10 Jahre Neue Synagoge in Dresden

Von Wolfram Nagel · 11.11.2011
Am 9. November 2001 wurde die vom Saarbrücker Architekten Wolfgang Lorch entworfene Neuen Synagoge Dresden übergeben. Es war der erste Neubau eines jüdischen Gotteshauses seit der politischen Wende. Betrug die Zahl der Dresdner Gemeindemitglieder 1989 gerade einmal 61, so sind es inzwischen mehr als 700.
"Mein Haus werde genannt ein Bethaus aller Völker." So steht es im Buch Jesaja, Kap. 56. Und so stand es bis November 1938 über dem Eingangstor der von den Nazis niedergebrannten Sempersynagoge.

"Es war eine Tradition der Dresdner Gemeinde eigentlich seit Beginn des 19. Jahrhunderts, der Spruch ist damals von Oberrabbiner Zacharias Frankel ausgesucht worden. Es war schon der Anspruch, in der Stadt zu Hause zu sein, unter ganz anderen Umständen damals, Emanzipation, Gleichstellung der jüdischen Religion zu den anderen."

Auch über der gläsernen Eingangstür zur Neuen Synagoge am Dresdner Hasenberg erinnern die hebräischen Worte "Ki beiti beit-tefilah jikare lechol ha'amim" an den hohen Anspruch, den sich die Gemeinde gestellt hat, obwohl die tiefen Wunden der Shoa bis heute zu spüren sind. Die Synagogenweihe am 9. November 2001 schien vor allem für ältere Juden, die den Brand der Synagogen erlebt hatten, wie ein Wunder. War doch genau am Ort der zerstörten Semper-Synagoge ein ganz neues, modernes Bethaus entstanden.

"Dass es hier in Dresden, wo wir dachten, 1989, hier wird es nie wieder jüdisches Leben geben, heute eine so wunderschöne Synagoge einweihen, das ist in der Tat ein Wunder."

Das sagte vor zehn Jahren der inzwischen verstorbene Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, beim Anblick des goldenen Davidsterns im Eingang der Neuen Synagoge. Und viele Persönlichkeiten der Stadt, wie der katholische Bischof von Dresden-Meißen, Joachim Reinelt, wünschten der jüdischen Gemeinde, Glück und Segen. Denn bis dahin beteten die Dresdner Juden in einer winzig kleinen Synagoge weit außerhalb des Zentrums, neben dem Friedhof.

"Ich freue mich mit der Gemeinde Israels. Du thronst über dem Lobpreis Israels. Dieser wunderschöne Psalm sagt eigentlich alles aus über diese wunderschönen Synagoge und alles, was zu diesem Gebäude dazu gehört."

Seit dem 9. November 2001 werden Shabat und die jüdischen Feste mitten in der Stadt gefeiert, meist mit christlichen und mitunter sogar mit muslimischen Gästen. Und Mitglieder der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und des Freundeskreises Neue Synagoge Dresden unterstützen die Gemeinde nach Kräften, denn die Mittel, solch ein großes Gebäude zu unterhalten, sind knapp. Auch aus historischer Verantwortung heraus sei es wichtig, diese Freundschaft zu pflegen, sagt Rainer Thümmel, der Vorsitzende des Freundeskreises. Im Hauptberuf ist er Glockensachverständiger der sächsischen Landeskirche.

"Und ich glaube, es ist auch ganz wichtig, dass die jüdische Gemeinde Freunde hat, die ihnen Türen öffnet, die sie vielleicht sonst selbst nicht aufmachen würden, wir unterstützen das religiöse und kulturelle Leben der Gemeinde, und wir helfen mit Spenden und Beiträgen für den Unterhalt der beiden Gebäude. Wir haben in diesem Jahr 5400 Euro Spenden und Mitgliedsbeiträge zur Verfügung gestellt für eine dringende Dachreparatur, wir haben die Festwoche jetzt mit 2000 Euro gefördert. Wir haben für die Erweiterung des jüdischen Friedhofs in Dresden, für den Grunderwerb 3000 Euro zur Verfügung gestellt."

