100. Geburtstag des Forschers Francis Crick

Herr des genetischen Codes und der Doppelhelix

Modell eines DNA-Moleküls
Die Doppelhelix machte Francis Crick zu einem Star der Wissenschaft. © imago/Westend61
Von Michael Lange  · 08.06.2016
Der englische Physiker Francis Crick gilt als Begründer der Molekulargenetik. Gemeinsam mit James Watson entdeckte er 1953 die Struktur der DNA - die Doppelhelix. In den 1960er-Jahren knackte er den genetischen Code. Heute wäre Francis Crick 100 Jahre alt geworden.
Im Alter von 36 Jahren hatte Francis Crick immer noch keinen Doktortitel. Er lebte mit seiner zweiten Frau Odile und seiner kleinen Tochter Gabrielle in einem Reihenhaus im englischen Cambridge. Beruflich kam er nicht voran, denn sein Chef Lawrence Bragg vom Cavendish-Labor der Universität war von den Fähigkeiten seines Mitarbeiters keineswegs überzeugt.
"Seit 35 Jahren hat Francis nun schon ununterbrochen geredet, und bisher ist so gut wie nichts von Wert dabei herausgekommen."
Francis Crick wurde geboren am 8. Juni 1916 in Northampton, England. Er studierte Physik in London und arbeitete im Zweiten Weltkrieg für die britische Marine. Unter anderem beschäftigte er sich mit der Entwicklung von Minen und Minensuchsystemen. Wie viele andere Physiker seiner Zeit wandte er sich nach Kriegsende den Biowissenschaften zu und versuchte, die Struktur einzelner Proteine zu ermitteln. Vielen seiner Kollegen ging er auf die Nerven mit seiner lauten Stimme.
"Crick war fast so etwas wie ein Genie"
Immer wieder stürmte er laut plaudernd und lachend durch das Cavendish-Labor, um den anderen seine angeblich großartigen Theorien vorzustellen. Vieles war nicht brauchbar, manches aber genial, erinnert sich der Südafrikaner Aaron Klug, der Francis Crick in London und später in Cambridge kennen lernte.
"Crick war fast so etwas wie ein Genie. Zumindest dicht dran. Kein Einstein oder Planck. Aber er hatte eine besondere Art, Dinge zu erkennen. Absolut durchdringend."
Cricks Durchbruch kam mit einem jungen Biologen aus den USA namens James Watson. Auch er ein Außenseiter. Die beiden teilten sich ein Büro, und statt sich mit ihren zugewiesenen Aufgaben zu beschäftigen, bastelten sie an einem Molekülmodell der DNA. Die Zusammenarbeit mit Watson beschrieb Francis Crick später so:
"Wenn etwas Blödsinn war, dann sagte mir Watson das rundheraus. Genauso umgekehrt. So wurde unser Denken immer wieder umhergeschüttelt. Es war eine Voraussetzung, dass wir frech und sogar grob miteinander umgingen. Wäre einer von uns der Vorgesetzte oder deutlich älter gewesen, dann wäre Freundlichkeit ins Spiel gekommen. Und das ist das Ende jeder Zusammenarbeit."
Statt im Labor zu arbeiten, plauderten die beiden unentwegt und interpretierten fremde Forschungsergebnisse. Für den Heidelberger Wissenschaftshistoriker Ernst-Peter Fischer war genau das ihr Erfolgsrezept.
"Sie machen kein einziges Experiment, sondern sie fragen nur die Leute: Was habt ihr herausbekommen? Sie fragen den Kristallographen, sie fragen den Bio-Chemiker, sie fragen den Bakteriologen, sie fragen den Physiker. Und das Ergebnis ist, dass sie im Februar 1953 den Vorschlag machen, dass das Erbmaterial eine Doppelhelix aus DNA ist. Und seitdem haben wir dieses Wundergebilde in der Welt. Und seitdem ist die Wissenschaft der Molekularbiologie eine unglaublich erfolgreiche Entwicklung in der Geschichte der menschlichen Wissenschaft."
Die Doppelhelix machte den vorlauten Schwätzer Francis Crick zu einem Star der Wissenschaft. 1962 erhielt er gemeinsam mit James Watson und Maurice Wilkins den Nobelpreis für Medizin und Physiologie. Nachdem James Watson Cambridge verlassen hatte, suchte sich Francis Crick einen neuen kongenialen Partner und fand ihn in dem Australier Sydney Brenner. Auch sie redeten viel, und schließlich knackten sie den genetischen Code – wieder, indem sie Ergebnisse anderer Forscher interpretierten. Die Information des Erbmoleküls DNA ließ sich nun lesen wie ein Buch.
Ende der 1960er-Jahre schienen alle wichtigen Fragen der Molekulargenetik beantwortet. Francis Crick, damals über 50 Jahre alt, suchte sich ein anderes Betätigungsfeld: das menschliche Bewusstsein.
"Wenn wir das Gehirn verstehen würden, was in 100 Jahren sicher der Fall sein wird, dann werden wir uns selbst als Personen ganz anders wahrnehmen. Wir werden weiterhin sehen und fühlen, aber unsere Vorstellung davon wird völlig anders sein."
Francis Crick forschte noch über 30 Jahre am Salk-Institut in La Jolla, Kalifornien, im ständigen Dialog mit dem amerikanischen Neurowissenschaftler Christof Koch. Er starb 2004 im Alter von 88 Jahren - ohne zu wissen, wie das Bewusstsein funktioniert.
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