella Fitzgerald bleibt bis heute ein Thema.
Die Jazzsängerin Ella Fitzgerald und Gitarrist Joe Pass bei einem Auftritt in Hamburg am 20.12.1977.
Die Jazzsängerin Ella Fitzgerald und Gitarrist Joe Pass bei einem Auftritt in Hamburg am 20.12.1977. © Imago

Umfangreiches Lebenswerk

Das Lebenswerk von Ella Fitzgerald – dokumentiert auf über 200 Platteneinspielungen – ist so umfangreich, dass die wenigsten es wohl jemals komplett erschließen werden. Es lässt sich insofern immer wieder etwas Neues entdecken, was auch die Jazzecho-Preisträgerin Natalia Mateo fasziniert. Phrasierung, Artikulation, Intonierung – von Ella kann man noch immer sehr viel lernen.
Natalia Mateo: "Ella Fitzgerald ist natürlich auf eine Art die Mutter des Jazzgesangs und viele Sachen wären ganz anderes, wenn es sie nicht gegeben hätte. Man kommt natürlich als Sänger und Jazzmusiker nicht umher, sich mit Ella Fitzgerald zu befassen. Und das Erbe ist natürlich so groß. Ich glaube, ich habe selber auch noch gar nicht alles gehört, was es gibt."
Wovon jeder abrät: Ella zu kopieren. Das sagt auch die mittlerweile 85-jährige Sängerin Ruth Hohmann, die sich zeitlebens sehr stark mit Ella auseinandergesetzt hat.
"Wie kann jemand die Schnapsidee haben, ihr etwas nachzusingen oder sich mit ihr messen zu wollen. Das ist ja wohl das Dümmste, was man machen kann!"
Mehr zum Thema