Ist doch der Friedhof inzwischen zu klein geworden für die große Gemeinde. Deren Altersdurchschnitt liegt jenseits der 60. Auch Klavdia Ginsburg ist längst Rentnerin. Sie hat in Jekaterinenburg Ökonomie studiert und kam vor 20 Jahren nach Dresden. Nun leitet sie die Gemeindeküche. Es heißt: Kein Kiddusch ohne Frau Ginsburg:

"Das ist Beruf meiner Oma, sie ist gewesen eine gute Köchin. Und die Küche, russisch, ukrainisch, moldawisch und jüdische Küche, perfekt. Die Leute zufrieden, ich bin zufrieden. Das ist mein Haus, das gefällt mir."

Ein Haus, in dem die russische Sprache dominiert, wie in den meisten jüdischen Gemeinden der Bundesrepublik. Nicht nur russischsprachige Juden leben in Dresden, auch einige Juden aus Israel oder den USA. Valentina Marcenaro kam 1998 aus Italien in die Stadt an der Elbe. Ursprünglich wollte sie nur ihre Deutschkenntnisse aufbessern. Inzwischen hat sie eine Familie gegründet und organisiert das kulturelle Leben in der Gemeinde. Ihr Mann hat kürzlich seinen Giur abgeschlossen, worauf die Eheleute auch unter der Chupa heiraten konnten.

"Und interessanterweise, ich bin Jüdin, bin Italienerin und hab aber, muss ich selbst sagen, meine jüdische Identität noch stärker hier in Dresden entdeckt...und das ist natürlich etwas außergewöhnliches, wenn man denkt, man kommt nach Deutschland, um die eigenen jüdischen Wurzel zu entdecken, finde ich auch eine Entwicklung, und ich find das schön, dass das möglich ist. Ich versuche auch mein Jüdisch sein nicht zu verstecken."

Dazu gehöre natürlich jüdisches Selbstbewusstsein, sagt die Kulturmanagerin. Das zeigte sich gerade erst bei der 15. Jiddischen Woche, die ab dem kommenden Jahr "Jüdische Woche" heißen wird.

"Die Gemeinde versucht ihre Identität oder auch die neue jüdische Identität mit interessanten Veranstaltungen zu vermitteln, zu zeigen, dass Judentum einfach lebendig ist wieder in Deutschland und dass wir uns nicht zuschließen wollen . Wir möchten gerne ins Gespräch mit der Stadt und den interessierten Bürgern kommen."

Wie am Tag der offenen Tür, zu Beginn der Festwoche:

"Die Örtlichkeit, nicht nur die Synagoge sondern auch die Gemeinderäume interessieren mich, ich find es sehr wichtig und auch sehr gut, weil man sonst auch nicht viel Gelegenheit hat..."

"Die Synagoge an sich, das Bauwerk, warum es verdreht ist, alles eigentlich. Ich wollte schon immer mal gucken kommen, und heute hab ich das getan."

Im Gemeindehaus gibt es das öffentliche Cafe "Schonana", die Rose. Konzerte, Lesungen, Theater oder Ausstellungen stehen auch außerhalb des Festivals auf dem Plan. So hat die Berliner Sängerin Jalda Rebling schon mehrfach in Dresden gastiert, im Gemeindesaal und in der Synagoge:

"Ja, jedes Mal, wenn ich hier war, hatte ich das Gefühl, es ist eine offene Atmosphäre, und Menschen sind herzlich willkommen, und das gefällt mir ehrlich gesagt hundert Mal besser als die Häuser mit der vielen Security vor der Tür, wo man also erst durch Schleusen durch muss, und sicherlich gibt es Gründe dafür, aber wir verlieren dadurch sehr viel Kontakt zur Welt da draußen."

Die Polizei ist zwar stets präsent, hält sich jedoch diskret zurück. Auch gelegentliche antisemitische Schmierereien an den Außenwänden und Provokationen haben die Dresdner Gemeinde bisher nicht davon abgehalten, weltoffen und liberal zu bleiben.

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